Der Meisterträumer - Phantastischer Roman

Der Meisterträumer - Phantastischer Roman

von: Michael Maschka

hockebooks: e-book first, 2015

ISBN: 9783957510778 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Der Meisterträumer - Phantastischer Roman


 

13


»Ich habe die starke Empfindung, dass wir dem Mangel an Sympathie, den unser verehrter Herr Gruenbaum für den Zeitgeist hegt, etwas entgegensetzen müssen. Es wäre hilfreich, wenn du dich seiner ein wenig annehmen könntest.«

Albright blickte mit versteinerter Miene auf die junge Dame herab, die zu seinen Füßen am Boden kauerte. Das seltsame Paar befand sich in einem leeren dunklen Raum, der weder Fenster noch Türen besaß. Wände, Decke und Boden waren schwarz gestrichen. In der Mitte stand ein einzelner Stuhl, auf dem Albright Platz genommen hatte. Er trug eine dunkle Robe mit einer Kapuze, die den oberen Teil seines Gesichtes verdunkelte. Am Mittelfinger der linken Hand blitzte ein silberner Ring mit einer stilisierten Schlange, die zu einer Acht geformt war und sich selbst in den Schwanz biss. Mehrere Meter über den beiden an der Decke, befand sich eine runde Öffnung mit einem schweren Eisengitter, durch die ein heller Lichtstrahl ins Innere des Raumes drang. Das Schattenspiel der gekreuzten Gitterstäbe, das sich nach allen Seiten gleichmäßig über Boden und Wänden verteilte, erzeugte den Eindruck eines Spinnennetzes.

»Wenn du es wünschst. Was genau soll ich tun?« Die dunkelhaarige Dame, die ein weit ausgeschnittenes, scharlachrotes Abendkleid trug, blickte ihn fragend an.

»Zunächst einmal solltest du dich näher mit ihm bekannt machen. Gib ihm das Gefühl, dass er dir etwas bedeutet. Schmeichle ihm – Künstler sind die eitelsten Menschen, die es gibt. In jedem Künstler lebt der starke Wunsch, etwas Einzigartiges zu vollbringen, ja selbst etwas Einzigartiges zu sein. Gib ihm einfach, wonach er verlangt. Er wird dir nur schwer widerstehen können.« In einer zärtlichen Geste strich er ihr mit der Hand über das volle, dichte Haar.

»Du meinst, ich soll ihn verführen?« Ihre dunkelbraunen Mandelaugen rollten langsam nach oben bis sich ihre und Albrights Blicke trafen.

»Noch nicht. Das hat Zeit. Im Augenblick ist Gruenbaum noch ganz mit der Kunst vermählt, er würde womöglich Verdacht schöpfen. Fürs Erste wird es genügen, wenn du Sehnsüchte in ihm weckst. Werde seine Muse! Inspiriere ihn! Er trauert um eine verlorene Liebe. Der Zeitpunkt ist günstig, denn er sehnt sich nach einer Frau, die die Kunst ebenso liebt wie er. Du wirst meine Brücke zu ihm sein, durch dich werde ich Kontrolle über ihn haben. Ohne es auszusprechen, wirst du ihm zu verstehen geben, welche Art von Kunst dir gefällt. Und um dir zu gefallen, wird er genau das tun, was wir von ihm erwarten. Er wird schon begreifen, dass er ein Weib wie dich nur besitzen kann, wenn er viel, viel Geld verdient.« Ein kaltes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, während sein Blick wie in weite Ferne gerichtet schien.

»Ich habe alles vorbereitet. Wir werden uns in wenigen Tagen in Frankfurt treffen. Es ist wichtig, dass unser Verhältnis für ihn vorerst im Dunkeln liegt. Wenn er vermutet, dass wir ein Paar sind, wird das sein Verlangen nach dir noch steigern. Es ist immer das Verbotene, das ihn und seinesgleichen reizt.«

Albright griff in die Tasche, die sich seitlich an seiner Robe befand und holte einen schwarzen Flakon hervor.

»Ich habe hier ein kleines Geschenk für dich: Ein Parfum, das ich eigens für dich habe anfertigen lassen. Ich möchte, dass du es trägst, wenn du zu ihm gehst.«

Mona nahm das Fläschchen entgegen und lächelte dankbar.

»Es wird mir nicht schwer fallen ihm den Kopf zu verdrehen, auch ohne Hokuspokus. Aber bitte, wenn du es wünschst …« Die junge Dame strich sich einige Tropfen von dem stark duftenden Öl auf die Innenseite ihrer Handgelenke und roch daran. Zufrieden blickte sie nach oben.

Albright sah streng auf sie herab.

»Vergiss niemals, in welchem Auftrag du handelst! Es darf nichts schiefgehen, die Angelegenheit hat höchste Priorität.«

Wie ein Echo hallte der Klang seiner Stimme durch den leeren Raum, was seiner offen ausgesprochenen Drohung zusätzlichen Nachdruck verlieh. Insgeheim ärgerte er sich darüber, dass er schon jetzt zu solchen Mitteln greifen musste. Nicht wegen Mona, sondern weil es ihm deutlich machte, dass sein bisheriger Einfluss auf den Künstler offenbar nicht ausreichte. Er konnte es sich nicht leisten, in dieser wichtigen Angelegenheit zu versagen. Gruenbaum befand sich bereits im Besitz des Bildes und die Gefahr, dass er hinter das Geheimnis kam, wurde immer größer. Es war zwar günstig, dass er schon zu diesem Zeitpunkt Orientierung im Museum gesucht hatte, aber warum nur hielt er sich so lange bei den Surrealisten auf? Viel lieber hätte er gesehen, dass er sich von Konzeptkunst oder Neoexpressionismus inspirieren ließe. Die Pfade, die zu solcher Kunst führten, waren besser geeignet, ihn von seiner wahren Bestimmung abzulenken. Sie waren so eng, dass sie nur von wenigen Auserwählten beschritten werden konnten, daher war die Wirkung, die er beabsichtigte, hier am größten. Wer sich in dieser Welt noch auskannte, war gleichsam von einer Aura des Wissens umgeben, die ihn wie einen Magier oder Hohepriester erscheinen ließ. Wenn die Protagonisten dieser Kunst in ihrer Geheimsprache über ihre Werke referierten, dann breitete sich ehrfürchtiges Schweigen unter den Anwesenden aus und keiner wagte die Stimme zu erheben oder etwas dagegen einzuwenden. Wer es dennoch tat, wurde von den Kunstpäpsten mit allen nur erdenklichen Höllenstrafen bedroht. Weil hier alle Werte und Maßstäbe über Bord geworfen wurden, gab es auch keinerlei Anhaltspunkte mehr, an denen sich Künstler oder Publikum orientieren konnten. Das Ergebnis war die perfekte Verwirrung. Es war ein Genuss, zu beobachten, wie reibungslos dieser Mechanismus immer wieder funktionierte. Von allen Wegen, die zur Kunst führten, war ihm dieser bei Weitem der liebste.

 Gruenbaum aber hatte sich nun mal der gegenständlichen Kunst verschworen. Er sympathisierte mit denen, die voller Leidenschaft waren, die glaubten, die Kunst sei eine Art Jakobsleiter, auf der man Sprosse um Sprosse immer höher steigen konnte. Er suchte nach Werten, die ewige Gültigkeit hatten und weigerte sich einzusehen, dass der Weg zur Kunst nicht über die Natur, sondern über die Idee führte. In der Idee zu verharren, das ist die wahre Kunst! Dieser ganze Blödsinn mit dem Handwerk als Grundlage der Kunst, den Gruenbaum bei seinen Ausstellungseröffnungen immer erzählte, führte doch zu nichts. Wenn er es ebenso gemacht hätte wie dieser Typ mit dem Filzhut, der anfangs sehr gefährlich war, dann aber ein großer Schüler von ihm wurde, dann hätte er verstanden, dass die Welt keine Bilder mehr brauchte. Nachdem man Gott für tot erklärt hatte, war es nun endlich an der Zeit, auch die Kunst zu beerdigen. Und Totengräber, die ihm willig dienten, gab es bereits genug. Sie verrichteten brav ihr täglich Werk und sägten beharrlich an dem Ast, auf dem sie selber saßen. Nur leider waren nicht alle diese Künstler wirklich charismatische Erscheinungen, daher war ihm der Gruenbaum auch so wichtig.

Aber vielleicht sah er die Sache ja einfach zu schwarz. Das Phantastische, für das Gruenbaum sich offensichtlich mehr als für alles andere begeisterte, war im Grunde nicht weniger geeignet, seinen Geist nachhaltig zu vernebeln. Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Natur, Intellektualismus und Irrationalismus, der kalkulierten Vision und dem Traum, würde er ebenso schnell die Orientierung verlieren und anfällig werden für weitere Irrtümer und Verführungen. Schließlich gehörte dieser Bereich ebenso zu seiner Domäne, wie alle anderen Ismen auch. Albright schmunzelte. Soll Gruenbaum nur hineinschauen in diesen Brunnen, dachte er – der ist tief genug, dass er sich darin verliert. Auch hier gab es reichlich Theorien und leere Worte, in denen er herumkramen und darüber vergessen konnte, worauf es wirklich ankam. Von den zahllosen Wünschen und Begierden, von denen er hinfortgerissen werden konnte, ganz zu schweigen. Wie viele vor ihm hatten sich in eine andere, vermeintlich schönere Welt hineingeträumt und waren nicht zurückgekehrt. Das Wichtigste war erst einmal Verwirrung zu stiften, damit sein Geist schwach werde und er ihm seine Botschaft einträufeln konnte. Wenn er erst einmal auf der richtigen Seite stand, dann sollte er allein ihm dienen, dann sollte er mithelfen, seine Welt zu errichten …

14


»Ich bin heute mit dem Gefühl aufgewacht, dass Rätsel eigentlich etwas Wunderbares sind. Was wäre die Welt, wenn es keine Rätsel und Geheimnisse gäbe?«

Einige Tage nachdem David seine Schwester am Grab der Eltern getroffen hatte, saß er mit ihr in einem Kreuzberger Café und nippte an einem Latte Macchiato. Er hatte sich mit Linda verabredet, um ihr von seinem Experiment mit dem Bild zu erzählen und ihren fachlichen Rat über die Bedeutung des Träumens einzuholen. Wie sie es schon als Kinder immer getan hatten, erzählte er ihr, was er in der vergangenen Nacht geträumt hatte.

»Ich befand mich in einer Landschaft, die aus zwei großen, saftig grünen Wiesen bestand. Diese Wiesen waren getrennt durch einen schnell dahinströmenden Fluss. Ich selbst stand auf der rechten Seite des Flusses und bemerkte mit Verwunderung, dass das Wasser in beide Richtungen zugleich floss. Als ich in den Fluss stieg, wurde ich sofort von der Strömung erfasst und wie von einem gewaltigen Strudel mal auf die eine, mal auf die andere Seite gezogen. Unfähig eines der rettenden Ufer zu erreichen, beschloss ich schließlich aufzuwachen …«

»Du meinst, du hast diese Entscheidung bewusst getroffen?«

»Ja, ich war selbst etwas verwundert darüber. Was könnte dieser Traum bedeuten?«

»Das hört sich nach einem luziden Traum an. Über...