Das Erbe der Lady Eleanor

von: Hanna Friedrich

Verlag Krug & Schadenberg, 2014

ISBN: 9783944576367 , 280 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Das Erbe der Lady Eleanor


 

KAPITEL VI

Die Gäste hatten die Burg längst verlassen, die Menschen waren wieder zu ihren Alltagsverrichtungen übergegangen, da hoffte Isabelle immer noch auf eine Nachricht von Rose. Dass sie sich nicht bei ihr meldete, verletzte Isabelle mehr, als sie gedacht hätte. Hatte sie die Verbindung zwischen ihnen derart missdeutet? Isabelle konnte sich nicht vorstellen, sich die Zuneigung der Ritterin nur eingebildet zu haben. Hatte Rose sie lediglich für ihre Zwecke benutzt, um selbst an das Amulett zu kommen? Das war das Letzte, was sie von der Ritterin erwartet hätte.

Und doch musste sie sich eingestehen, dass sie Rose eigentlich kaum kannte. Bei den wenigen Begegnungen hatte Isabelle auf nichts anderes als auf ihr Herz gehört. Doch war das, was sie empfand, nicht ganz und gar unmöglich? Für das, was sie fühlte, gab es keinen Namen. Wie konnte sie da erwarten, dass es Rose ähnlich ging? Wie konnte sie erwarten, dass eine Frau … Und trotzdem klangen Roses Worte in ihren Ohren nach. Ich hätte Euch nicht so küssen können, wie die Etikette es verlangt, Milady. In ihrem ganzen Leben hatte sich noch nie etwas so verrückt und gleichzeitig so richtig angefühlt. Was wäre geschehen, wenn Stanley sie nicht unterbrochen hätte? Und wo war Rose jetzt? Warum ließ sie nichts von sich hören? Warum in Gottes Namen meldete sie sich nicht?

Am 17. Juni brachten Lord Trascotts Boten die Nachricht von einer heftigen Schlacht in der Nähe von Oxford. Lord Caddington und andere Adelige hatten sich einen schweren Kampf mit den Soldaten des Königs geliefert, dessen Ausgang in Zugeständnissen des Königs an die Adeligen mündete. Zu wenige Gefolgsleute waren ihm geblieben, um die Aufständischen zu bezwingen. Gedemütigt und hängenden Hauptes hatte King John in Runnymede sein Siegel unter eine Carta gesetzt, die den Edelleuten Englands mehr Rechte einräumte.

Die Boten berichteten, dass sich auch der wappenlose Ritter in Runnymede befände und noch am Tag vor der Unterzeichnung der Carta einen Anschlag auf den König verhindert habe. So sehr es Isabelle beruhigte, dass Rose offensichtlich am Leben und in Freiheit war, umso mehr kränkte es sie, dass die Ritterin es augenscheinlich nicht für nötig befunden hatte, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Auch wenn sie Rose gleichgültig war, so hätte es sich zumindest geziemt, ihr eine kurze Nachricht über ihren Gesundheitszustand zu übermitteln. Schließlich wäre Rose damals ohne Isabelles Hilfe womöglich ihren Verletzungen erlegen.

Es kam der Juli und bald darauf der August und damit Isabelles Vermählung mit Lord Brian. Dessen Vater ließ keine Gelegenheit aus, jedem im Land vor Augen zu führen, dass er über die größte Grafschaft und den reichsten Hof Englands verfügte, und so wurde die Hochzeit zu einem der pompösesten Feste, die York je gesehen hatte.

Isabelle jedoch hatte die drei Tage wie durch einen dichten Schleier wahrgenommen. Im Nachhinein hätte sie nicht einmal die Hälfte des opulenten Programms wiedergeben können. Es hatte ein weiteres Turnier gegeben, größer und aggressiver als das in Chester. Zwei Ritter hatten beim Stechen ihr Leben gelassen, und Isabelle nahm es als schlechtes Omen. Sie kümmerte sich um die beiden Witwen, deren Unglück ihr näher war als das Jubeln des Volkes draußen auf dem Platz.

Und selbst zur Hochzeit und zu ihrem Umzug in das Castle von York hatte Rose sich nicht gemeldet. Weder kamen Glückwünsche noch irgendein anderes Lebenszeichen. Es war, als hätten sich ihre Wege nie gekreuzt. Und doch war Isabelles Leben nicht mehr dasselbe. Seit ihrer ersten Begegnung mit Lord Caddingtons Tochter fühlte Isabelle sich unruhig und aufgewühlt. Sie konnte Rose einfach nicht vergessen.

»Hast du den Brief auch ganz bestimmt abgegeben?«

»Jawohl, Sir. Eine Dienerin hat ihn entgegengenommen.«

»Sehr gut.« Rose nickte beruhigt. »Dann geh jetzt zu den anderen. Die Bogenschützen brauchen noch Unterstützung.«

Der Mann verbeugte sich und verließ, Köcher und Bogen in der Hand, die Höhle. Vor dem Eingang war schon das Surren fliegender Pfeile zu hören, zuweilen übertönt vom Gelächter der Männer. Es war ein warmer, sonniger Tag, und Roses Leute waren froh, dass sie bei schönem Wetter üben konnten. Alle waren guten Mutes, obwohl die Anzahl der Krieger in den letzten Monaten deutlich dezimiert worden war. Auch in der Schlacht gegen Ritter Wallenbys Trupp waren Männer gefallen. Rose war damals gerade noch rechtzeitig gekommen, um ihre Leute zu warnen. Sie hatte sie umgehend in zwei Gruppen eingeteilt – eine Gruppe stellte sich schlafend, mit Schwertern und Messern unter den Decken, die andere postierte sich mit Armbrüsten im hinteren Teil der Höhle. Wallenbys Krieger hatten keine Chance gegen Roses Männer, aber dennoch war viel Blut geflossen, bevor Wallenby endlich den Befehl zum Rückzug gegeben hatte. Noch vor dem Morgengrauen hatten Rose und ihre Leute die Höhle geräumt und sich auf den Weg zu einer neuen Bleibe gemacht.

Seit ein paar Monaten hatten sie ihr Lager nun in der neuen Höhle aufgeschlagen. Sie war größer und geräumiger als die alte und bot sogar einen kleinen See, in dem man seine Kleidung waschen konnte. Und da es Sommer war, nutzten die Krieger den See ebenfalls, um hin und wieder ein Bad zu nehmen. Dass Ritter Ross sich an dem Badespaß nicht beteiligte, wunderte längst niemanden mehr. Er war ein zurückhaltender Führer, der wenig sprach und häufig die Einsamkeit suchte. Doch obwohl er schwer zugänglich wirkte, dienten sie ihm gern, denn er war stets gerecht zu ihnen, und seine Erfahrung und Weisheit in der Kriegsführung waren unangefochten.

Rose wusste, dass Brians Wut auf den wappenlosen Ritter seit dem verlorenen Turnier in Chester und dem missglückten Überfall in der Höhle noch maßloser geworden war. Vermutlich würde er seinen Erzfeind mit bloßen Händen erwürgen, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme. Das Castle von York stand unter dichterer Bewachung denn je, und Rose hatte beschlossen, nicht mehr zu riskieren, als unbedingt nötig war. Sie hielt sich von der Burg fern und ließ sich von ihren Kundschaftern auf dem Laufenden halten.

Von ihnen hatte sie auch erfahren, dass Isabelle offensichtlich unter strenger Bewachung stand, ohne es zu wissen. Rose konnte nur ahnen, warum ihr Bruder zu derartigen Mitteln griff. Vermutlich wartete Brian auf Isabelles nächsten Schritt, um Hinweise auf die Bedeutung des Amuletts zu bekommen. Vielleicht spekulierte er darauf, auf diese Art mehr über dessen Ursprung und seine Macht zu erfahren. Wie viel Brian und ihr Vater tatsächlich über das Amulett wussten, war Rose noch unklar. Zumindest aber war ihnen bekannt, wo es sich zur Zeit befand, denn es stand außer Frage, dass ihre Familie hinter dem Einbruch in Isabelles Gemächer stand. Doch schien Brian der Zugang zu fehlen, um mit dem Amulett etwas anfangen zu können, sonst hätte er längst gehandelt. Und diesen Zugang erhoffte er sich offenbar durch Isabelle.

Ob sie ihren Brief dieses Mal beantwortete? Rose ließ sich schwer auf einen Stein fallen. Seit ihrem überhasteten Aufbruch in Chester hatte sie nichts mehr von Isabelle gehört. Auf keinen einzigen ihrer Briefe hatte sie geantwortet, nicht einmal auf die Hochzeitsglückwünsche. Die Konventionen hätten zumindest ein kurzes Dankesschreiben verlangt.

Hatte sie Isabelle so verschreckt, dass diese es nicht einmal für nötig hielt, sich bei ihr für die guten Wünsche zu bedanken? Selbst mit der Bitte, sie nicht mehr zu belästigen, hätte Rose besser umgehen können als mit diesem beharrlichen Schweigen. Sie fragte sich, was sie falsch gemacht hatte, und jedes Mal gab sie sich dieselbe Antwort: Sie war Isabelles nicht wert. Die Lady hatte vielleicht eine Weile gebraucht, bis ihr klar geworden war, mit was für einem Menschen sie es zu tun hatte, aber nun wollte sie Roses Freundschaft nicht mehr.

So sehr Rose diesen Sinneswandel verstand, so rätselhaft war ihr das Ausbleiben jeglicher Nachricht. Vielleicht hatte sie sich in Isabelle getäuscht? Rose schüttelte den Kopf. Sie tat der Lady Unrecht. Noch nie war sie einem derart aufrichtigen Menschen begegnet, und wenn Isabelle nichts von sich hören ließ, dann musste das einen anderen Grund haben. Welcher auch immer es war – Rose war entschlossen, ihn herausfinden.

»Und sag bitte den Tänzern, sie sollen sich morgen Nachmittag im Hof einfinden. Ich möchte der Probe beiwohnen.«

»Jawohl, Milady.« Stanley verbeugte sich, während er sich rückwärts zur Tür bewegte. »Sollen die Harlekine auch erscheinen?«

»Nein, ich möchte nur die Tänzer sehen. Wenn der Duke von Sussex nächste Woche zu Besuch kommt, müssen die Tänze gelingen.«

Isabelle atmete auf, als der Diener die Tür hinter sich schloss. Ihr Simon war seit über einer Woche krank, und nun schlich ständig der unangenehme Stanley um sie herum. Ihr Gemahl und ihr Schwiegervater hielten sich seit zwei Wochen zu Verhandlungen in Irland auf, und natürlich war es ein feiner Zug von Brian gewesen, Stanley aufzutragen, seiner Gemahlin unterdessen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Doch Isabelle fühlte sich durch die ständige Aufmerksamkeit des Dieners eher belästigt.

Hoffentlich würde Simon recht bald wieder gesund sein. Den Armen musste es böse erwischt haben, denn normalerweise stand er ihr noch mit hohem Fieber zu Diensten, und früher in Chester hatte sie ihm mehr als einmal befehlen müssen, sich ins Bett zu begeben und sich auszukurieren.

Isabelle dachte voller Wehmut an ihre Heimat. Trotz der jahrelangen Vorbereitung auf ihre Aufgabe als Gattin eines Edelmannes hatte sie die harte Wirklichkeit wie aus heiterem Himmel getroffen. Zwar war es ihr wie erhofft möglich,...