´´Ich´´ - Karl May´s Gesammelte Werke Band 34

von: Karl May

Karl-May-Verlag, 1995

ISBN: 9783780217349 , 622 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

´´Ich´´ - Karl May´s Gesammelte Werke Band 34


 

Meine Beichte (S. 17-18)
(28. Mai 1908)

Ihr lasst den Armen schuldig werden, dann überlasst ihr ihn der Pein . . .
Goethe


Ich bin der Sohn blutarmer Webersleute. Man hielt mich für begabt. Man wünschte, ich solle studieren. Aber für Gymnasium und Universität gab es keine Spur von Mitteln. Da hungerten und kummerten meine Eltern und Geschwister jahrelang, um mir durch den Seminarbesuch zu ermöglichen, Lehrer zu werden.

Ich ward es, war aber dann so arm, dass ich nicht einmal die allerbilligste Taschenuhr besaß, die Zeit des Unterrichts zu regeln. Ich lehrte an einer Fabrikschule und wohnte mit dem Buchhalter in einem Zimmer und einer Schlafstube zusammen. Er hatte beides vorher allein gehabt und zürnte mir darüber, dass er nun nicht mehr der alleinige Herr seiner Räume und Besuche war. Er war sehr wohlhabend. Er besaß zwei Uhren. Eine neue, gute und eine alte, sehr billige, die er nicht mehr brauchte.

Sie hing unbenutzt an der Wand. Ich bat ihn, mir für die Zeit des Schulunterrichts doch diese alte zu borgen, bis ich mir eine kaufen könne. Er tat es. Ich steckte sie täglich ein, wenn ich zur Schule ging. Ich steckte sie auch einmal ein, als ich zu Weihnachten meine Eltern und Geschwister besuchte, die sich unendlich freuten, nun ausgehungert und ausgekummert zu haben und in mir die Hoffnung auf eine bessere Zukunft erblicken zu dürfen.

Es waren meine ersten Ferien als Lehrer, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich wahre Weihnachtsferien. Es war mir, als ob ich mich diesen armen, hoffnungsfreudigen Anverwandten als Christgeschenk zu bescheren hätte. Sie sollten ihre Ehre und Freude an mir erleben und nur Gutes von mir erfahren. Kaum war ich bei ihnen angekommen, so wurde ich von einem mir nachgeschickten Gendarm verhaftet und, weil ich mich in meinem maßlosen Entsetzen wie ein wirklicher Dieb benahm, wegen Diebstahls mit sechs Wochen Gefängnis bestraft.

Dieses Entsetzen hat mich nicht wieder verlassen; es gab mich nicht wieder frei. Es krallte sich in mir fest und fraß mich innerlich mitten auseinander. Der Gedanke an die mir widerfahrene Schande und an das Herzeleid meiner armen Eltern und Geschwister bohrte sich so tief und so vernichtend in meine Seele ein, dass sie schwer und gefährlich erkrankte. Es entwickelte sich eine jähe seelische (nicht etwa geistige) Depression, in deren Tiefe wahnsinnige Erwägungen entstanden.

Ich begann nicht mich, sondern andere zu beschuldigen: den hinterlistigen, grausamen Eigentümer der Uhr, den Staatsanwalt, den Untersuchungsrichter und alle anderen Personen, die in dieser Sache gegen mich zu tun gehabt hatten. Ich sann auf Rache, und zwar auf eine fürchterliche Rache, auf etwas noch niemals Dagewesenes.