Lieben und lieben lassen - Dare 5 - Roman

von: Carly Phillips

Heyne, 2016

ISBN: 9783641190729 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Lieben und lieben lassen - Dare 5 - Roman


 

2

Olivia arbeitete den ganzen Vormittag durch, doch gegen Mittag ertappte sie sich mehrfach dabei, dass sie auf die Uhr sah. Sosehr sie sich anfänglich dagegen gesträubt hatte, jetzt freute sie sich auf das Essen mit Dylan. Darauf, auszutesten, wohin die Sache mit ihm führen würde. Sie frischte ihr Make-up auf und kämmte sich die Haare, aber obwohl sie ihn erwartete, fuhr sie heftig zusammen, als es schließlich an der Tür klopfte.

Mit oder ohne Brille?, fragte sie sich, dann nahm sie das Gestell hastig ab. »Herein!«

Die Tür schwang auf, doch statt Dylan betrat Ian das Büro.

»Oh, ich hatte eigentlich Dylan erwartet«, stellte sie mit kaum verhohlener Ernüchterung fest.

Ihr Bruder, den so schnell nichts aus der Ruhe brachte, schnaubte belustigt. »Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss.«

Sie beschloss, nicht darauf einzugehen. »Was führt dich zu mir?« Und wie konnte sie ihn möglichst rasch wieder loswerden, ehe der Mann, mit dem sie zum Lunch verabredet war, hier aufkreuzte?

»Ein Notfall. Es geht um Big.« Ian sprach von Marcus Bigsby, dem Tight-End-Spieler von Miami Thunder, der von seinen Fans und den Medien wegen seiner massigen Gestalt »Big« genannt wurde. Marcus maß knapp zwei Meter, bewegte sich aber trotz seiner 113 Kilo solider Muskelmasse erstaunlich leichtfüßig.

Außerdem war er charmant und gut aussehend und hatte sich in den zwei Jahren, die er nun schon für Thunder spielte, zu einem absoluten Toptalent entwickelt. Wobei er auch davor schon ein phänomenaler Spieler gewesen war. Die Medien und die Fans liebten ihn, weil er so bodenständig und bescheiden war, und die Mädels strömten in Massen in die Stadien, um den blonden Hünen in Aktion zu bewundern. Und seit er seinen Vertrag bei Miami Thunder verlängert hatte, verdiente er sich damit eine goldene Nase.

»Oh-oh. Was ist jetzt wieder los?«

Ian rückte seine Krawatte zurecht. »Er hat gestern eine Party bei sich zu Hause veranstaltet. Irgendwann haben sich seine Nachbarn telefonisch bei der Polizei beschwert, und als die Bullen angerückt sind, haben sie die Freunde von Bigs Cousin doch glatt dabei erwischt, wie sie gerade in den Springbrunnen der besagten Nachbarn gepinkelt haben.«

»Igitt.« Olivia zog angewidert die Nase kraus.

»Typisch Wendell«, knurrte Ian. »Der Kerl macht in einer Tour Ärger.«

Und genau das war das Problem, das sie mit Big hatten. Sie hatten ihn ins Team geholt, weil er sich am College bei den Oklahoma Sooners einen Namen gemacht hatte. Er war der Jüngste von sieben Geschwistern und hatte als echtes Landei keine Ahnung vom Stadtleben. Außerdem wusste er nicht, wohin mit dem vielen Geld, das er neuerdings verdiente, und so ließ er sich ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Schon einige Male hatte er unkluge Entscheidungen getroffen und damit für negative Publicity gesorgt. Meist steckte sein Cousin Wendell dahinter, der in der großen Stadt, wie Bigs Familie Miami nannte, auf ihn aufpassen sollte.

Wendell war ein paar Jahre älter als Big, dafür aber weit weniger charmant und sympathisch. Eigentlich war er der große Football-Star der Familie Bigsby gewesen, doch dann hatte eine Verletzung seiner Karriere an der Highschool ein jähes Ende bereitet. Deshalb schien Wendell nun der Ansicht zu sein, dass ihm Marcus etwas schuldig war. Er sah nur, dass dieser haufenweise Geld scheffelte und nutzte ihn finanziell gewissenlos aus. Gerüchten zufolge hatte er sogar mit der Drogenszene von Miami zu tun, aber für Big zählte nur eines: Wendell gehörte zur Familie, und deshalb vertraute er ihm blind. Mit anderen Worten: Wendell stellte ein massives Problem dar.

Sie hatten das Problem bereits mehrfach mit Big diskutiert, hatten ihm auch schon Strafen aufgebrummt und versucht, ihm gute Ratschläge zu erteilen. Außerdem hatten sie ihm den Besuch eines Lehrgangs verordnet, in dem den Spielern ein solides Finanzmanagement und allerlei andere Fähigkeiten beigebracht wurden, die sie für das Leben nach ihrer Karriere als Profispieler benötigten. Ihr Stiefbruder Alex hatte sich besonders um Big gekümmert und nichts unversucht gelassen, um ihn zur Vernunft zu bringen und ihm zu helfen.

Olivia trommelte nachdenklich mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Hm. Solange Wendell hier ist, wird sich nichts ändern.«

»Genau darum geht es. Coach Carter wird Big vor die Wahl stellen: Entweder schickt er Wendell auf der Stelle nach Hause – noch vor dem Pro Bowl –, oder Big sitzt in der kommenden Saison auf der Ersatzbank.«

Olivia riss die Augen auf. »Das wird ihm das Herz brechen«, murmelte sie.

»Ich hoffe, es wird ihm den nötigen Antrieb liefern.« Ian sah auf die Uhr. »Carter bricht in fünf Minuten auf. Also dann los, mach dich auf den Weg zum Parkplatz!«

»Moment mal. Was hat das alles mit mir zu tun?«

»Big respektiert Coach Carter zwar, aber dich mag er, und er vertraut dir. Als er kürzlich von Wendell mit dieser Tussi verkuppelt wurde, wollte er Alex doch partout nicht glauben, das sie eine Prostituierte ist. Erst dir ist es dann gelungen, ihm die Augen zu öffnen.«

Olivia seufzte. »Er ist viel zu gutgläubig. Er konnte sich echt nicht vorstellen, dass diese Frau nicht um seinetwillen an ihm interessiert sein könnte. Ich musste ihm erklären, dass sie bestellt war und bezahlt wurde. Und Wendell war natürlich unauffindbar – wie immer, wenn Big ihn mal braucht.«

Olivia hatte ihn schließlich in einem Restaurant in der Nähe des Stadions aufgestöbert, wo er auf eine Frau gewartet hatte, die nicht die Absicht gehabt hatte zu erscheinen, weil man sie dafür nicht bezahlt hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie zwei und zwei zusammengezählt hatte, aber nachdem sie mit einigen von Bigs Teamkollegen gesprochen hatte, war ihr ein Licht aufgegangen. Es war ein unangenehmes Gespräch gewesen, aber irgendjemand hatte dem armen Jungen reinen Wein einschenken müssen, und die anderen Spieler hätten ihn wegen dieser Angelegenheit nur gnadenlos aufgezogen.

»Okay, okay, ich geh ja schon, aber warum gerade jetzt?«

»Weil Coach Carter es so will. Tut mir leid, Liv, aber wir brauchen dich.«

Sie nickte. »Ich sage nur eben Dylan Bescheid«, brummte sie sichtlich wenig erfreut.

Und sobald er sich umgedreht und ihr Büro verlassen hatte, streckte sie ihm die Zunge heraus. Die kindische Geste konnte sie zwar nicht trösten, aber alte Gewohnheiten legte man eben nicht so schnell ab.

War ja klar. Kaum hatte sie sich dazu durchgerungen, Rileys Rat zu beherzigen und Dylan zu erhören, da kam ihr die Arbeit in die Quere.

***

Dylan war zwar enttäuscht, weil Olivia das Mittagessen mit ihm hatte absagen müssen, aber er hatte vollstes Verständnis. Ihm war sonnenklar, dass er im Rahmen der Reise zum Pro Bowl in Arizona mit Marcus Bigsby alle Hände voll zu tun haben würde und ihm sehr geholfen war, wenn sie den Jungen dazu bringen konnte, seinen Cousin Wendell nach Hause zu schicken. Big war einfach noch ein Kind. Dylan war zwar selbst erst dreißig, aber er hatte schon als Teenager weit mehr Lebenserfahrung gesammelt als Marcus in seinem gesamten bisherigen Leben.

Dylan schüttelte den Kopf. Da er auf ein Essen in der Cafeteria wenig Lust hatte, beschloss er, stattdessen seiner Ex einen Besuch abzustatten. Meg hatte ihm auf den AB gesprochen und kundgetan, dass sie mit ihm reden wollte, und die Gelegenheit war günstig. Natürlich hätte er sie auch einfach zurückrufen können, aber ihm war nicht entgangen, wie angespannt sie geklungen hatte. Leider zog Meg Probleme geradezu magisch an. Besser gesagt, sie zog Männer, die Probleme machten, geradezu magisch an. Und wenn ihr wieder einmal einer ihrer Bad Boys, wie sie sie nannte, Kummer bereitet hatte, weinte sie sich gern an Dylans Schulter aus. Wann immer es Schwierigkeiten gab, war Dylan bereitwillig zur Stelle. Er hatte stets ein offenes Ohr für Frauen in Not – insbesondere für seine Schwester und seine Ex.

Meg war Lehrerin und hatte mittags eine Stunde frei, wie er wusste. Für gewöhnlich erledigte sie in dieser Zeit die Vorbereitung für den nächsten Tag. Also fuhr er rasch zu ihrer Schule und begab sich schnurstracks in das Klassenzimmer, in dem sie unterrichtete. Als er eintrat, verstaute Meg gerade ein paar Dosen mit Fingerfarben in einem Schrank an der Stirnseite des Raumes und machte sich dann daran, mit einem Lappen die kleinen Tische zu säubern. Sie summte vor sich hin, und ihr hellbraunes, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar wippte.

Dylan räusperte sich. »Hi, Meg.«

Sie fuhr herum. »Hi!«, rief sie lächelnd und trat zu ihm, um ihn mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen, wobei sie die mit Farbe beschmierten Hände seitlich von sich streckte, um keine Spuren auf seiner Kleidung zu hinterlassen. »Warte, ich wasche mir schnell die Hände. Was treibst du denn hier?«

»Na ja, du hattest mich doch angerufen und um ein Gespräch gebeten.«

Sie musterte ihn ungläubig. »Aber deswegen hättest du doch nicht gleich persönlich vorbeikommen müssen.«

»Ich weiß, aber ich hatte gerade Zeit.«

Sie säuberte ihre Hände in einem kleinen Waschbecken und gesellte sich wieder zu ihm. »Willst du die Hälfte von meinem Thunfischsandwich?«, fragte sie und kramte eine Plastiktüte aus ihrer Handtasche.

Er nickte. »Warum nicht? So hatte ich mir mein Mittagessen zwar eigentlich nicht vorgestellt, aber okay …«

Sie nahmen an ihrem Schreibtisch Platz und verdrückten schweigend das Sandwich, das sie von zu Hause...