Die Erben der Nacht - Dracas - Eine mitreißende Vampir-Saga

von: Ulrike Schweikert

cbt Jugendbücher, 2010

ISBN: 9783641056162 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die Erben der Nacht - Dracas - Eine mitreißende Vampir-Saga


 

WIEDERSEHEN IN WIEN
Luciano ließ seinen Blick über die Särge schweifen, die sich an der Wand entlangreihten. Unzählige Kleidungsstücke lagen darauf ausgebreitet: Jacken, Gehröcke, Hosen, Hemden und Westen von verschiedenem Schnitt und in allen erdenklichen Farben, dazu Halsbinden, Hüte, Schuhe, Handschuhe und ein eleganter Gehstock mit einem geschnitzten Knauf.
Nachdenklich sah er an sich herunter und betrachtete die moosgrüne Jacke, die er über einer gestreiften Weste und kräftig braunen Pantalons trug. Eine knallgelbe Halsbinde und Lackschuhe mit weißen Gamaschen vervollständigten die Aufmachung.
Mit einem Seufzer nahm Luciano den neuen Zylinder vom Kopf und warf ihn auf den Sarg vor sich. »Ich weiß nicht so recht. Dario, was hast du noch?«
Wortlos reichte ihm der Diener ein weißes Seidenhemd, eine schwarze Frackhose und die dazu passende Jacke mit den langen Schößen aus gleichem Tuch. Luciano sah an sich herab und zog eine Grimasse.
»Ist etwas nicht in Ordnung, liebster Cousin?« Chiara erhellte mit ihrem Lächeln den feuchten Raum in einem Seitenflügel der Domus Aurea, des ehemaligen Neropalasts in Rom, der wie eine Gruft anmutete.
Luciano hob die Arme. »Ich weiß nicht, was ich nach Wien mitnehmen soll. Ich habe nichts Passendes zum Anziehen!«
»Du Armer!«, spottete die Vampirin. »Ich dachte, diese Bemerkung sei ein Privileg des weiblichen Geschlechts.«
Chiara trat näher. Wieder einmal musste Luciano neidvoll anerkennen, dass seine Cousine umwerfend aussah. Wie die meisten Mitglieder des Clans der Nosferas hatte die Natur sie mit prächtigen schwarzen Locken und üppig weiblichen Formen gesegnet. Doch Chiara war eine der wenigen des römischen Clans, die nicht zu übermäßigem Blutgenuss neigte, einer Angewohnheit mit unübersehbaren Folgen. Ihr Vetter Maurizio war da ein gutes Beispiel, man konnte ihn nur noch als unförmige Masse bezeichnen. Wobei sein Kater Ottavio inzwischen genauso fett war wie sein Herr.
Chiara dagegen standen ihre Formen verführerisch gut zu ihrem zugegeben runden, aber hübschen Gesicht und sie verstand es, mit ihren Kleidern jedes Gramm an sich vorteilhaft zur Geltung zu bringen. Heute trug sie ein Kleid aus saphirblauem Seidentaft, das in unzählige Falten gelegt bis zum Boden herabwallte. Die weiße Haut ihres Dekolletés rahmte schwarze Spitze und auf dem Ansatz ihrer Brüste funkelte ein Collier aus Perlen und Saphiren.
Luciano fiel es schwer, sich von diesem Anblick loszureißen. Und dabei war sie seine Cousine! Er fragte sich, wie die anderen Erben der Clans auf ihre Erscheinung reagieren würden. Vielleicht würde er Chiara in diesem Akademiejahr ein wenig im Auge behalten müssen, damit keiner es wagte, ihr zu nahe zu treten. Sie waren schließlich keine Kinder mehr. Luciano zählte – wie seine Cousine – bereits sechzehn Jahre.
Chiara sah sich in seinem steinernen Gemach um und erfasste die ausgebreiteten Kleidungsstücke mit einer Handbewegung. »Ist das alles?«, fragte sie spöttisch.
Luciano nickte unglücklich. »Bisher ja.«
»Und was ist das dort drüben?« Sie deutete auf einen Stoffberg, der die auf den Särgen liegenden Kleidungsstücke um ein Vielfaches übertraf.
»Lauter altes Zeug, das ich nicht mehr anziehen kann.«
Chiara pickte eine elegante Hose und eine weinrote Jacke hervor und hielt sie vor ihn hin. »Das finde ich nicht schlecht und auch nicht zu altmodisch. Zieh mal an!«
Luciano gehorchte unter Protest. »Das ganze Zeug passt mir nicht mehr. Ich bin über den Sommer mindestens eine Handspanne gewachsen.«
»Und erheblich dünner geworden«, stellte sie verblüfft fest, als er die Hose schloss, die ihm über die Hüften zu rutschen drohte. Ihr Blick wanderte zum Saum hinunter, der sich irgendwo im unteren Bereich seiner Waden verlor. Chiara schüttelte lachend den Kopf. »Nein, davon kannst du wirklich nichts mehr anziehen. Versuche es mit dem schwarzen Frack, den Dario dir herausgesucht hat.«
Luciano gehorchte. »Ja, nicht schlecht, aber so düster – naja, schwarz eben. Findest du nicht?«
»Das nennt man elegant.« Chiara kam mit wiegenden Hüften näher und pikte ihn mit ihrem gepflegten langen Fingernagel in die Brust. »Nicht, dass ich etwas gegen farbenprächtige Kleider einzuwenden hätte, doch mir ist, als könne ich bereits Franz Leopolds ätzende Kommentare hören, wenn er dich darin sieht.«
Luciano zog eine Grimasse. Er konnte Chiara nicht widersprechen.
»Lass dir lieber noch einen schwarzen Frack schneidern«, riet sie, »und vielleicht einen Gehrock zu Pantalons aus hellgrauem Tuch. Wenn du auf deine geliebten Farben nicht völlig verzichten willst, dann wähle ein dunkles Blau!«
»Wenn du meinst«, gab er nach und zupfte den neuen Frack zurecht, während Dario ihm die schmale weiße Schleife band.
Chiara trippelte zur Tür und wandte sich dann noch einmal um. »Weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst?«
Luciano sah misstrauisch auf, konnte aber weder in ihrem Tonfall noch in ihrer Miene einen Hauch von Spott erkennen.
»Ich?«, vergewisserte er sich ein wenig ungläubig. Verlegen fuhr er sich durch das schwarze Haar, dass es wieder einmal nach allen Seiten abstand.
Chiara nickte mit ernster Miene. Dann trat ein schelmisches Lächeln auf ihre Lippen. »Ich freu mich jetzt schon darauf, zu sehen, wie Franz Leopold sich vor Neid windet!« Fröhlich lachend tänzelte sie hinaus.
Etwas verwirrt wandte sich Luciano an seinen Diener. »Sie übertreibt mal wieder maßlos. Jeder weiß, dass die Dracas mit verschwenderischer Schönheit gesegnet sind – zumindest, was den äußeren Schein betrifft. Über ihre Charakterzüge wollen wir hier nicht reden.« Luciano deutete mit einer Grimasse an, was er davon hielt. »Und Leo ist leider – einfach perfekt.«
»Das ist Geschmacksache«, antwortete der Schatten emotionslos, wie es sich gehörte. »Doch wenn Ihr auf meine Meinung wert legt, so muss ich Fräulein Chiara beipflichten, dass Ihr Euch sehr gewandelt habt und den Vergleich mit keinem anderen Vampir scheuen müsst. Auch nicht mit einem Dracas.«
Luciano war sprachlos. Hatte er sich wirklich so sehr verändert? Er sah an seinem schlanken Körper herab und betrachtete seine langen Fingernägel, an denen er nicht mehr, wie noch in den ersten Akademiejahren, nervös herumkaute. Luciano dachte an Ivy und spürte, wie ein Lächeln über seine Lippen huschte. Nun freute er sich noch mehr, die anderen Erben der Clans wiederzusehen und mit ihnen in einem weiteren Jahr der Akademie junger Vampire neue magische Fähigkeiten zu lernen. Auch wenn es ausgerechnet in Wien sein musste. Nicht dass er gegen diese Stadt etwas einzuwenden hatte. Nichts lag ihm ferner, als den Hass der menschlichen Bewohner Roms gegen die Habsburger und ihr Reich zu übernehmen. Es waren die Dracas, die ihm Bauchschmerzen bereiteten, wenn er nur einen von ihnen zu Gesicht bekam!
Ja, die Vampirclans hegten ihre eigenen Vorlieben und noch mehr ihre eigenen Feindschaften, die sie jahrhundertelang in unzähligen Kriegen vertieft hatten. Doch diese sollten nun der Vergangenheit angehören. Aus diesem Grund hatten sich vor vier Jahren die Clanführer der Nosferas aus Rom, der Vamalia aus Hamburg, der Lycana aus Irland, der Dracas aus Wien und der Vyrad aus London getroffen und die Akademie gegründet. Seitdem versuchten wenigstens die jungen Vampire, die alten Vorurteile zu überwinden. Was recht gut gelang, fand Luciano. Immerhin waren seine besten Freundinnen Alisa de Vamalia und Ivy de Lycana. Zugegeben, mit Franz Leopold de Dracas war das Verhältnis nicht gerade herzlich. Aber immerhin schon besser, zumindest manchmal.
Eine lange Zugfahrt lag hinter ihnen. Eingesperrt in ihre Transportkisten waren die Vampire gezwungen gewesen, Stunden über Stunden still zu liegen und nur dem Rattern der Räder auf den Schienen zu lauschen. Das Schlimmste an dieser Art zu reisen war, dass einen dabei nichts von seinem Blutdurst ablenken konnte.
»Ich sterbe gleich vor Hunger!«, stöhnte Chiara und presste sich die Handflächen gegen ihr eng anliegendes Mieder.
»Stell dich nicht so an«, entgegnete Luciano kühl. »Du kannst nicht sterben – und schon gar nicht, weil du ein paar Stunden kein Blut bekommen hast.«
Chiara funkelte ihn an. »Danke für die Belehrung. Und das ausgerechnet aus dem Mund meines verfressenen Cousins. Oder willst du etwa behaupten, dich würde der Blutdurst nicht quälen?«
Luciano dachte kurz darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, so schlimm ist es nicht«, stellte er erstaunt fest. »Hauptsächlich freue ich mich darauf, die anderen wiederzusehen.«
»Pah, Gefühlsduselei!«, meinte sein älterer Vetter Maurizio und biss in die Ratte, die ihm sein treuer Kater Ottavio gefangen hatte. »Es geht nichts über frisches, warmes Blut!«
»Ja, das sieht man dir an«, gab Luciano zurück. Wie fett und unansehnlich Maurizio in den vergangenen Jahren geworden war. Neben der hageren Leonarda, Chiaras Servientin, wirkte er geradezu grotesk. Leonarda steckte noch immer in dem mageren Körper einer Dreizehnjährigen, wie an dem Tag, an dem sie von einem Nosferas gebissen und zum Vampir gewandelt worden war. Im Gegensatz zu den Vampiren reinen Blutes veränderten sich die Unreinen, Schatten oder Servienten, wie manche Clans sie auch nannten, nicht mehr, egal, wie alt sie wurden. Jeden Abend erhoben sie sich aus ihrem Sarg, als sei es noch immer die Nacht ihres Todes. Rein äußerlich zumindest. Denn wie bei alle anderen Vampire nahmen ihre Kräfte, ihre Erfahrung...