Maßnahmen bei psychisch kranken Straftätern - Ein Vergleich zwischen Deutschland und Japan

Maßnahmen bei psychisch kranken Straftätern - Ein Vergleich zwischen Deutschland und Japan

von: Yuri Yamanaka

Herbert Utz Verlag , 2008

ISBN: 9783831608294 , 345 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 38,99 EUR

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Maßnahmen bei psychisch kranken Straftätern - Ein Vergleich zwischen Deutschland und Japan


 

3. Deutsches System (S. 96-98)

Die folgende Darstellung des deutschen Systems beginnt mit einem Überblick über das Prinzip der Zweispurigkeit. Danach sollen die allgemeinen Gründsätze der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB sowie der allgemeine Verlauf des Maßregelvollzugs in Deutschland, am Beispiel des Maßregelvollzugs in Bayern veranschaulicht werden. Außerdem sollen die wichtigsten Elemente des Maßregelvollzugs (Lockerung, Führungsaufsicht, ambulante Nachsorge) sowie einige allgemeine Probleme in Bezug auf die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB dargestellt werden.

3.1 Zweispurigkeit

Die Strafe im deutschen Strafgesetzbuch setzt die Schuld des Täters voraus. Bestraft werden darf der Täter nur dann, wenn ihm die begangene Tat zum Vorwurf gemacht werden kann. Aufgabe des Strafrechts ist sowohl der Ausgleich von Schuld als auch die damit einhergehende Verdeutlichung und Bekräftigung der Normgeltung und der präventive Rechtsgüterschutz. Das Strafrecht kann jedoch bei folgenden zwei Gruppen von Tätern die letztere Aufgabe nicht allein mit dem Instrument der Strafe vollständig erfüllen:

1. Tätern, gegenüber denen trotz der Gefahr von künftigen weiteren rechtswidrigen Taten ein Schuldvorwurf z.B. wegen einer psychischen Erkrankung nicht erhoben werden kann.

2. Tätern, bei denen die Strafe nicht ausreicht, um die Gefahr weiterer schwerer Taten wirksam zu bannen.

Das deutsche Strafgesetzbuch sieht für diese Konstellationen die sog. „zweite Spur“ der strafrechtlichen Sanktion, d.h. die Maßregel vor. Dabei spricht Jakobs von „strafersetzenden Maßregeln“ (gegenüber den unter 1. genannten Tätern) sowie von „strafergänzenden“ Reaktionen (gegenüber den unter 2. genannten Tätern). Die Idee, das System der Strafen durch ein System weiterer strafrechtlicher Reaktionsmittel zu ergänzen, verwirklichte zuerst Carl Stooß im Jahre 1893 in seinen Entwürfen für ein schweizerisches Strafgesetzbuch. In Deutschland setzte sich Franz von Liszt als führender Kopf der Reformbewegung für die Einführung der Zweispurigkeit ein. Nach längeren heftigen Auseinandersetzungen, dem sog. Schulenstreit, setzte sich in Deutschland die Meinung durch, dass die Strafe zwar weiterhin an der Schuld orientiert bleiben müsse oder solle, aber dort, wo sie den erforderlichen Präventionszwecken allein nicht genüge, durch Maßregeln zu ergänzen sei. Nachdem das System der Zweispurigkeit in den Entwürfen übernommen wurde, wurde zuletzt die Maßregel durch das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ (abgekürzt: Gewohnheitsverbrechergesetz) vom 24.11.1933 in das StGB eingefügt. Da das Gesetz mit Ausnahme der Einführung der Zwangskastration als Maßregel (§ 42k StGB a.F.) im Großen und Ganzen kein typisch nationalsozialistisches Unrecht enthielt, blieb es mit gewissen Bereinigungen, Modifizierungen und wichtigen Ergänzungen auch nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ bestehen. Das zweispurige System ist auch bei der Strafrechtsreform von 1969 erhalten geblieben, d.h. das System der Zweispurigkeit insgesamt wurde nicht mehr in Frage gestellt. Die Umgestaltung durch das erste und zweite StrRG zeigte lediglich, dass das System einer Anpassung an die neuere rechts- und kriminalpolitische Entwicklung bedurfte. Die Zweispurigkeit von Strafen und Maßregeln ist damit heute trotz einzelner Krisensymptome ein fest etabliertes Grundelement des deutschen Sanktionssystems.

Das StGB kennt drei freiheitsentziehende Maßregeln (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung) sowie drei Maßregeln ohne Freiheitsentzug (Führungsaufsicht, Entziehung der Fahrerlaubnis und Berufsverbot). Genereller Zweck all dieser Maßregeln ist die Gefahrenabwehr, die Vorbeugung gegenüber künftigen Straftaten und damit speziell der Schutz von Interessen der öffentlichen Sicherheit. Somit handelt es sich um auf den einzelnen gefährlichen Täter bezogene spezialpräventiv-zweckgerichtete Maßnahmen. Zu Recht wird die Rechtfertigung der Maßregel aus der verfassungsrechtlich verankerten Schutzverpflichtung des Staates abgeleitet und auf das Prinzip des überwiegenden öffentlichen Interesses gestützt.