Leichen kann man nicht ermorden - Ein Fall für Chief Inspector Hippolyt Gibbs

von: Maximilian Maurer

hockebooks: e-book first, 2016

ISBN: 9783957511539 , 225 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 4,99 EUR

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Leichen kann man nicht ermorden - Ein Fall für Chief Inspector Hippolyt Gibbs


 

8. Kapitel:
Tödliche Neuigkeiten


Einem Fehler beim ersten Mord
folgt meist ein zweiter Mord.

Der Autor

Gibbs saß an einem der großen Fenster im Frühstücksraum eines Mittelklassehotels mitten in Newquay. Vor ihm stand seine dritte Tasse Kaffee. Den leergegessenen Teller mit den Resten seines reichhaltigen Frühstücks hatte man bereits abgeräumt. Er blätterte eine am Sonntag erscheinende Boulevardzeitung der übelsten Sorte durch und war froh, nichts über den Mord zu entdecken. Einige dünne Sonnenstrahlen fielen zwischen wässrigen Wolkenschleiern hindurch auf das Tischtuch und ein paar Krümel warfen lange Schatten. Als er sich gerade über das Kreuzworträtsel hermachen wollte, erschien eine etwas verschlafen wirkende Melanie und setzte sich zu ihm an den Tisch.

»Guten Morgen, DS. Na, haben wir gut geschlafen?«, begrüßte Gibbs grinsend seine Assistentin. Er machte sich gern über Melanies Schwierigkeiten lustig, morgens in die Gänge zu kommen.

Melanie nickte und hauchte ein kaum vernehmbares »Guten Morgen, Sir«. Mit zwei klammen Händen, als säße sie im Wartehäuschen eines verspäteten Vorortzuges und nicht im gemütlich warmen Frühstücksraum eines Hotels, hielt sie sich an der heißen Tasse Kaffee fest, die ihr eine gütige Dame vom Service kredenzt hatte.

»Und Sie, Sir, haben Sie gestern noch etwas herausgefunden in Bezug auf die Briefe?«, wollte Melanie wissen.

Gibbs hatte den Eindruck, die Frage war mehr eine Geste der Höflichkeit, als der aufrichtige Versuch in die berufliche Realität zurückzufinden.

»Und ob!«, strahlte Gibbs. »Als Sie noch in tiefem Schlummer lagen, war ich bereits unterwegs zur hiesigen Metropolitan Police. Habe dort einen sehr liebenswürdigen Superintendent getroffen, der froh ist, dass wir ihm die Arbeit auf Kingman Island abnehmen. Er versprach mir, ein paar Untersuchungen für uns durchzuführen.«

»Heute, am Ostersonntag?«

»Oh, ich habe ihm klargemacht, dass er vom Erfolg dieser Ermittlungen ebenfalls profitieren wird, und ich habe ihm eine gehörige Portion Ruhm und Ansehen für die Aufklärung des Falles in Aussicht gestellt. Natürlich nur, falls ich recht behalte mit meinem Verdacht.«

»Und womit könnten Sie recht behalten?«

Melanies Augen waren auf einmal hellwach.

»Darüber möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt lieber noch nicht sprechen. Könnte ja sein, dass ich falsch liege und mich dann bis auf die Knochen blamiere.«

»Ach, Sie alter Geheimniskrämer.«

»Das ›alter‹ nehmen Sie aber bitte zurück.«

Ein Angestellter des Hauses trat an ihren Tisch und teilte Gibbs mit, dass ein uniformierter Polizist im Foyer warte, der den Chief Inspector dringend sprechen wollte. Gibbs legte seine Serviette beiseite und folgte dem Hotelangestellten nach draußen. Im Foyer stand ein sichtlich nervöser junger Constable, der noch nervöser wurde, als er den berühmten Chief Inspector erblickte. Doch der ging freundlich auf ihn zu und fragte, was denn los sei. Der junge Mann nahm Haltung an und berichtete Gibbs, dass ein gewisser Paul Watford von Kingman Island im Revier angerufen habe und einen neuerlichen Mord gemeldet habe. Man habe ihm zugesagt, dass man die Nachricht sofort weiterleite. Gibbs bedankte sich bei dem jungen Mann und fragte ihn, ob er mit dem Wagen da sei. Doch der arme Kerl benutzte ein Fahrrad.

»Okay, Constable. Ich habe da einen sehr verantwortungsvollen Auftrag für Sie. Fahren Sie unverzüglich in Ihre Dienststelle und alarmieren Sie in meinem Auftrag das Team der Spurensicherung. Wenn es nicht anders geht, lassen Sie das den diensthabenden Beamten tun. Die Leute sollen so schnell wie möglich auf die Insel kommen. Hat dieser Mr Watford gesagt, um wen es sich bei dem Opfer handelt?«

Der junge Polizist schüttelte den Kopf.

»Ich war selbst nicht am Telefon, Sir, aber ich konnte einen Blick auf die Notizen meines Kollegen werfen. Es scheint sich um einen gewissen Blumenfeld zu handeln. Mehr weiß ich allerdings auch nicht.«

Gibbs pfiff leise durch die Zähne.

»Constable, an die Arbeit. Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe. Ich begebe mich schon mal zum Hafen und werde dort auf das Team der Spurensicherung warten.«

Der Constable, stolz, dass ihm ein so berühmter Kollege einen wichtigen Auftrag gegeben hatte, legte zackig die Hand an den Uniformhelm und verließ das Hotel im Laufschritt. Gibbs sah ihm nach und lächelte. So hatte er vor vielen Jahren auch angefangen.

Als er zu Melanie zurückkam, sah er, dass sie schnell ihr Frühstück beendet hatte und schon abmarschbereit war. Sie schaute Gibbs fragend an und hoffte, dass er ihre dunkle Vorahnung entkräften würde. Doch Gibbs tat ihr den Gefallen nicht.

»Wer ist es diesmal?«

»Ein gewisser Blumenfeld. Wir werden unsere Pläne etwas ändern müssen.«

Er gab ihr die Karte des Pathologen.

»Das übernehmen Sie. Nehmen Sie sich ein Taxi. Am besten bringen Sie ihn gleich mit zum Hafen. Ich habe die Spurensicherung ebenfalls dorthin beordert. Wir treffen uns dann bei der Anlegestelle der Hafenpolizei. Und bringen Sie Ihr Gepäck mit. Wir checken hier aus. Die nächsten Tage werden wir uns auf der Insel einnisten.«

*

Der Tross Polizisten, bestehend aus den Spezialisten der Spurensicherung, von denen einige bereits am Vortag mit von der Partie waren, dem Polizeiarzt, DS Poulsen und Chief Inspector Gibbs, traf am späten Vormittag auf Droughty Hall ein. Fast zur selben Stunde wie tags zuvor. Nur regnete es diesmal nicht. Schon auf der Überfahrt hatte sich Gibbs mit dem Pathologen unterhalten, der ihm das Ergebnis der Obduktion an Mark Kingman mitteilte. Er war, wie sie bereits wussten, schon tot, als man ihm den Dolch in die Brust rammte, doch der Tod war nicht auf natürlichem Weg eingetreten. Mark Kingman war an einer Überdosis seines Herzmittels gestorben, was Gibbs zu der Bemerkung veranlasste: »Dann haben wir es also mit einem echten und einem versuchten Mord zu tun. Dachte ich mir schon. Und jetzt kommt vielleicht noch ein zweiter Mord hinzu.«

Aber nicht nur das Wetter, auch die Stimmung unter den Gästen war diesmal anders. Während sich gestern niemand blicken ließ, als Scotland Yard einmarschierte, waren heute fast alle in der Eingangshalle versammelt oder warteten auf der Veranda in der Nähe des Portals. Angst und Panik waren mit Händen greifbar und den Polizisten schlug eine fast feindselige Stimmung entgegen. So, als wären sie daran schuld, dass es einen zweiten Todesfall im Hause Kingman gegeben hatte. Lediglich Watford war wie immer die Ruhe selbst und kam schnurstracks auf Gibbs und seine Assistentin zu und fragte, ob er sie gleich zum Tatort bringen sollte. Gibbs nickte, schnappte sich den Doktor und schickte sich an, Watford zu folgen.

Eine gut aussehende Blondine, die offensichtlich gerade dabei war, ihre besten Jahre hinter sich zu bringen, stellte sich ihm in den Weg. An ihrer Seite eine leise vor sich hin weinende junge Dame, um die sie schützend ihren Arm gelegt hatte.

»Inspector, Sie müssen unbedingt als Allererstes mit meiner Stieftochter Judy sprechen, sie hat den Toten gefunden.«

Gibbs war stehen geblieben. Wenn Gibbs etwas nicht leiden konnte, dann waren es Menschen, die ihm vorschreiben wollten, wie er seine Ermittlungen zu führen hatte. Und wenn diese Menschen auch noch weiblichen Geschlechts waren, dann sah Gibbs schon fast rot. Denn Gibbs war, auch wenn er es mit Sicherheit abgestritten hätte, durch und durch Macho.

»So, muss ich das? Zu allererst, Madam, werde ich mir ein Bild vom Tatort machen, wenn Sie gestatten.«

Die Blondine richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Sie überragte Gibbs um einiges. Mit hochgerecktem Kinn und böse funkelnden Augen herrschte sie ihn an: »Ich bestehe darauf, dass Sie sich zuerst die Aussage von Judy anhören. Das arme Kind wartet seit Stunden.«

»Darf ich fragen, wer Sie sind, dass Sie mir vorschreiben wollen, wie ich meine Arbeit zu tun habe?«

»Ich bin Genevieve Foucault-Kingman. Ich bin die Frau von Simon Kingman und das ist seine Tochter.«

»Gut, Miss Kingman.« Gibbs schaute dabei freundlich die sichtlich verstörte junge Dame an, ohne der Mutter auch nur einen Blick zu gönnen. »Ich verspreche Ihnen, ich bin in wenigen Minuten zurück. Dann höre ich mir an, was Sie zu sagen haben. Einverstanden?«

Judy Kingman nickte nur und zog, etwas peinlich berührt vom Auftritt ihrer Stiefmutter, Genevieve mit sich fort. Gibbs folgte den anderen, die langsam in den ersten Stock vorausgegangen waren. Sie mussten das hintere Treppenhaus benutzen, denn das Zimmer von Richard Blumenfeld lag zwar im selben Stockwerk wie die Räume von Mark Kingman und Irene Winters, doch gab es im ersten Stock keine Verbindung zum Ostflügel. Das heißt, es gab wohl eine solche Tür, wie Watford im Hinaufgehen erklärte, doch die war verschlossen und befand sich ausgerechnet in dem von Blumenfeld benutzten Zimmer.

Vor der Tür zum Zimmer von Richard Blumenfeld blieben Watford und der Doktor stehen. Als dem Leiter der Ermittlungen stand Gibbs das Recht zu, als Erster den Tatort zu inspizieren. Blumenfelds Zimmer war nicht sonderlich groß. Es hatte einen nahezu quadratischen Grundriss mit einem nach Norden gehenden, jetzt geschlossenen Fenster ohne Vorhänge. Die Einrichtung war spartanisch und ohne jede persönliche Note. Ein typisches Gästezimmer mit allem, was jemand benötigt, der nicht ständig in einem Haus wohnt: ein Bett, ein Tisch mit Stuhl, eine kleine Kommode und ein Kleiderschrank. Auf der Tapete über dem Bett war deutlich die Stelle zu erkennen, wo bis vor Kurzem noch der Kris, der malaiische Dolch hing, den man in Mark Kingmans Brust gefunden hatte. In der Wand gegenüber der Eingangstür...