Erfolgreich erziehen helfen - Elternarbeit in Jugendhilfe, Kita und Schule

von: Susanne Egert

Kohlhammer Verlag, 2011

ISBN: 9783170278769 , 166 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Erfolgreich erziehen helfen - Elternarbeit in Jugendhilfe, Kita und Schule


 

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Die einzelnen Phasen des Elterntrainings


Nur wer selbst brennt,
kann andere entzünden.

Augustinus

Erfolgreiche Elternarbeit muss sensibel aufgebaut werden. Sie folgt einem gewissen Ablauf, in dem Ziele aufgestellt und systematisch Schritt für Schritt erarbeitet werden. Dabei ist es hilfreich, auf ein breites Spektrum unterschiedlicher Methoden zurückgreifen zu können, die flexibel einsetzbar sind. Dies gilt für alle Formen von Elternarbeit, für Einzelgespräche ebenso wie für Elterngruppen. Elternarbeit wird dadurch gleichermaßen zielgerichteter, verbindlicher und ökonomischer. Die verschiedenen Phasen und Möglichkeiten der Elternarbeit werden im Folgenden am Beispiel des Rendsburger Elterntrainings inhaltlich umrissen und mit ihren jeweiligen wesentlichen Charakteristika dargestellt.

3.1 Die Einführungs- und Sensibilisierungsphase


Jegliche Elternarbeit beginnt im Grunde genau wie das Elterntraining mit einer Einführungs- und Sensibilisierungsphase. Die Eltern sollen in dieser Phase für Erziehungsfragen sensibilisiert werden und offen für neue Möglichkeiten werden.

Obwohl die Eltern, die am Elterntraining oder einer anderen Maßnahme teilnehmen und die Beratung oder Hilfe suchen, in der Regel ja bereits Probleme mit ihren Kindern haben, ist die Auseinandersetzung mit Erziehungsfragen keineswegs selbstverständlich. Vielmehr werden diese Probleme gegenüber der Nachbarschaft und der Verwandtschaft häufig tabuisiert. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Erziehungsfragen ist daher für viele Eltern neu und findet nun häufig erstmals statt. Bereits die Beschäftigung mit elementaren Fragen zu diesem Thema auf einem ganz rudimentären Niveau gibt den Eltern Denkanstöße und stimmt sie oft nachdenklich. Zu diesem Effekt kann im Elterntraining z.B. auch ein kurzer Spielfilm eingesetzt werden, der eine typische Familiensituation zeigt, mit der sich viele Eltern identifizieren können. Er soll die Eltern emotional labilisieren, so dass sie offen für neue Möglichkeiten werden (s. dazu Egert 1991).

In dieser ersten Phase wird ein Problembewusstsein bei den Eltern geweckt. Sie erkennen Notwendigkeiten und auch Perspektiven für Veränderungen und werden so zur Mitarbeit motiviert. Die Einführungs- und Sensibilisierungsphase legt daher die Grundlagen für alle weiteren Phasen.

Entscheidend ist dabei, dass in keiner Weise von „Schuld“ gesprochen wird. Wenn Eltern erste Zusammenhänge erkennen zwischen dem Verhalten ihrer Kinder und ihrem eigenen Verhalten, äußern sie oft: „Dann bin ich ja an allem Schuld“ oder „Wenn man das so sieht, dann hat man ja ganz schön viel falsch gemacht“. Hier ist es entscheidend, den Eltern die Schuldgefühle zu nehmen. Es kommt nicht darauf an, dass sie „reuig bekennen“ oder „gestehen“, was sie bisher falsch gemacht haben. Schuldgefühle helfen nicht weiter bei Veränderungen. Sie behindern sie eher, weil die Eltern dann innerlich oder auch gegenüber einer Elterngruppe mit Rechtfertigungen beschäftigt sind. Es ist daher wichtig, den Eltern deutlich zu machen, dass es nur darauf ankommt, dass sie jetzt hier sind. Das zeigt, dass sie etwas ändern wollen, und damit ist eine gute Grundlage gegeben, tatsächlich etwas zu verändern. Dabei hilft es auch, Folgendes deutlich zu machen:

Infokasten 10: „Führerschein“

„Heutzutage gibt es für alle möglichen Gelegenheiten Kurse. Wer ein Auto fahren will, muss zunächst einen Führerschein machen und eine Fahrschule besuchen. Nur Kindererziehung lernt man nirgendwo, die soll einfach so klappen. Dabei ist sie gerade eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. So ist es kein Wunder, wenn es hier manchmal Probleme gibt.“

Wichtig ist es, das Verantwortungsbewusstsein zu betonen, das die Eltern dadurch zeigen, dass sie sich um Hilfe bemühen und z.B. am Elternkurs teilnehmen.

Gelegentlich kommt es zu abfälligen Bemerkungen von Bekannten der Eltern, wenn diese erfahren, dass die Eltern fachliche Hilfe in Anspruch nehmen oder an einem „Elternkurs“ teilnehmen. „Hast du so etwas nötig?“, bekommen sie etwa zu hören. Hier ist es wiederum wichtig, die Eltern darin zu bestätigen, dass sie Hilfe annehmen. Man kann Folgendes deutlich machen:

Infokasten 11: Verantwortungsbewusstsein

„Wenn Ihr Kind ein gebrochenes Bein hat, sagen Sie ja auch nicht: ‚Das wächst schon wieder zusammen!‛, sondern Sie fahren mit ihm ins Krankenhaus und lassen einen Gips anlegen. Genauso sollte man sich Hilfe holen, wenn man Probleme in der Erziehung hat. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn man sich Hilfe holt, sondern von Verantwortungsbewusstsein!”

Die Eltern sollen also die Zusammenhänge zwischen ihrem eigenen Verhalten und dem ihrer Kinder erkennen. Und wenn sie die Notwendigkeit zur Veränderung sehen, bieten wir ihnen unsere Hilfe an. Wir betonen, dass es Möglichkeiten für Veränderungen gibt. Diese wollen wir gemeinsam erarbeiten. Und wir betonen unsere Zuversicht, dass die Eltern durch diese Hilfe für ihre eigene Familie Veränderungen erreichen werden. Wie wir aus der Therapieforschung wissen, ist die Kompetenzerwartung des Klienten an den Therapeuten ein wesentlicher Faktor für den Therapieerfolg (s. dazu Bandura 1984), und ebenso der Optimismus des Therapeuten für Veränderungen. Dabei ist es allerdings auch wichtig zu betonen, dass Veränderungen Zeit brauchen. Da der Leidensdruck bei den Eltern in der Regel erheblich ist, möchten sie natürlich am liebsten schnell Veränderungen erreichen. Hier muss die Erwartungshaltung durch die Fachkraft so gesteuert werden, dass sie realistisch ist.

Im Elterntraining zeigt sich z.B., dass die Eltern sich während der ersten Einheiten schnell öffnen. Diese Öffnung wird zielgerichtet durch die Trainer ermöglicht und aufgebaut. Hier wirkt auch die Gruppensituation sehr förderlich. Gerade weil die Probleme der Familien häufig gegenüber der Umwelt tabuisiert sind, haben die Eltern oft ein starkes Bedürfnis, diese mitzuteilen und nun endlich einmal darüber zu reden. Dies entlastet die Eltern einerseits sehr und andererseits relativiert der Austausch in der Gruppe ihre eigenen Probleme. Sie bemerken, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind. Sie stellen fest, dass andere dieselben Probleme haben oder vielleicht noch schlimmere. Dies ist für viele Eltern eine neue Erkenntnis, die sie unglaublich erleichtert und aus ihrer Isolation hinsichtlich der familiären Problematik befreit. Die Trainer können diesen Prozess noch fördern, indem sie gemeinsame Erfahrungen der Eltern betonen.

Schnell fassen die Eltern Vertrauen zur Gruppe und zu den Trainern, wenn sie merken, dass man über Probleme reden darf und nicht gleich verurteilt wird. Dies ist ein sich selbst beschleunigender Prozess: Die Offenheit schafft Vertrauen und führt zu weiterer Öffnung.

Die Gruppenbildung und die Vertrauensbildung sowohl innerhalb einer Gruppe als auch gegenüber den Fachkräften sind weitere wesentliche Ziele innerhalb der ersten Phase. Dass die Eltern an Sicherheit in der ungewohnten Situation gewinnen, kann von Seiten der Fachkräfte zusätzlich dadurch gefördert werden, dass sie anfangs jede Äußerung unabhängig vom Inhalt verstärken (sofern es sich nicht um menschenverachtende, ethisch bedenkliche Äußerungen handelt). Es sollte nur positive Verstärkung gegeben werden und keinerlei negative Rückmeldung. Erstes Ziel ist zunächst, dass die Eltern sich äußern, die Inhalte gelangen dann später in den Vordergrund.

Wichtig ist in der Anfangsphase auch, v.a. in der Gruppensituation, die Eltern nicht zu unterbrechen und ihr Mitteilungsbedürfnis ausgiebig zu befriedigen. Tut man dies nicht, um vermeintlich Zeit zu sparen, so wird sich das im weiteren Verlauf rächen. Die Eltern werden dann auch zu späteren Zeitpunkten noch ausführlich von ihren Problemen erzählen wollen, weil sie das Gefühl haben, noch nicht richtig verstanden worden zu sein. Die anderen Eltern und v.a. die Trainer wüssten ja noch gar nicht richtig, wie es bei ihnen zu Hause so zugeht. Lässt man die Eltern dagegen während der ersten drei bis vier Termine ausführlich erzählen, so ist das Bedürfnis irgendwann befriedigt und man kann sich der Arbeit zuwenden.

Schließlich werden in der Anfangsphase auch grundlegende Arbeitsweisen einzeln oder in Gruppen eingeführt, wie Kleingruppenarbeit, Übungen, Rollenspiele, und es werden die Standards für die Gruppenarbeit gesetzt.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den Arbeitsaspekt der Hilfe zu betonen. Die Veränderungen werden gemeinsam erarbeitet, sie werden sich nicht von selbst einstellen. Dabei sollte die Eigenverantwortlichkeit der Eltern betont werden für das, was sie aus dem Elterntraining oder Elterngespräch mitnehmen. Die verbreitete Konsumhaltung führt häufig zu der Erwartung: „Mach mir mal … mein Problem weg, Unterhaltung, Veränderung oder ein besseres Leben.“

In einer Elterngruppe gilt: Obwohl die Trainer in gewisser Weise immer auch „Entertainer“ sind, was die Didaktik und die Gruppenatmosphäre angeht, sollten sie doch von Anfang an klarmachen, dass es an jedem selbst liegt, wie viel er von dem Kurs profitiert. Die Trainer schaffen die besten Voraussetzungen und bieten nach bestem Wissen und den Regeln der Kunst die Inhalte an, aber die Rezeption bleibt ein aktiver Prozess, für den die Teilnehmer selbst verantwortlich sind.

Dass die bisher beschriebenen wie auch alle künftigen Gruppenprozesse durch die Trainer permanent verbal und nonverbal gelenkt werden...