Wie erinnert man in Russland an den Krieg? Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg im heutigen Russland

von: Ivan Kulnev

Bachelor + Master Publishing, 2015

ISBN: 9783958206724 , 34 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Wie erinnert man in Russland an den Krieg? Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg im heutigen Russland


 

Textprobe: Kapitel 2, Die Geburt des Siegesnarratives: Erstmals wurde die gesamte Macht des sowjetischen Staates zur Schaffung des Erinnerungssymbols 'Sieg im Krieg' anlässlich der Feiern zum 20. Jahrestag des Kriegsendes am 9. Mai 1965 entfaltet. Das Jubiläum des Sieges wurde pompös gefeiert, im Land wurden zahlreiche monumentale Denkmäler und Gedenkstätten eingeweiht. Der 9. Mai wurde wieder zum arbeitsfreien Tag erklärt. Ab 1965 wurde das Gedenken an den Triumph des 'Großen Vaterländischen Krieges' zum zentralen Element für das Selbstverständnis der sowjetischen Führung. 'Feiertage wie der 'Tag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg' waren ein wichtiges Instrument, um Herrschaft zu legitimieren sowie Herrschaftsansprüche zu artikulieren. 'Geschichte' diente als säkularer Religionsersatz, als Mobilisierungsressource zur Stärkung des Sowjetsystems'. Mit solchen Feiertagen versuchte das sowjetische Regime die Bevölkerung aller Nationalitäten des großen Landes miteinander zu verbinden und, ein Monolith in Form des einheitlichen sowjetischen Volkes zu schaffen, um die 'Festung des sowjetischen Imperiums zu festigen'. Die schöne Fassadenseite des Krieges - der Sieg wurde in diesem Sinne dem ganzen sowjetischen Volk geschenkt: 'In den Filmen über den Krieg entstanden zu Klischees gerinnende Muster: der fröhlich-listige Ukrainer, der lyrische Georgier, der schweigsame Usbeke und die zuweilen komischen und naiven Vertreter anderer Volksgruppen, alle vereint durch den gemeinsamen Willen zum Sieg und die Brüderlichkeit mit dem russischen Volk, das als führende und lenkende Kraft auftritt'. In den sowjetischen Schulbüchern prangten opulente Titel: 'Der Große Vaterländische Krieg des sowjetischen Volkes in den Jahren 1941-1945'. Die tragische Seite des Krieges wurde geschickt durch die heroische übertüncht. Dieser Ersetzungsprozess lief ohne große Konflikte ab, da zum Beginn des 20. Jubiläums des Sieges eine neue Generation herangewachsen war, die den Krieg nicht erlebt hatte und daher leicht manipulierbar war. Die Heroisierung und Sakralisierung des Krieges hatte noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Die Schaffung von zahlreichen Mythen. Darunter waren die Mythen über die Unbesiegbarkeit des Sowjetvolkes und über die Richtigkeit der sowjetischen Gesellschaftsordnung, nachdem die Sowjetunion in den blutigsten von allen Kriegen in der Geschichte der Menschheit gesiegt hatte. Der Sieg symbolisierte automatisch die Korrektheit den sozialistischen Ideen. In den sowjetischen Schulbüchern wurde über den gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen dem Sieg im Krieg und dem Vorrang des Sozialismus geschrieben. Der 'gesunde' Sowjetmensch, der auf seinen Schultern alles ertragen konnte, wurde dem 'schwachen' westlichen Menschen gegenübergestellt. Der Sieg im schrecklichsten aller Kriege verdeutlichte der Bevölkerung ihre historische Größe. All diese Mythen wurden von der KPdSU kultiviert und aktiv ausgebeutet, da sie der Partei jahrzehntelang halfen, ihre Macht zu halten und jegliche Unzufriedenheit der Bevölkerung auszugleichen oder gar zu blockieren. Die unter N. Chru??ev zugelassenen Liberalisierungen in der Literatur, Kunst und den Geisteswissenschaften waren unter L. Bre?nev eher Ausnahmen. Bücher (z.B. die wissenschaftliche Monografie von A. Nekri? '22 Juni 1941') und Filme, die den herrschenden Vorstellungen und Dogmen über den Krieg wiedersprachen oder implizit die Natur der totalitären Gesellschaft bloßlegten (Dokumentarfilm 'Der Gewöhnliche Faschismus' von M. Romm 1965), wurden entweder verboten oder nicht gerne erwähnt.