Pink Christmas 5 - Andere Weihnachtsgeschichten

von: Manuel Sandrino, Akira Arenth, Marc Förster, Andy Claus, Felix Demant-Eue, Marc Weiherhof, Lothar Ni

Himmelstürmer Verlag, 2015

ISBN: 9783863614980 , 242 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Pink Christmas 5 - Andere Weihnachtsgeschichten


 


 
Das Geschenk


Mit dem Einbruch der Dämmerung beginnt es zu schneien. Paul steht am Fenster und beobachtet das Flockengestöber unter dem Licht der Straßenlaterne vor dem Haus; einem Schleier gleich, bauscht es sich im Wind. Paul merkt, dass Raphael hinter ihn getreten ist, noch bevor dieser seine Arme um ihn legt.

„Wer hätte das gedacht?“, sagt er leise. Paul spürt Raphaels Wange an seinem Kopf.

„Dass es heute noch schneit?“

Paul nickt.

„Das war doch klar“, meint Raphael.

Paul schaut ihn fragend an.

„Musste es. Weil das heute der perfekte Weihnachtsabend wird. Und dazu gehört auch das winter wonderland rund ums Haus.“

„Du Kitschonkel!“

Raphael zieht Paul an sich. „Ich finde den Ausdruck Romantiker passender.“

Paul windet sich aus seinen Armen. „Ich bin mir nicht so sicher, dass der Abend perfekt wird“, meint er. „Ich kenne meine Mutter.“

„Wir haben das so schön geplant“, entgegnet Raphael.

„Planen kann man vieles.“

„Alles wird gut.“ Raphael grinst: „Außer, der Truthahn brennt an.“

Wortlos blickt ihm Paul in die Augen. Schließlich entspannt er sich. „Dann kümmere ich mich wohl besser um den guten Vogel.“

 

Eine Stunde später stehen Pauls Mutter und seine Schwester Katrin vor der Tür.

„Ich habe das Auto gar nicht gehört!“ Raphaels Ausruf klingt in seinen eigenen Ohren zu laut.

„Es liegt schon ziemlich viel Schnee“, meint Katrin.

„Das ist mit das Schönste dran“, sagt Paul. „Dass er die Geräusche dämpft.“

„Wird die Zufahrtsstraße denn geräumt?“, will Pauls Mutter wissen.

Raphael zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es ist unser erster Winter hier im Haus.“

„Wenn es so weiterschneit“, lacht Katrin. „müssen wir die Nacht über hier bleiben.“

„Ihr könnt das Bett haben“, schlägt Raphael vor. „Wir schlafen auf dem Sofa im Wohnzimmer. Das kann man zu einem Bett ausziehen.“

Raphael nimmt Pauls Mutter den Mantel ab und bemerkt deshalb ihren irritierten Blick nicht.

„Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie auch da sind“, meint sie, als sie sich wieder gegenüber stehen. Sie sagt es zwar mit einem Lächeln und dem wie immer betont sanften Klang der Stimme, doch auf Raphael wirkt ihre Freundlichkeit bemüht und unecht.

„Alleine wär’s in Wien ein bisschen einsam gewesen“, versucht Raphael eine möglichst unverfängliche Antwort.

„Es gibt doch noch andere Mitbewohner in eurer WG.“

„Die sind alle bei ihren Familien.“ Raphael hat das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. „Ich habe keine Eltern mehr. Sie sind vor zwei Jahren …“

„Jaja, ich weiß!“ Pauls Mutter unterbricht ihn mit einer knappen Geste. „Dieser Unfall.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Paul hat mir davon erzählt. Eine schreckliche Sache.“

Für einen Moment hat es den Anschein, als wäre da echtes Mitgefühl und als wollte sie noch etwas sagen. Dann aber entdeckt sie ihren Sohn in der Tür zur Küche und eilt auf ihn zu.

„Du weißt doch, dass Raffi und ich das Haus gemeinsam gekauft und renoviert haben“, meint Paul an Stelle einer Begrüßung.

„Ich habe mich eh schon gefragt …“

Paul lässt sie nicht weiterreden. „Dann ist doch auch logisch, dass er hier ist. Aber egal: Schön, dass ihr gekommen seid!“

Paul umarmt seine Mutter. Seine Schwester drückt sich merklich länger an ihn.

„Hallo, kleine Schwester.“

„Hallo, großer Bruder.“

„Geht’s dir gut?“

Katrin neigt den Kopf. „Klammern wir mal das Thema Männer aus, dann kann ich nicht klagen.“

„Welcher Mann könnte dir widerstehen“, entgegnet ihr Paul. Das kurze schwarze Kleid, die glitzernden Pailletten: „Du schaust toll aus!“

Katrin schließt mit ihrer Handbewegung die beiden Männer ein. „Ihr habt euch aber auch fein gemacht! Dunkelgraue Anzüge – wow!“

Paul lächelt. „Nur die Krawatten haben wir weggelassen.“

„Ich habe mich ja auch zurückgehalten“, wirft die Mutter ein. Sie stellt ein Bein vor das andere, um ihren schwarzen Hosenanzug und die hohen Schuhe zur Geltung zu bringen.

„Hast du all deinen Goldschmuck genommen“, neckt sie Paul, „oder einen kleinen Rest zu Hause gelassen?“

„Was verstehst denn du von Mode?“, tut sie seinen Einwand ab. „Obwohl: Ich muss zugeben, du schaust wirklich gut aus, Paul. Die Damenwelt müsste Schlange stehen.“

Raphael steht hinter Paul, dieser drückt ganz kurz seine Hand, ohne dass es eine der beiden Frauen mitbekommt. „Vielleicht sind Schlange stehende Damen nicht mein Lebensziel, Mama.“

Bevor die Mutter, die wie eine Inspizientin das Wohnzimmer durchschreitet, darauf etwas erwidern kann, mischt sich Katrin ein:

„Ich bin schon auf eure große Überraschung gespannt.“

„Welche Überraschung?“

„Paul hat eine angekündigt“, sagt Katrin.

„Mir hat er nichts davon gesagt!“

„Weil mir klar war, dass du dann keine Ruhe gibst, bis du alles weißt“, entgegnet ihr Paul bemüht locker.

Seine Mutter segelt auf ihn zu.

„Dann sag schon! Was ist es?“

„Die Überraschung muss noch eine Weile warten“, wehrt Paul ab. „Wir essen in einer halben Stunde. Dann gibt’s die Bescherung samt Überraschung.“

„Sie wissen sicherlich mehr!“ Pauls Mutter hat sich vor Raphael aufgebaut.

Die Situation ist Raphael unangenehm. „Naja“, druckst er herum, „ich habe natürlich so eine Ahnung …“

„Geduld, Geduld!“ Paul zieht seine Mutter von Raphael fort. Zu seiner Schwester verdreht er übertrieben theatralisch die Augen: „Du hättest nichts sagen sollen.“

„Ich hole den Sekt“, schlägt Raphael vor.

„Ich komme mit“, sagt Paul. „Macht es euch mal gemütlich. Ich muss den Truthahn nur noch einmal mit Bratensaft übergießen, auch das Rotkraut und die Maroni sind fast fertig. Die Serviettenknödel kommen ins Wasser, dann können wir anstoßen.“

Als die Küchentür hinter ihnen zufällt, stehen sie einen Augenblick nur so da und schauen sich an.

„Ich möchte sie auf den Mond schießen“, meint Paul dann. Und als Raphael nicht gleich antwortet: „Warum sagst du nichts?“

„Sie ist deine Mutter. Den Knopf zum Abschuss musst du selbst drücken.“ Und der Versuch eines Scherzes: „Aber wenn es so weitergeht, halte ich dir dabei liebend gern die Hand.“

Paul kommt einen Schritt auf ihn zu. „Ich hätte Lust darauf, dass du mir bei etwas ganz anderem die Hand hältst …“

„Darauf hätte ich auch Lust“, meint Raphael. „Aber mit deiner Mutter und Katrin nebenan wird das wohl nicht gut möglich sein.“

„Heute Nacht, wenn sie schlafen …“

„Wenn sie nebenan schlafen?“

„Ich meine, falls sie wegen dem Schnee nicht fahren können. Dann müssen wir ganz leise sein.“

„Klingt cool.“

Paul küsst Raphael auf den Mund, doch ein Geräusch von der Tür lässt ihn zurückzucken.

„Wie war das mit Sekt?“

Paul ist sich ziemlich sicher, dass Katrin nichts gesehen hat, und fragt sich gleichzeitig, was denn so schlimm daran wäre, wenn es anders wäre.

Raphael steht schon am Kühlschrank. „Kommt sofort!“, verkündet er.

„Die Gläser sind im Wohnzimmer“, sagt Paul.

Katrins Blick mustert sie abwechselnd. „Dann füllen wir die Mama ab“, meint sie schließlich. „Ich hoffe, dass bei ihr mit dem Alkohollevel auch die Weihnachtsstimmung steigt.“

„Halleluja!“, ruft Paul, bevor er den ersten Serviettenknödel ins kochende Wasser legt.

Die Kerzen auf dem Adventskranz, der von dem Kiefernbalken über dem Esstisch hängt, sind schon ein gutes Stück heruntergebrannt, als Katrin als letzte ihr Besteck weglegt.

„Ich kann beim besten Willen nicht mehr“, seufzt sie und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. „Das Essen war extrem lecker. Bruderherz, das hast du gut gemacht. Und natürlich du auch, Raphael“, fügt sie hinzu.

Die beiden Männer tauschen einen raschen Blick aus.

„Fürs Kochen war Paul fast ganz allein zuständig“, erklärt Raphael. „In diesem Punkt bin ich keine große Begabung.“

„Aber beim Renovieren hattest du die besten Ideen“, wirft Paul ein und scherzt: „Ausgleich und Gleichstand.“

„Dann kann ich ja gleich weitermachen mit meinen Lobpreisungen“,...