Pinselstriche auf glattem Reispapier

von: Kij Johnson

Golkonda Verlag, 2014

ISBN: 9783944720388 , 200 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Pinselstriche auf glattem Reispapier


 

Tagebücher werden von Männern geführt: starke Pinselstriche auf glattem Reispapier, das zusammengerollt und mit Bändern verschnürt in Lackschachteln aufbewahrt wird. Das weiß ich, weil ich selbst so ein Tagebuch gesehen habe. Es heißt, dass auch edle Damen Tagebücher führen, in der Hauptstadt oder wenn sie in den Provinzen auf Reisen sind. Diese Tagebücher, so heißt es, sind oft von Kummer erfüllt, denn das Leben einer Frau ist voll von Traurigkeit und Warten.

Männer und Frauen führen ihre verschiedenen Tagebücher – ich werde herausfinden, ob eine Fuchsdame nicht auch eines schreiben kann.

Ich sah ihn und liebte ihn, meinen Herrn Kaya no Yoshifuji. So, wie ich es sage, ist es kurz und schneidend und ohne jede Eleganz, wie ein Bellen; doch ich weiß nicht, wie ich es sonst anfangen sollte. Ich bin nur ein Fuchs, ich habe keine erlesenen Ausdrucksformen. Ich glaube, ich muss früher beginnen.

Meine Mutter und mein Großvater zogen mich und noch einen Welpen in dem engen Raum unter Yoshifujis Vorratshaus im Küchengarten auf. Der Boden des Hauses über unseren Köpfen bestand aus geglätteten Buchsbaumdielen, unter unseren Pfoten war trockene, sandige Erde. Wir hatten uns nahe einem Eckpfosten einen Bau gegraben, kaum mehr als eine Mulde und kaum groß genug für uns vier.

Es war Sommer. Wir schlichen uns aus dem Garten und rannten, auf der Suche nach Mäusen und Vögeln und Kaninchen, hinter Yoshifujis Haus durch den Wald. Aber sie waren schlau, und wir waren die ganze Zeit über hungrig. Es war leichter, Essen zu stehlen, und so kauerten wir uns in den Schatten des Vorratshauses, beobachteten alles, was im Garten geschah, und warteten.

Der Koch, ein riesiger Mann mit Augen, die sich zwischen Fettpolstern verloren, kam an manchen Tagen heraus und zog Wurzeln aus der Erde. Manchmal ließ er eine fallen, dann wartete ich, bis er mir den Rücken zukehrte, und rannte hervor, der Welt ausgesetzt, um sie mir zu schnappen. Der Koch kam oft in das Vorratshaus. Wir zogen uns weiter zurück, hörten das Schloss sich öffnen, die schweren Schritte des Mannes über unseren Köpfen, das Knarren einer Diele, dann das Geräusch seines Fortgehens, wie er die Tür wieder schloss, seine Schritte, die den Gartenweg hinaufschlurften.

Eines Tages lauschten wir und hörten die vertrauten Geräusche, aber das Schloss klickte nicht. Ich sah meinen Bruder an, der neben mir kauerte. Wir sagten nichts, denn wir waren nur Füchse, aber wir wussten, was wir wollten. Niemand war im Garten. Wir schlichen hinaus und schlüpften in die offene Tür des Vorratshauses. Dort war das Essen, ganz so, wie wir es gerochen hatten: ein abgehängter Fasan, getrockneter Fisch, eingelegte Rettiche, Sake und Essig. Wir warfen Gläser um und rissen Kisten auf, und wir aßen und aßen und aßen.

Der Schrei an der Tür überraschte uns vollkommen. Der Koch war zurückgekehrt: Er verfluchte uns und den Schaden, den wir angerichtet hatten. Ich wirbelte herum, aber es gab nirgendwo ein Versteck, also zog ich mich in eine Ecke zurück und fletschte die Zähne. Der Koch warf die Tür zu. Dieses Mal hörten wir das Schloss.

Voller Panik kratzte ich an den Wänden, an den winzigen Rissen im Boden, durch die ich meinen Flecken Erde riechen konnte. Ich brach mir eine Kralle ab und roch die Spur von frischem Blut.

Vor der Tür waren wieder Stimmen zu hören, und plötzlich flog sie auf. Der Koch heulte und schrie vor Wut. Eine Frau stand hinter ihm, in kostbare Roben gekleidet und mit einem riesigen roten Fächer vor ihrem Gesicht. Ich hatte sie schon einmal gesehen und wusste, dass dies Shikibu war, die Herrin des Hauses. Sie ließ ihren Fächer ein wenig sinken, um uns anzustarren. Das Licht, das durch den Fächer fiel, färbte ihr Gesicht, aber sie war noch immer wunderschön. Ich knurrte, und sie schrie auf und sprang zurück. »Füchse!«

Der dritte Mensch, der hereinsah, war Kaya no Yoshifuji. Er trug blaue und graue Jagdkleidung mit silbernen Medaillons, die in das Muster seines Überwurfs gewoben waren. In einer Hand hielt er einen kurzen Bogen, und aus einem Köcher auf seinem Rücken ragten Pfeile. Sein Haar war geölt und zu einer Schleife geflochten. Seine Augen waren pechschwarz, und als er sprach, war seine Stimme tief und klang belustigt. »Seid still, alle beide! Ihr macht es nur noch schlimmer.«

»O mein Gemahl!«, rief die Frau, die am ganzen Leib zitterte. »Es sind böse Geister. Wir müssen sie vernichten!«

»Es sind nur Tiere – Füchse, junge Füchse. Still, Ihr macht ihnen Angst.«

Ihre Finger umfassten die Stäbe des Fächers fester. »Nein! Füchse sind alle böse, jeder weiß das! Sie werden unser Haus zerstören! Tötet sie, bitte!«

»Geh.« Yoshifuji machte eine Geste zu dem Koch hin, der Shikibu mit offenem Munde anstarrte. Der Mann rannte den Pfad hoch und in das Haus. Mein Herr wandte sich Shikibu zu. »Ihr dürft nicht hier draußen bleiben, wo jeder Euch sehen kann. Ihr seid töricht. Ich werde sie nicht töten. Wenn wir ihnen nur die Gelegenheit geben, werden sie sicher von selbst fortlaufen.« Yoshifuji drehte ihr den Rücken zu. »Bitte geht hinein.«

Sie sah uns wieder an. Ich spürte, wie meine Ohren sich anlegten, wie mein Rücken von den sich aufrichtenden Haaren kribbelte. »Ich werde gehen, Gemahl, weil Ihr es befehlt. Werdet Ihr später zu mir kommen?«

Shikibu verließ uns. Yoshifuji kniete einen langen Moment lang auf der Erde des Gartens, eine Hand über seine Augen gelegt. »Ach, kleine Füchse, so ist es, nicht wahr?

›Füchse, im Dunkel halb gesehen;

Ich habe mit weniger Wissen um meine Herrin gefreit.‹«

Heute weiß ich, dass das, was er sagte, ein Gedicht war, auch wenn ich nicht sicher bin, was ein Gedicht ist. Es ist etwas Menschliches, und ich weiß nicht, wie gut ein Fuchs das je begreifen kann.

Er stand auf und klopfte sich die Knie ab. »Ich werde bald zurückkehren. Es wäre weise, vorher zu verschwinden.« Er hielt inne. »Lauft, kleine Füchse. Seid frei, solange ihr könnt.«

Ich konnte nicht aufhören, ihn anzuschauen, während er zum Haus hinaufging. Erst als mein Bruder mich in die Schulter biss und bellte, folgte ich ihm durch die Tür und in unser Loch hinab.

In jener Nacht lernte ich zu weinen. In unserem Fuchsbau zusammengekauert lauschte meine Familie schweigend. Nach einer Weile legte mein Großvater seine Schnauze an meine. »Du hast Magie in dir, Enkelin. Darum kannst du weinen.«

»Alle Füchse haben Magie in sich, Großvater«, sagte ich. »Sie weinen nicht alle.«

»Nicht diesen Zauber«, erwiderte er.

Danach schlich ich mich oft in die Ziergärten des Anwesens. Die sorgfältig beschnittenen Bäume boten mir Deckung, wenn ich mich dem Haus näherte. Es war aus Zeder und geschwärztem Holz gebaut und hatte hohe Traufen. Im Schatten einer halbmondförmigen Brücke sprang ich über einen schmalen Bach, strich an einem dekorativen Stein voller Flechten vorbei und versteckte mich unter einer kleinen Weide, die sich zu dem kurzen Gras nah dem Haus hinunterbeugte. Unter die grünen und silbernen Blätter geduckt, hielt ich Ausschau. Oder ich versteckte mich in einem glänzenden Rhododendronbusch. Oder gar unter dem Fußboden des Hauses, denn dort gab es viele Orte, an denen eine Füchsin sich verstecken konnte.

Ich hielt Ausschau, wann immer es mir möglich war, und sehnte mich danach, einen Blick auf meinen Herrn zu erhaschen oder seine Stimme zu hören. Aber er war oft fort, mit seinen Freunden auf der Jagd oder im Zuge seiner vielen Verpflichtungen auf Reisen. Manchmal blieb er sogar die ganze Nacht fern und kehrte erst kurz vor dem Morgengrauen zurück; dann hingen fremde Gerüche in seinen Kleidern, und er hatte den Fächer oder den Kamm einer fremden Frau in der Hand. Es war sein Recht und seine Pflicht, ein Männerleben zu führen – das wusste ich durchaus.

Aber ich bedauerte seine Frau trotzdem ein wenig. Ihre Zimmer lagen ganz innen im Nordflügel, viele Schichten von Shoji-Wandschirmen, Bambusrollos und vornehmen Vorhängen trennten uns. Doch es war der siebente Monat, und sie ließ so viele von ihnen offen, wie es die Sittsamkeit gestattete, und manchmal sah ich sie. Im Halbdunkel des Hauses wirkte sie beinahe verloren. Sie hatte eine Handvoll Frauen um sich: sie spielten Kinderspiele mit Kreiseln und Ringen, sie übten sich in Kalligraphie, sie schrieben Gedichte, sie schickten nach den Kutschen aus geflochtener Palme und fuhren in das Kloster und hörten zu, wie Sutras gelesen wurden. Es schien mir offensichtlich, dass all diese Dinge nur dazu da waren, die Zeit zu vertreiben, bis Yoshifuji zu ihr kam. Ihr Leben war voller Zwielicht und Warten, aber ich beneidete sie um die Momente, die er hin und wieder doch mit ihr verbrachte.

Und dann ging Shikibu fort, um die Familie ihres Vaters in der Hauptstadt zu besuchen. Sie nahm ihre Frauen und viele Bedienstete mit, sogar den fetten Koch. Das Haus blieb sehr still und leer. Yoshifuji war noch seltener zu Hause, aber wenn er da war, war er fast immer allein. Er verbrachte viel Zeit mit Schreiben und führte den Pinsel mit großer Gewissenhaftigkeit. An den meisten Abenden schlenderte er im Zwielicht durch die Ziergärten und in den Wald hinein, einen scharf riechenden Zedernweg entlang, der zwischen zwei Schreinen hindurchführte. Ich folgte ihm auf seinen Waldspaziergängen und versuchte, im Dämmerlicht seinen Gesichtsausdruck zu erkennen.

Eines Nachts kauerte ich unter der Weide. Mein Herr saß allein in einem Zimmer, die Schirmwände zurückgeschoben. Ich glaube, er betrachtete einfach nur den Garten im Mondlicht, vielleicht trank er auch Sake....