Rassismus und Bürgerrechte - Polizeifolter im Süden der USA 1930-1955

von: Silvan Niedermeier

Hamburger Edition HIS, 2014

ISBN: 9783868546323 , 288 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Rassismus und Bürgerrechte - Polizeifolter im Süden der USA 1930-1955


 

Einleitung


Wer die Aktenbestände der afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in der Library of Congress in Washington D. C. konsultiert, stößt in einem der zahlreichen Ordner zum Stichwort »Polizeibrutalität« auf eine anonyme Handzeichnung (siehe Abbildung 1). Das zwischen Briefen, Zeitungsausschnitten und Rechtsdokumenten abgelegte Bild zeigt einen Gefangenen, der von drei Männern ausgepeitscht wird. Einer von ihnen ist durch eine Dienstmarke und einen Hut als Sheriff gekennzeichnet. Der entblößte, grau schraffierte Körper des Häftlings wird durch Handschellen, die an einem Rohr befestigt sind, aufrecht gehalten.

An Oberkörper, Hüfte und Oberschenkel des Mannes sind blutende Wunden sichtbar. Gitterstäbe im Hintergrund sowie der Vermerk »Lake County Jail« am linken unteren Bildrand deuten an, dass sich die dargestellte Szene in einer Gefängniszelle abspielt. In die Szenerie einbezogen ist ein handschriftlicher Text, der vermutlich die Aussage des Inhaftierten zitiert. Dort heißt es:

»Dann brachten mich die vier Männer in das oberste Stockwerk des Gefängnisses. Sie hängten mich mit Handschellen an ein Rohr, sodass meine Füße gerade noch den Boden berührten. Dann zogen sie mir das Hemd über den Kopf und zogen meine Hose auf den Boden herunter. Dann nahmen sie Gummischläuche und peitschten mich aus, bis ich das Blut fühlen konnte.«1

Die Zeichnung wurde im September 1949 ohne Angabe eines Namens oder einer Adresse an das nationale Büro der NAACP in New York City geschickt. Sie bezog sich auf ein Ermittlungsverfahren, den Fall der Groveland Four, bei dem im Sommer 1949 drei African Americans in Florida festgenommen worden waren.2 Auslöser dafür war der von einer weißen Frau erhobene Vorwurf, von vier unbekannten schwarzen Männern vergewaltigt worden zu sein. Ein vierter Tatverdächtiger wurde kurz darauf von einem Suchtrupp erschossen. Im Zuge der Ermittlungen erhoben die drei Beschuldigten den Vorwurf, von lokalen Polizeibeamten gewaltsam zu Tatgeständnissen gezwungen worden zu sein, was diese einhellig abstritten.

Abb. 1: Anonyme Zeichnung, »A Negro ›Confesses‹ to ›Rape‹/Tavares, Fla. – July, 1949«

LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-117, Fol. T [1941–1949].

Im Gegensatz zu anderen Formen rassistischer Gewalt im Süden der USA fand die polizeiliche Praxis der Folter an schwarzen3 Häftlingen und Tatverdächtigen in der Regel im Verborgenen statt, das heißt hinter den Mauern von Gefängnissen und Polizeistationen. Ihre weitverbreitete Ausübung wurde zumeist geleugnet, während die weißen Repräsentanten der dortigen Justiz, Richter, Staatsanwälte und Geschworene, verhinderten, dass Polizisten und Sheriffs für die Folter an afroamerikanischen Häftlingen rechtlich belangt wurden.

Insofern zeugt die anonyme Zeichnung in den Unterlagen der NAACP von dem Versuch, die tendenziell verborgene Gewalt der Folter sichtbar zu machen und als Unrecht zu markieren. Deutlich wird dies unter anderem an dem spezifischen Arrangement von Text und Bild: Während die Bildunterschrift »A Negro ›Confesses‹ to ›Rape‹ « (»Ein Negro4 ›gesteht‹ eine ›Vergewaltigung‹ «) die »offizielle« Darstellung der Geschehnisse wiedergibt und durch die verwendeten Anführungszeichen gleichzeitig hinterfragt, visualisiert die Zeichnung selbst die verheimlichte Realität der Folter in den Gefängnissen des US-amerikanischen Südens. Das Nebeneinanderstellen von Zeugenaussage und Folterszene verleiht den Foltervorwürfen des mutmaßlichen Opfers mit bildlichen Mitteln Evidenz.

Damit ist die Zeichnung in eine Reihe von Maßnahmen zu stellen, die ab den 1930er Jahren von verschiedener Seite zu beobachten waren. Sowohl Bürgerrechtsorganisationen als auch Bundesbehörden unternahmen in dieser Zeit den Versuch, die Praxis der Folter sichtbar zu machen und zu delegitmieren, indem sie ihre Ausübung mit unterschiedlichen Mitteln dokumentierten.

Diese Form der Gewalt steht auch im Zentrum dieses Buches. Es nimmt die weitverbreitete Anwendung der Polizeifolter an afroamerikanischen Tatverdächtigen und Häftlingen im amerikanischen Süden zwischen 1930 und 1955 erstmals in den Blick und beleuchtet darüber hinaus die Initiativen, um diese Praxis einzudämmen. Während sich die bisherige Forschung zur Geschichte des amerikanischen Südens insbesondere auf die Hochphase der Lynchgewalt zwischen 1890 und 1930 sowie auf die Phase der Dynamisierung der Bürgerrechtsbewegung ab 1955 konzentriert hat, werden hier die Transformationen und Kontinuitäten rassistischer Gewalt in der Zeit dazwischen erforscht.5 Dabei werden zum einen die Zusammenhänge zwischen dem quantitativen Rückgang der Lynchgewalt in den 1930er Jahren und der polizeilichen Folterpraxis untersucht.6 Es wird zu zeigen sein, dass die Folterung afroamerikanischer Tatverdächtiger in einem von der Forschung bislang weitgehend unbeachteten Zusammenhang mit dem Rückgang der Lynchpraxis stand. Die allmähliche Abnahme der Lynchmorde bedeutete keinesfalls das Ende rassistischer Gewalt.

Zum anderen soll die Studie die bisherige Forschung zum afroamerikanischen Bürgerrechtskampf im Süden der USA erweitern, womit ich an neuere historische Studien zur Geschichte der Bürgerrechtsbewegung anschließe. Während frühere Arbeiten die Geschehnisse Mitte der 1950er Jahre, also das wegweisende Urteil des U. S. Supreme Court im Fall Brown vs. Board of Education, den von Rosa Parks initiierten Busboykott in Montgomery, Alabama, sowie den Fall Emmett Till zu den Ausgangspunkten der Bürgerrechtsbewegung erklärt haben, datiert die neuere Forschung ihre Anfänge in die 1930er und 1940er Jahre zurück. Sie prägte dafür den Begriff der »langen Bürgerrechtsbewegung« (»long civil rights movement«). Die Arbeiten heben hervor, dass diese Bewegung ihre Wurzeln in den umwälzenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen im Zuge des New Deal und der Kriegs- und Nachkriegsjahre hatte. Wie etwa Jacquelyn Dowd Hall konstatiert, entstand in dieser Phase eine weitreichende soziale Bewegung, die die Dynamisierung des afroamerikanischen Bürgerrechtskampfes in den 1950er und frühen 1960er Jahren erst möglich machte. Die Historikerin Danielle L. McGuire wiederum weist in ihrer Studie »At the Dark End of the Street« auf die afroamerikanischen Proteste gegen die sexuelle Gewalt weißer Männer an schwarzen Frauen im US-Süden der 1940er und frühen 1950er Jahre hin. Sie zeigt, dass diese Proteste Katalysatoren für die Mitte der 1950er Jahre entstehende afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung waren.7 Anknüpfend an diese Forschungsarbeiten stellt die vorliegende Studie die engen Verbindungen zwischen den Initiativen gegen die Folter und dem afroamerikanischen Bürgerrechtskampf in der Phase vor 1955 heraus. Es wird gezeigt, dass das Auftreten von afroamerikanischen Angeklagten und Folteropfern vor Gerichten des Südens sowie der Kampf der NAACP gegen die Verwendung erzwungener Geständnisse in Strafverfahren einen integralen Bestandteil der »langen Bürgerrechtsbewegung« darstellten.

Zum Dritten rückt die Arbeit die bislang weitgehend unbeachteten Folterermittlungen amerikanischer Bundesbehörden im Süden der USA in den Fokus der Betrachtung.8 In einem 2008 erschienen Artikel hat der US-Historiker Christopher Waldrep auf die »überraschende« Geschichte der 1940 einsetzenden Bürgerrechtsermittlungen des US-Justizministeriums und des Federal Bureau of Investigation (FBI) im amerikanischen Süden hingewiesen. Die fehlende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema habe dazu geführt, dass das Bild des FBI bislang maßgeblich von dessen destruktiver Haltung gegenüber dem afroamerikanischen Bürgerrechtskampf der 1960er und 1970er Jahre geprägt wurde.9 Dagegen zeigen die in den 1940er Jahren einsetzenden Bürgerrechtsermittlungen des US-Justizministeriums und des FBI in Folterfällen, dass sich föderale Behörden bereits früher als bislang angenommen für die Durchsetzung afroamerikanischer Bürgerrechte im Süden der USA engagierten, wenn auch – wie die vorliegende Studie zeigt – nur punktuell und mit mäßigem Erfolg. In diesem Buch werden diese Ermittlungen erstmals umfassend dokumentiert und analysiert.

Schließlich soll diese Studie einen Beitrag zur bislang weitgehend unerforschten Geschichte der Folter in den USA leisten. Weder gibt es bislang Studien, die das Phänomen der Polizeifolter im amerikanischen Süden des 20. Jahrhunderts untersucht haben, noch Überblicksdarstellungen, die die Geschichte der Folter in den USA von ihren Anfängen bis in die Gegenwart in den Blick nehmen.10

Die Arbeit stützt sich auf die umfangreichen Aktenbestände der National Association for the Advancement of...