Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher - Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg

von: Claudia Moisel

Wallstein Verlag, 2013

ISBN: 9783835320598 , 288 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 33,99 EUR

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Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher - Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg


 

4. Der Kölner Lischka-Prozeß (1965 bis 1980) (S. 229-230)

Der Impuls für das Zusatzabkommen war in der Bundesrepublik von Staatsanwälten in Ludwigsburg und Köln ausgegangen, die gegen die Hauptverantwortlichen für die »Endlösung der Judenfrage« in Frankreich ermittelten. Zu den mutmaßlichen Tätern, die in Frankreich nach dem Krieg bereits in Abwesenheit verurteilt worden waren, gehörte auch der ehemalige SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka aus Köln, der seit seiner Rückkehr aus tschechischer Haft im Jahr 1950 in Köln lebte.

Der SRCGE hatte sich unmittelbar nach Kriegsende dem Phänomen der »Rassenverfolgung« zugewandt und 1947 eine umfassende Studie vorgelegt. »Deutschland hat aus dem besetzten Europa Tausende von Widerstandskämpfern, Patrioten, Kommunisten und Priestern deportiert«, so der SRCGE. »Ihre Berichte zeugen von ihren unfaßbaren Leiden und den zahllosen Todesopfern. Es scheint dennoch kaum übertrieben, davon auszugehen, daß die europäischen Juden ihrerseits zu Millionen der Vernichtung zugeführt worden sind.« Unter den jüdischen Deportierten, so die eindeutige Botschaft der Studie, waren die höchsten Opfer zu beklagen.

Mit dieser Erkenntnis tat man sich im französischen Parlament jedoch schwer. Als die Nationalversammlung im März 1948 über die Entschädigungsansprüche der Deportierten diskutierte, stand nicht das Schicksal der jüdischen Opfer im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Status der ehemaligen Widerstandskämpfer. Sozialisten und Kommunisten, Christdemokraten und Gaullisten waren sich einig, jenen die gebührende Ehre zu erweisen, »die aus lobenswerteren Motiven als andere« deportiert worden waren: den Angehörigen der Widerstandsbewegung.

Déportés et Internés de la Résistance lautete schließlich der mit zahlreichen Rechtsansprüchen verbundene Titel für Widerstandskämpfer, die ihr patriotisches Engagement mit Lagerhaft bezahlt hatten. Ihnen stand die ungleich größere und ungleich heterogenere Gruppe der Déportés et Internés politiques gegenüber, die mit Ausnahme der Résistance-Kombattanten alle Deportierten umfaßte, darunter auch die jüdischen Verfolgten. Ihre besondere Situation fand damit im Rechtsstatus der Deportierten im Nachkriegsfrankreich keine Entsprechung.

Erst 20 Jahre nach Kriegsende wurde die Debatte von einer Historikerkommission unter dem führenden französischen Résistance-Forscher Henri Michel erneut aufgegriffen5. Seit Mitte der sechziger Jahre lagen der Commission d’histoire de la déportation die ersten aussagekräftigen Teilergebnisse einer landesweiten statistischen Erhebung vor: 39 % der politischen Häftlinge und Widerstandskämpfer, aber 90 % der Juden, die aus Frankreich deportiert worden waren, waren in den nationalsozialistischen Lagern ums Leben gekommen6. Verschiedene Deportiertenverbände, insbesondere die mitgliederstarke, der kommunistischen Partei nahestehende Fédération Nationale des Déportés, Internés, Résistants et Patriotes (FNDIRP) begegneten möglichen politischen Schlußfolgerungen aus diesen Untersuchungsergebnissen schon im Vorfeld mit entschiedener Ablehnung.