Walter Ulbricht - Eine deutsche Biografie

von: Mario Frank

Siedler, 2009

ISBN: 9783641010409 , 540 Seiten

Format: ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Walter Ulbricht - Eine deutsche Biografie


 

Auf dem Abstellgleis: 1971–1973 (S. 429-432)

Bis Mitte der sechziger Jahre hatte Ulbricht nach dem Urteil seines Leibarztes, Arno Linke, über eine für sein Alter hervorragende körperliche Verfassung verfügt: »Es war für mich immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie gut mein Patient diese langen Tage mit abendlichen Anstrengungen verkraftete . . . Nur in den allerseltensten Fällen ließ er sich sichtlich erschöpft in den Sessel sinken.«

Abgesehen von einer Gallenblasenoperation, die Ulbricht im Moskauer Kreml-Krankenhaus vornehmen ließ, hatte er keine größeren operativen Eingriffe über sich ergehen lassen müssen. Sein einziges erwähnenswertes gesundheitliches Problem waren starke Blutdruckschwankungen, unter denen er seit vielen Jahren litt. Ab 1969 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand altersbedingt rapide. Nach einer Ischämie, einer Mangeldurchblutung der Herzkranzgefäße, im Januar 1966 kam es im Sommer 1969 zu einem erneuten Problem mit dem Herzen, in dessen Folge sich Ulbrichts Gesamtzustand merklich verschlimmerte.

Ein grippaler Infekt im Oktober 1969 zog eine weitere Verschlechterung der biologischen Leistungskurve nach sich. Hinzu kam ein langsamer, permanenter Anstieg des Blutdrucks. Ausgiebige Kuren in Barwicha brachten vorübergehend Linderung. Als Arno Linke Ulbricht und seine Frau Mitte März 1971 von der Kur abholte, hielt er erfreut fest, dass der Aufenthalt seinem Patienten gut getan hatte: »Alle klinischen Parameter waren sogar besser, als altersgemäß zu erwarten war. Die Blutgerinnungswerte, die mir am meisten Sorge bereiteten, lagen nach seiner Rückkehr im Normbereich.«

Nur vier Monate später, nach seinem zwangsweisen Rücktritt, war Ulbricht ein todkranker Mann. Arno Linke hatte seinen Patienten zwischenzeitlich immer wieder auf die erhöhten Blutdruckwerte aufgrund der Arteriosklerose der Gefäßwände hingewiesen. Ulbricht hatte jedes Mal geantwortet: »Bis Ende Juni muss ich durchhalten, dann machen Sie mit mir, was Sie wollen, Doktor!«3 Der SED-Chef mutete sich zu viel zu. Der 14. Juni 1971, der Vorabend des achten Parteitags der SED, war ein schwül-heißer Tag. Wie sehr Ulbricht seinem Nachfolger rein physisch immer noch im Weg stand, machte die Begrüßungsszene bei Breschnews Ankunft auf dem Flughafen in Berlin-Schönefeld deutlich.

Der sowjetische Parteichef hatte noch nicht die Gangway verlassen, als Honecker sich vor laufenden Fernsehkameras an Ulbricht vorbeidrängte und diesen rüde zur Seite schob, um Breschnew als Erster den Bruderkuss auf die Wange drücken zu können. Am selben Abend nahm Ulbricht trotz der Anstrengungen des Tages noch am Empfang für die ausländischen Gäste teil. Als er endlich zu Hause war, erlitt er einen Kreislaufkollaps und wäre ohnmächtig zusammengebrochen, wenn es seiner Frau nicht noch mit größter Anstrengung gelungen wäre, ihn ins Bett zu bringen. Um 22.30 Uhr schrillte bei Arno Linke das Telefon, und eine erregte Stimme rief ihn in das Haus sieben in Wandlitz.

»Ulbricht lag leicht erhöht, durch ein Kissen gestützt, auf seinem Bett. Dunkle Ringe umschatteten seine Augen. Aus weit geöffneten Pupillen blickte er mir angstvoll entgegen . . . Tiefe Falten lagen um seinen Mund. Auf seinem bleichen Gesicht stand kalter Schweiß. Angestrengt und oberflächlich atmete er, und als ich die Pulsfrequenz maß, erschrak ich. Vor etwa drei Stunden noch relativ kräftig, war sein Puls jetzt klein, beschleunigt, unregelmäßig und kaum mehr zu tasten.«Jedes Wort über eine Teilnahme Ulbrichts am morgigen Parteitag erübrigte sich angesichts dieses Gesundheitszustandes. So musste seine Rede, an der er so intensiv gearbeitet hatte, statt seiner vom Politbüromitglied Hermann Axen verlesen werden.