Islamverherrlichung - Wenn die Kritik zum Tabu wird

von: Thorsten Gerald Schneiders

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2010

ISBN: 9783531923840 , 382 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 35,96 EUR

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Islamverherrlichung - Wenn die Kritik zum Tabu wird


 

Fundamentalismus
Von der Theologie zur Ideologie
(S. 151-152)

Nasr Hamid Abu Zayd

Josef van Ess, ein geschätzter Kenner der frühislamischen Theologie, hat nachgewiesen, dass „Fundamentalismus“ mit einem ganz bestimmten theologischen Anspruch an Heilige Texte verknüpft ist. Für alle religiösen Erscheinungsformen des Fundamentalismus, ob jüdisch, christlich oder islamisch, machte van Ess die grundlegende Gemeinsamkeit aus, dass deren Vertreter Aussagen aus Heiligen Texten wortwörtlich nehmen und jeglichen Versuch unterlassen, die historische Kluft zwischen dem Moment ihres Eintretens in die Geschichte und den späteren Kontexten zu beachten.

Sie alle glauben, dass diese Heiligen Texte eine göttliche Verbalinspiration darstellen und dass es keine menschliche Vermittlung zwischen dem Wort Gottes und der menschlichen Aufnahmefähigkeit gibt. „Ebenso wie der Protestantismus, der mit der Autorität der Kirche zugleich die Tradition entwertete, geriet auch das islamische Denken in Gefahr, der Schrift eine Eigendynamik zu gestatten“ (van Ess 1996: 149).

Die Betonung der Unfehlbarkeit Heiliger Texte ist nichts anderes, als eine logische Schlussfolgerung, die aus der Vorstellung herrührt, dass der Text eine exakte Äußerung des Göttlichen daselbst ist. Aber während diese Vorstellung im Christentum, „in dem Theologie auf der Basis von vier Evangelien betrieben wird“ (ebd.: S. 192), eine Extremposition darstellt, bildete sie in der islamischen Theologie seit dem 3. Jahrhundert islamischer Zeitrechnung und dem 9. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung eine grundlegende Lehrmeinung.

Im Arabischen lautet die Entsprechung, die in jüngster Zeit für den Begriff Fundamentalismus geprägt wurde: us liyya. Der Begriff leitet sich von dem Wort ‘asl ab, das nach Hans Wehrs Arabischem Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart folgende Bedeutung hat: „Wurzel; Stamm (des Baumes); Ursprung, Quelle; Ursache, Grund; Herkunft (bes. Gute; edle Herkunft u. Eigenschaft); Grundstock, Grundlage; Original (z.B. e-s Buches)“.

In der Verbalform bedeutet es: „fest verwurzelt werden od. sein; fest stehen; vornehmen Ursprungs sein“. Ein klassisch-arabisches Wort, das diesem westlichen Begriff enstpricht, existiert nicht. Die Wörter, die ihm in der islamischen Terminologie noch am nächsten kommen, bezeichnen zwei Disziplinen im Bereich der Theologie sowie der Jurisprudenz: us l al-d n und us l al-fiqh. Vertreter beider Disziplinen werden al-us liyy n genannt, weil sie sich mit den methodologischen Grundlagen für die Forschungsarbeiten in ihren jeweiligen Wissensgebieten beschäftigen.

Der gegenwärtige Gebrauch des Worts us liyya kann und sollte aber nicht mit der klassischen intellektuellen Aussagekraft verwechselt werden, die er im Kontext akademischer Diskurse transportiert. Van Ess unterstreicht wiederum: „Den Begriffen ‚Funda- mentalismus‘ und ‚Verbalinspiration‘ ist gemein, dass sie nicht in die klassischarabische Sprache übersetzt werden können. Es ist interessant zu sehen, wie der Begriff us liyy n in der modernen Sprache der halbgelehrten Literatur aufgekommen ist – so als ob alle Fundamentalisten Experten für usul al-fiqh wären.“ (van Ess 1996: 178)