Im dunklen Tal

von: Angeline Bauer

Rosenheimer Verlagshaus, 2014

ISBN: 9783475542404 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Im dunklen Tal


 

Durch Todesnacht

bricht ew’ges Morgenrot.

1. Kapitel


Weinend klammerte sich das Mädchen an die Mutter. »Und den Streichenwirt ham’s auch angezündet!«, schluchzte es.

Anna Greimbl bekreuzigte sich. »Jesus, Maria und Joseph!« Sie strich ihrer Tochter über’s blonde Haar. Maria war erst vierzehn Jahre alt, diente als Magd in der Wirtschaft auf dem Achberg. »Und du?«, fragte die Mutter. »Haben sie dir auch was angetan?«

»Ich bin ja gar nicht droben gewesen! War von der Hausmutter nach Schleching geschickt worden, um den Zimmermann für eine Reparatur am Dachstuhl zu bestellen. Als ich dann auf dem Waldpfad zurückging und nicht mehr weit nach Hause hatte, hörte ich das Geschrei der Soldaten und wie das Vieh gebrüllt hat und die Leute um Gnade flehten. Wir haben nicht mehr Geld, wir können euch nicht mehr geben, hat die Hausmutter gerufen. Und dann wieder Schüsse, und plötzlich die Flammen und das Prasseln von Feuer. Durchs Geäst hindurch hab ich zugesehen, wie einer die Zenzi niederstach.« Maria presste das Gesicht an die Schulter der Mutter, wimmerte: »Gelacht hat er dabei und der Toten noch die Hände und Füße abgeschlagen, mit denen sie zuvor nach ihm getreten hatte. Da hast, was dir gebührt, hat er geschrien. Von einem Weiberleut lässt sich ein Pandur nicht prügeln!«

»Und du?«, fragte die Mutter wieder.

»Losgerannt bin ich da, so schnell wie ich konnte.« Maria deutete auf ihr zerschundenes Gesicht und die zerschundenen Hände. »Bin hingefallen, hab mich überschlagen und bin auf dem eisigen Schnee Kopf voran den Berg hinuntergerutscht. Bin wieder aufgestanden und weitergerannt bis zum Flussufer, weil ich mich im Wald so gefürchtet hab.«

Inzwischen waren auch die Nachbarn auf die Straße gelaufen, umringten die Greimbl-Bäuerin und ihre Tochter, hörten was die Maria unter Tränen erzählte und starrten zum Achberg hinüber. Dicke schwarze Rauchwolken stiegen dort auf und verdunkelten den Himmel, Schüsse hallten zwischen den Schlechinger Bergen hin und her.

»War grad am Staffen vorbei«, berichtete das Mädchen weiter, »da hab ich gesehen, wie der Toni vom Chronlachner und der Knecht, der Otto, aus dem Wald gerannt kamen. Der Toni vorneweg, der Otto hinterher, als wollte er ihn einfangen. Und der Toni hat gebrüllt wie am Spieß und war ganz von Blut besudelt. Und dann kam auch sein Bruder, der Alois noch, und sein Vater ist vom Hof zum Wald hinaufgelaufen und hat auch geschrien. Saubande, hat er geschrien, verreckte Saubande.«

Hufgetrappel war plötzlich zu hören. Die Menschen auf der Straße fuhren herum und blickten hinter sich, dachten schon, es wären die Panduren, die ihnen jetzt an den Kragen wollten, aber es waren zwei von Oberwessen. In gestrecktem Galopp kamen sie angeritten.

»Habt ihr’s mitbekommen«, schrie der Ältere schon von weitem, »die Österreicher mit den Kroaten sind eingefallen, in aller Herrgottsfrüh! Konnten die Grenzpatrouillen an der Achen umgehen und sind im Schutz der Wälder und des Schneegestöbers ins Land vorgedrungen.«

Sie parierten vor der Gruppe Menschen durch und sprangen von den Pferden. Der Ältere war ein Rossknecht, der jüngere der Sohn des Bauern, bei dem der Rossknecht arbeitete.

»Oberwessen haben s’ eingenommen, die Höfe geplündert und in Brand gesteckt, die Frauen geschändet, die Männer erschossen, das Vieh niedergemetzelt!«, rief der Ältere. »Bei uns im Dorf und droben am Achberg und beim Peterer und auf der Petereralm. Zwei Soldaten haben die Unseren dabei aber auch erwischt.«

Der Jüngere fing an zu weinen. »Sogar an meiner achtjährigen Schwester haben sie sich vergangen! Und ich war so feige und bin geflohen statt ihr zu helfen.«

Die Frau vom Mesner nahm ihn in die Arme. »Recht hast getan, Bub, sonst hätten sie dich auch noch umgebracht.«

Die Männer auf der Dorfstraße von Niederwessen drohten mit Fäusten zum Achberg hinauf und gaben ihre Flüche dem scharfen Wind mit, der von Österreich herüber fegte.

»Saubande, elendige!«

»Tollpatschengschwerl!«

»Da hilft das Fluchen auch nichts«, sagte der Schafferer-Wirt, »es wäre gescheiter, wir würden alle nach Hause gehen und unsere Türen verrammeln.«

»Was soll das bringen? Wenn die hierherkommen, dann zünden sie uns das Dach überm Kopf an und wir verbrennen in unseren Häusern!«

»Dann eben in die Kirche!«

»Die brennt genauso gut!«

Wolf Greimbl – zusammen mit dem Schafferer-Wirt, Peter Brandstetter und Nepomuck Schmidthauser war er einer der Vierer vom Dorf – sah den Jungbauern vom Hörterer an. »Bei deinem Schwager droben, beim Schweitzer, da haben s’ doch einen Erdkeller, da wären wir sicher.«

Der nickte. »Und seine Nachbarn und die beim Gatterer haben auch einen.«

»Dann hopp und los!« Greimbl deutete auf den Entfellner. »Ihr geht’s so rum, und wir gehen so rum und warnen die anderen auch.«

Sie brachten die Rösser in den Stall vom Greimbl und machten sich auf den Weg.

Bis zum Einbruch der Nacht hatte sich ein Großteil der Niederwessener in drei Erdkellern zusammengepfercht, ehe sich die Vierer hinaus trauten, um nach dem Rechten zu sehen. Im Dunklen schlichen sie durchs Dorf, jeder einen Prügel in der Hand. Als sie am Seidenfadengütel vorbeikamen, schlugen die Hunde an, die anderen Hunde des Dorfes fielen mit ein. Doch weiter war alles still, kein Angstgeschrei und Kriegsgetümmel mehr, auch keine Feuersbrunst irgendwo auf den Bergen ringsumher, einfach nur kohlrabenschwarze Nacht. Es schien, die Panduren waren weitergezogen und hatten die Niederwessener verschont.

Doch der nächste Morgen brachte Grausamkeiten ans Licht, die selbst den hartgesottensten Männern des Dorfes Tränen in die Augen trieben.

Weil Maria Greimbl erzählt hatte, dass sie den Buben vom Chronlachner draußen am Waldrand schreiend und blutbesudelt herumlaufen sah, spannte ihr Vater seinen Braunen vor den Leiterwagen und holte den Brandstetter und den Schmidthauser ab, um bei den beiden Einödhöfen nach dem Rechten zu schauen.

Vom Schlechinger Tal her fegte ihnen ein eisiger Wind entgegen, peitschte ihnen Schneenadeln in die Gesichter. Geduckt, ihre Hüte tief in die Stirn gezogen, saßen die drei Männer auf dem Wagen; vorne auf dem Bock der Greimbl, hinter ihm, auf der Ladefläche, die beiden anderen.

Schon von Weitem hörten sie das Vieh im Stall vom Puchberger brüllen und tauschten unheilvolle Blicke. Im Näherkommen sahen sie, dass kein Rauch aus dem Schornstein kam, kein Hund herumlief, keine Menschenseele ums Haus unterwegs war. Ein Fensterladen hatte sich aus dem Anker gelöst und schlug im Wind gegen die Mauer.

Sie hielten an, stiegen ab und warfen dem Ross eine Decke über. »Geh du vor«, sagte Peter Branstetter zum Schmidthauser, der schüttelte den Kopf, und sah Wolf Greimbl an.

»Jetzt macht euch nicht in die Hosen!«, schimpfte der. Er griff nach einer Mistgabel, die hinter ihm auf dem Wagen lag, ging zur Haustür und drückte die Klinke herunter. Doch die Tür war verschlossen. Wie um sich Mut zu machen riefen sie:

»Puchberger!«

»Puchberger, bist daheim?«

»Mach auf, Puchberger!«

Nichts rührte sich, nicht einmal der Hund bellte.

Sie versuchten durchs Fenster zu schauen, doch drinnen war’s zu dunkel, um viel erkennen zu können.

»Dann eben durch den Stall!«

Sie schlichen ums Haus, Wolf Greimbl mit der Mistgabel voraus. »Puchberger!«, schrie er wieder. »Bist’ da? Maria! Michel!«

Am Eingang zum Stall lehnte eine Schaufel. Brandstetter bewaffnete sich damit. Sie gingen hinein. Drinnen, ganz vorne, stand der Zugochse. Sein Hals war blutig vom Reißen an der Kette, vom Versuch, sich zu befreien. Als er die Männer sah, warf er den Kopf hoch, riss dabei die Augen auf, dass das Weiße zu sehen war und brüllte. Die Kühe brüllten mit ihm, die Rösser wieherten.

Brandstetter stieß den Finger nach vorne in Richtung auf eine der Kühe, deren Flanken ganz eingefallen waren. »Ja Sakra, die haben wer weiß wie lange nichts zum Saufen und zum Fressen gehabt!«

Ein paar Schritte weiter entdeckten sie den Hofhund, der mit blutigem Kopf und heraushängender Zunge hinter einer Kuh lag. Erschlagen! Zu dritt starrten sie den Kadaver an.

Wolf Greimbl gab sich als erster einen Ruck und ging weiter zur Tür, durch die man vom Stall in die Tenne und von dort ins Haus kam. In der Tenne war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Ein Wagen stand da, eine Egge, der Hahn und seine Hühner pickten im Staub nach Körnern, die beim Dreschen abgefallen sein mochten.

Noch einmal wurden Blicke getauscht, dann zog Greimbl entschlossen die Tür zum Haus auf und stieß im nächsten Moment einen Schrei aus. Vor ihm im Fletz lag der Altbauer in seinem Sonntagsg’wand, halb auf der Seite in einer Blutlache.

»Jesus-Maria!« Die Männer bekreuzigten sich. »Der Schorsch!« Sie starrten auf seinen zertrümmerten Schädel. »Den hams...