Royal Passion - Roman

von: Geneva Lee

Blanvalet, 2015

ISBN: 9783641182007 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Royal Passion - Roman


 

2

Ich war so in Gedanken an den Fremden und unseren Kuss versunken, dass ich Belle erst bemerkte, als sie sich ein weiteres Mal auf mich stürzte. Strahlend packte sie mich am Handgelenk und zerrte mich in Richtung Bar. Die meisten umstehenden Gäste bemerkten vermutlich gar nicht, dass sie die Augen ein klein wenig zusammenkniff, aber ich wusste sehr wohl, was es zu bedeuten hatte: Ich steckte in Schwierigkeiten. Der Kuss – dieser unfassbare Kuss – hatte mich derart aus der Bahn geworfen, dass ich keinerlei Lust auf eine Auseinandersetzung verspürte.

»Was zum Teufel sollte das denn gerade?«, fragte sie und knallte mir ein Schälchen mit Nüssen hin.

»Ich habe keinen Hunger.« Essen war so ziemlich das Letzte, wonach mir der Sinn stand.

»Bist du jetzt schon blau? Zwing mich nicht, sie dir reinzuschieben.«

»Ich bin nicht betrunken«, wandte ich ein, obwohl ich mich ganz so fühlte. Seine Lippen. Sein Geschmack. Der Druck seines Körpers. Hitze stieg in mir auf; am liebsten hätte ich mir Luft zugefächelt.

»Clara.« Belle schnippte mit den Fingern vor meiner Nase. Ich schüttelte den Kopf und starrte sie stumm an. »Ich habe gerade gesagt, du hättest mit meinem Bruder zumindest etwas trinken können.«

»Tut mir leid.« Es tat mir wirklich leid, dass ich sie vor ihrem Bruder so in Verlegenheit gebracht hatte, aber anders würde sie nie begreifen, dass ihre Verkuppelungsversuche unerwünscht waren. Seit einer höchst unrühmlichen Episode in ihrer Familie vor einigen Jahren wusste Belle, was es hieß, in der Öffentlichkeit gedemütigt zu werden. Diese Karte spielte ich nur sehr ungern aus, aber eine andere Sprache verstand sie nicht. Trotzdem – wir waren hier bei unserer Abschlussfeier.

»Ich dachte, ich hätte meine Mutter gesehen«, schwindelte ich.

Belles Züge wurden weich. Sie nahm eine Handvoll Nüsse aus dem Schälchen und hielt sie mir hin. »Hier, Proteine. Die wirst du brauchen.«

Damit mochte sie recht haben, auch wenn meine Ausrede eine glatte Lüge gewesen war. Meine Mutter sollte heute hier sein, und sie würde zweifellos noch auftauchen. Ohne Einladung würde sie niemals einen Fuß in den Oxford and Cambridge Club setzen können, und es wurden einige der einflussreichsten Familien Englands erwartet – eine Gelegenheit, die sich Madeline Bishop keinesfalls entgehen lassen würde. Da es sich um eine private Feier handelte, war die Presse nicht erwünscht, aber mit ein bisschen Glück drückte sich der eine oder andere Paparazzo vor dem Eingang herum. Eigentlich interessierte sich kaum jemand für unsere Familie, aber seit meine Eltern vor vierzehn Jahren zu Reichtum gekommen waren, suchte meine Mutter die Öffentlichkeit, was mir immer ein wenig peinlich war. Ich war alles andere als scharf darauf, sie zu sehen, was Belle nur zu gut verstand.

»Danke.« Erst als ich die Nüsse kaute, merkte ich, dass ich völlig ausgehungert war. Ich sah auf die Uhr auf einem der Kaminsimse und stöhnte. Seit über sechs Stunden hatte ich keinen Bissen zu mir genommen.

»Ich will nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass du bei deiner Abschlussfeier auch noch ohnmächtig wirst«, sagte Belle zwinkernd. Sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich zwischen der stressigen Zeremonie und der Party vergessen haben würde, etwas zu essen. »Nicht hinsehen, aber die Bishops sind gerade eingetroffen«, sagte sie.

»Gott schütze die Königin«, murmelte ich, holte tief Luft und schob mir noch ein paar Nüsse in den Mund – auf die später ein anständiger Bourbon würde folgen müssen, das stand jetzt schon fest. Ich drehte mich um und sah meine Mutter in einem atemberaubenden, wenn auch viel zu kurzen pfauenblauen Kleid, das sich wie eine zweite Haut um ihren eindrucksvoll athletischen Körper schmiegte, aber trotzdem viel zu mädchenhaft für ihr Alter war. Es war absolut unfair, dass sie besser in Form war als ich, andererseits betrachtete sie es als ihre Hauptaufgabe im Leben, sich um ihr Äußeres zu kümmern.

Ich sah, wie sie, eine Hand kunstvoll auf die Perlenkette um ihren Hals gelegt, den Blick umherschweifen ließ. Sie mochte keine gebürtige Britin sein, hielt jedoch locker mit all den Aristokraten im Raum mit – sie stand hocherhobenen Hauptes da, die Nase gereckt, ein wohlwollendes Lächeln auf den Lippen, als beehre sie einen Raum voller Lakaien mit ihrer Anwesenheit.

Ich holte tief Luft und winkte ihr zu.

»Die letzte Gelegenheit, noch zu verschwinden«, raunte ich Belle zu.

»Und dich allein lassen? Vergiss es! Aber dafür schuldest du mir was. Mindestens eine gute Flasche Wein.« Sie drückte mir einen Whiskey in die Hand – sie wusste nur zu gut, was ich brauchte, um diese Begegnung unbeschadet zu überstehen.

»Deal.« Allerdings würde eine Flasche Wein vermutlich nicht reichen.

»Clara, liebstes Kind!« Mom kam angerauscht und hauchte mir rechts und links zarte Küsschen auf die Wangen. Zuneigungsbekundungen von ihr waren so zerbrechlich wie der Flügel eines Schmetterlings. Gefühle werden so leicht enttäuscht, hatte sie einmal zu mir gesagt, deshalb solle man besser sparsam mit ihnen umgehen. Schon von Kindesbeinen an hatte ich mitbekommen, dass sie dieses Prinzip auch in ihrer Ehe anwendete.

Dad streckte mir die Hand hin und zog mich an sich, als ich sie ergriff. »Clare-Bear, du hast es geschafft!«

Der Klang meines Spitznamens trieb mir die Röte ins Gesicht. Mein Dad behandelte meine Mutter zwar wie ein rohes Ei, teilte aber ihre Meinung nicht, die Liebe sei ein zerbrechliches Gut.

»Sie ist jetzt eine Uniabsolventin!« Voller Stolz warf Mom sich in die Brust, was ihr nicht gerade dezente Bewunderungsblicke der umstehenden Männer einbrachte. »Und dann auch noch Oxford.«

»Auf mein Mädchen!« Mit einem Anflug von Rührung sah ich zu, wie Dad sein Glas hob.

Es war von Anfang an ziemlich klar gewesen, dass ich studieren würde, auch wenn mein Vater seinen Abschluss damals nur mit Ach und Krach geschafft hatte. Meine Mom hatte weniger Glück gehabt – es war ein komisches Gefühl zu wissen, dass sie hergekommen war, um ausgerechnet den Menschen zu feiern, der ihre eigenen Karrierepläne vermasselt hatte.

»Eine künftige Nobelpreisträgerin. Die Hoffnung Englands«, fuhr Dad fort.

Ich verdrehte die Augen. »Wohl eher der Laufbursche des künftigen Nobelpreisträgers.«

»Jeder fängt mal klein an«, meinte er. »Gandhi hat auch nicht vom ersten Tag an Heldentaten vollbracht.«

Das bezweifelte ich nicht, aber allein beim Gedanken an den Job, den ich an Land gezogen hatte, wurde mir leicht übel. Zum Glück blieben mir noch gut zwei Wochen, bis ich ihn antreten musste, und bis dahin hatte ich noch jede Menge zu erledigen, um mich abzulenken. »In den Hungerstreik werde ich jedenfalls nicht treten«, versprach ich.

Meine Mutter erstarrte. »Das war geschmacklos.«

»Entschuldigung. War nur ein Scherz.«

»Hier drinnen ist es so stickig.« Sie fächelte sich Luft zu.

Dad lächelte zärtlich. »Dann lass uns ein anderes Plätzchen für dich suchen.«

Das war die passiv-aggressive Standardtaktik meiner Mutter – ständig in Bewegung zu sein. Die Aussicht mochte noch so schön, ihr Tischherr beim Dinner noch so faszinierend, die Party noch so exklusiv und hochkarätig sein, sie hatte pausenlos Angst, irgendetwas zu verpassen. Sie war überzeugt davon, dass hinter der nächsten Ecke eine noch bessere Gelegenheit oder jemand noch Wichtigeres darauf wartete, von ihr entdeckt zu werden. Aus diesem Grund war meine Familie in den ersten Jahren, nachdem meine Eltern ihre Internetfirma verkauft hatten, ununterbrochen umgezogen. Erst vor sechs Jahren, nach dem Umzug von Los Angeles nach Kensington, hatte mein Vater endlich ein Machtwort gesprochen und erklärt, dass jetzt endgültig Schluss damit sei. Das Haus, in dem sie wohnten, war das feudalste von allen, mit einer feudalen Adresse – direkt gegenüber dieser berühmten Expopsängerin, die mit diesem berühmten Fußballspieler verheiratet war. In den ersten Jahren hatte meine Mutter Ruhe gegeben, aber neuerdings machte sie immer wieder Andeutungen, dass sie bereit für einen weiteren Ortswechsel wäre. Genauer gesagt zog es sie ins Grüne. Ich musste meinem Dad zugutehalten, dass er bisher nicht recht mitzog, was sie jedoch nicht davon abhielt, einen Immobilienmakler zu engagieren. Alle paar Monate schleppte sie mich zu irgendwelchen Besichtigungsterminen – sie hatte angedeutet, ein Haus für mich kaufen zu wollen, aber das würde ich auf keinen Fall zulassen. Meine Eltern hatten mir das Studium finanziert, und ich hatte im Gegenzug die Ansprüche meiner Mutter und ihre neugierigen Fragen über mein Privatleben ertragen müssen, aber nun, da ich erwachsen war und einen bezahlten Job hatte, verspürte ich keinerlei Lust, noch weiter unter ihrer Fuchtel zu bleiben.

»Hast du dir schon Gedanken gemacht, wo du wohnen willst, jetzt, wo du wieder in die Stadt kommst, Clara?«, fragte sie und hakte sich bei mir unter – wieder mal stellte sie damit ihr untrügliches Gespür für das unter Beweis, was mir gerade im Kopf herumging.

Bei euch jedenfalls nicht, dachte ich. Meine Mutter wusste nur zu gut, dass mir London immer noch fremd und ein bisschen unheimlich war; schließlich waren mir nach unserem Umzug nach England nur ein paar Wochen geblieben, ehe ich an die Uni gegangen war. Trotzdem wollte ich auf keinen Fall wieder bei ihnen einziehen. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich bei Belle unterkomme.«

»Aber Belle heiratet bald«, meinte sie, drehte sich um und strahlte Belle an. »Sie müssen mir unbedingt alles über die...