Reise ohne Landkarten

von: Graham Greene

Verlagsbuchhandlung Liebeskind, 2015

ISBN: 9783954380473 , 358 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Reise ohne Landkarten


 

I.


DER WEG NACH AFRIKA


Erntedankfest

Die hohe schwarze Tür in der engen Innenstadtstraße blieb geschlossen. Ich klingelte und klopfte und klingelte von Neuem. Ich konnte die Türglocke nicht hören, wieder und wieder zu klingeln war daher eine Frage der Hoffnung oder der Verzweiflung, und als ich dann später vor einer Hütte in Französisch-Guinea hockte, wo ich nie hätte landen wollen, erinnerte ich mich an diesen ersten Fehlschlag, und wie die Busse an der Kreuzung vorüberfuhren und an die blasse Herbstsonne.

Ein Botenjunge kam mir zu Hilfe und fragte, ob ich den Konsul sehen wolle, und als ich sagte, ja, genau das wolle ich, führte der Junge mich auf direktem Wege zum Portal von Sankt Dunstan und dort die Treppe hoch in die Sakristei. Das war nicht der Beginn, den ich mir vorgestellt hatte, als ich das Zelt einpackte, das ich nie benutzen sollte, die Injektionsspritze, die ich zu Hause vergaß, die automatische Pistole, die unter Stiefeln und Schuhen und Beuteln voller Münzen im Geldkasten versteckt bleiben sollte. Man bereitete das Erntedankfest vor, die Sakristei war vollgestopft mit großen, dekorativen gelben Blumen und Bergen von Kürbissen; den Konsul konnte ich nirgendwo entdecken. Der Botenjunge spähte in dem dämmrigen Licht zwischen den Blumenarrangements hindurch und deutete schließlich auf eine geschäftige, kleine, über die Blumen gebeugte Frau. »Da ist sie«, sagte er, »das ist sie. Sie wird Ihnen helfen.«

Ich war sehr befangen, wie ich mich da in Sankt Dunstan zwischen den Blumen hindurchzwängte und fragte: »Könnten Sie mir wohl eventuell sagen? Ist der liberianische Konsul –« Aber sie wusste Bescheid, und ich verließ diese Straße für eine andere.

Es war drei Uhr nachmittags, und das Mittagessen im Konsulat war soeben vorüber. Drei Männer, deren Nationalität ich nicht benennen konnte, überfüllten das winzige Zimmer, das tief vergraben in dem riesigen, neuen, glänzenden Bürokomplex lag. Auf der Fensterbank standen aufgereiht alte Telefonbücher und Chemielehrbücher aus der Schule. Einer der Männer spülte das Essensgeschirr in einer Waschschüssel, die auf einem Papierkorb stand. In dem fettigen Wasser schwammen unidentifizierbare gelbliche Fäden, die aussahen wie Bast. Der Mann schüttete kochendes Wasser aus einem Kessel vom Gasbrenner auf einen der Teller, den er über den Papierkorb hielt. Danach wischte er den Teller mit einem Tuch trocken. Auf dem Tisch waren unzählige aufgerissene Päckchen, in denen sich so etwas wie Steine zu befinden schien, und der Liftboy steckte alle paar Augenblicke den Kopf zur Tür herein und kippte weitere Päckchen auf den Boden. Dieser Raum wirkte wie ein schäbiger Wohnwagen, der einen Moment lang in einer schicken hellen Straße abgestellt war. Man konnte seine Zweifel hegen, dass man ihn, kehrte man ein paar Stunden später zu dem strahlenden, technisierten Häuserblock zurück, noch immer dort vorfinden würde; höchstwahrscheinlich wäre er abtransportiert worden.

Aber alle waren sehr freundlich. Letztlich lief es nur darauf hinaus, dass Geld den Besitzer wechselte. Niemand fragte mich, warum ich reisen wollte, obwohl mir von sehr vielen Autoritäten in Fragen Afrikas gesagt worden war, dass die Republik Liberia Eindringlinge ablehnte. Im Konsulat rissen sie untereinander mit kehligem Gelächter ihre privaten kleinen Witze. »Vor dem Krieg«, sagte ein korpulenter Mann, »hast du keinen Pass gebraucht. Viel zu viel Aufhebens. Außer für das Argentinien«, und er warf einen Blick zu dem Mann herüber, der meine Papiere durchsah. »Wenn du in das Argentinien wolltest, dann musstest du sogar einen Monat im Voraus deine Fingerabdrücke abgeben, damit Scotland Yard und Buenos Aires sich kurzschließen konnten. Alle Halunken aus der ganzen Welt sind damals in das Argentinien gegangen.«

Ich betrachtete die übliche leere Landkarte an der Wand, ein paar Städte entlang der Küste, ein paar Dörfer entlang der Grenze. »Waren Sie schon einmal in Liberia?« fragte ich.

»Nein, nein«, sagte der korpulente Mann. »Wir lassen die hierher kommen.«

Der andere Mann klebte ein rundes rotes Siegel auf meinen Pass; darauf war das Nationalwappen zu sehen, ein dreimastiges Schiff, eine Palme, eine darüber fliegende Taube und der Schriftzug »Die Freiheitsliebe führte uns hierher.« Über dem roten Siegel musste ich die »Erklärung eines Ausländers vor Reiseantritt in die Republik Liberia« unterzeichnen.

Ich habe Kenntnis genommen von den Bestimmungen des Einreisegesetzes und bin überzeugt, dass ich zu einer Einreise in die unten genannte Republik berechtigt bin.

Mir ist bewusst, dass ich, sofern ich einer Gruppe angehöre, der von Gesetzes wegen die Einreise untersagt ist, ausgewiesen oder in Haft genommen werde.

Ich schwöre feierlich, dass die oben stehenden Angaben nach bestem Wissen und Gewissen der Wahrheit entsprechen und dass ich die feste Absicht habe, in der Republik den Gesetzen und verantwortlichen Behörden derselben zu gehorchen.

Das Einzige, was ich von den Gesetzen wusste, war, dass sie einem Weißen verboten, das Land anders zu betreten als über die offiziellen Häfen, es sei denn, er hatte eine beträchtliche Summe für eine Forschungs-Genehmigung bezahlt. Ich hatte vor, von der britischen Grenze her einzureisen und mich durch die Urwälder im Innern bis zur Küste vorzuarbeiten. Ich bin Katholik mit einem intellektuellen, wenn nicht sogar einem emotionalen Glauben an die katholischen Dogmen. Ich stelle fest, dass ich auf intellektueller Ebene die Tatsache akzeptieren kann, dass die Sonntagsmesse zu verpassen eine Todsünde darstellt. Und dennoch: »Ich schwöre feierlich…« – es sind diese Widersprüche in der menschlichen Psyche, die ich besonders interessant finde.

Blaubuch Liberia

Im Blaubuch der Britischen Regierung hatte ich im Mai Folgendes gelesen:

Die Rattenpopulation kann zutreffend als wimmelnd bezeichnet werden, die Holz- und Wellblechhäuser bieten geeignete Zufluchten …

Die Abwesenheit jeglichen Versuchs der Regierung, wirksame Schritte gegen Gelbfieber oder Pest zu unternehmen oder auch nur eine Meldepflicht für Gelbfieber einzuführen, sowie das komplette Fehlen medizinischer Kontrolle der Schiffe, die vor der liberianischen Küste festmachen…

Die überwältigende Mehrheit aller in Monrovia gefangenen Moskitos gehören einer Gattung an, die erwiesenermaßen Gelbfieber überträgt …

Insgesamt wurden 41 Dörfer niedergebrannt sowie 69 Männer, 45 Frauen und 27 Kinder, also insgesamt 141 Menschen ermordet …

Aus verschiedenen Quellen wurde mir außerdem der Fall eines Mannes zugetragen, der in der Nähe von Sasstown verwundet worden war und sich zu ergeben wünschte. Obwohl er unbewaffnet war und um Gnade bat, wurde er in Gegenwart von Captain Cole kaltblütig von Soldaten erschossen.

Die Soldaten schlichen sich durch die Bananenpflanzungen an, die alle Eingeborenendörfer umgeben, und feuerten Salven auf die Hütten. Eine Frau, die am selben Tag von Zwillingen entbunden worden war, wurde in ihrem Bett erschossen, und die Neugeborenen kamen in den Flammen um, als das Dorf von den Truppen beschossen wurde …

In einem Dorf wurden nach Abzug der Truppen die verkohlten Überreste von sechs Kindern gefunden …

In diesem Zusammenhang verdient es Erwähnung, dass ein Mann, der politischer Gefangener in New Sasstown gewesen war, aussagte, er habe Soldaten damit prahlen hören, sie hätten Kinder mit Macheten getötet und die Leichen dann in die brennenden Hütten geworfen …

Und als ich erfuhr, dass Colonel Davis mit den Tiempoh gekämpft hatte, die meine Kinder sind und das Land für mich bewirtschaften, und Payetaye-Männer und -Frauen gefangen und misshandelt hatte, bekamen es alle meine Leute und ich mit der Angst …

Soweit man weiß, gehören zu den schwersten Erkrankungen im Hinterland Elefantiasis, Lepra, Frambösie,

Malaria, Hakenwurm, Bilharziose, Ruhr, Pocken sowie Unterernährung. Im gesamten Land gibt es lediglich: zwei Ärzte in Monrovia, beide ausländisch und beide mit einer Privatpraxis, einen Sanitätsoffizier auf der Firestone-Plantage und drei oder vier Missionsärzte, die im Hinterland arbeiten …

In Monrovia selbst ist der Malariabefall quasi umfassend …

In anderen Ländern setzt der Produzent die Preise für seine Waren fest, in diesem Lande dagegen erzwingt der Käufer die Preise, die ihm behagen …

Die Regierung kann alle Einwohner von Sasstown und alle Stämme der Kru-Küste töten, bevor wir uns der Regierung ergeben. Wir werden nicht an die Küste zurückkehren oder kapitulieren, bevor wir nicht vom britischen Konsul in Monrovia hören, dass es keinen weiteren Krieg geben wird. Dann erst werden wir ins alte Sasstown zurückkehren …

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