Risikofaktor Nachtarbeit: Soziale Ausgrenzung, 'Burnout' und Übergewicht

von: Karsten Klemz

Bachelor + Master Publishing, 2013

ISBN: 9783863418786 , 57 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Risikofaktor Nachtarbeit: Soziale Ausgrenzung, 'Burnout' und Übergewicht


 

Textprobe: Kapitel 4, Physiologische Grundlagen: 4.1, Arbeiten gegen die innere Uhr: Aus der evolutionären Entwicklung entstanden bei den verschiedenen Tierarten unterschiedliche Schlafrhythmen, die der jeweiligen Art einen Überlebensvorteil verschaffen sollten. Diesen von der inneren Uhr gesteuerten Schlafrhythmus nennt man zirkadianen Rhythmus der Lebewesen. Der Mensch, wie auch alle anderen Säugetiere besitzen in den Bereichen des Stamm- und Zwischenhirns neuronale Schaltkreise, welche den Schlaf regeln. Erst in den 80er-Jahren fand Michael Menaker von der Universität Virginia bei Hamsterversuchen heraus, dass es zwischen der Netzhaut des Auges und zwei winzigen Zellhaufen hinter der Nasenwurzel verbindende Nervenbahnen gibt. Durch radioaktiv versetzte Substanzen konnte er den sogenannten suprachiasmatischen Nukleus ausfindig machen. Stärkster Taktgeber der sogenannten zirkadianen Uhr ist der durch die Erdrotation gesteuerte Hell-Dunkelwechsel. Durch Einbruch der Dunkelheit und die damit verbundene Reduktion des UV-Lichts wird in der im Gehirn befindlichen Zirbeldrüse (Epiphyse) die Produktion des Hormons Melatonin angeregt. Dieses hat die Reduktion aller Stoffwechselaktivitäten zur Folge. Das Immunsystem hingegen steigert seine Aktivität, da nur so die in der Nacht erforderlichen 'Reparaturprozesse' des Körpers vonstattengehen können. Aber auch soziale Taktgeber wie Arbeitsbeginn und -ende, sowie schreiende Kinder beeinflussen die zirkadiane Uhr. Ohne größere Probleme kann die innere Uhr des Menschen aber nur in kleinen Schritten von etwa einer Stunde verstellt werden (Klug et.al 2008). 4.2, Risikofaktor Schlafstörung: Nach einer Literaturrecherche von Knauth 1983 klagen Schichtarbeiter aus den verschiedensten Industriezweigen im internationalen Vergleich besonders häufig über Schlafstörungen; wenn ihre Tätigkeit mit Nachtdiensten verbunden ist. Während 10-40% der Tagarbeiter und 5-30% der Schichtarbeiter ohne Nachtdienst über Schlafprobleme klagen, sind es bei den im Nachtdienst Tätigen 35-55% und den in Wechselschicht arbeitenden mit Nachtdienst 10-95%. Die Störung des zirkadianen Rhythmus, der primär durch die Nachtarbeit verursacht wird, bedingt eine erhebliche Beeinträchtigung der Schlafqualität und -quantität. Eine kürzere Schlafperiode ist besonders an den Tagschlaf gekoppelt. In einer Zeitbudgetstudie mit 1230 Schichtarbeitern (Knauth, 1983) wurde die kürzeste Schlafphase am Tag zwischen zwei Nachdiensten mit 6 Stunden verifiziert, gefolgt von eine ungefähr siebenstündigen Phase zwischen zwei Frühschichten. Die längsten Hauptschlafperioden wurden mit 8-9 Stunden zwischen zwei Spätdiensten, bzw. zwei freien Tagen angegeben. Als weitere Determinanten für Schlafstörungen erweisen sich die sozialen Umweltfaktoren wie Lärm und familiäre Einflüsse (Best-europäische Zeitstudien 2010). 4.3, Risikofaktor Psyche / 'Burn out': 1974 wurde der Begriff 'Burnout-Syndrom' vom Psychoanalytiker Herbert Freudenberger erstmals für die Gruppe der 'helfenden Berufe' in einer 6-seitigen Publikation mit dem Namen 'Stuff Burnout' deklariert. Es handelt sich dabei um eine auf eigene Erfahrungen und Beobachtungen beruhende Erläuterung dieses Phänomens. Die ersten Beiträge zu diesem Thema erschienen in Zeitschriften, Magazinen und Zeitungen, wobei die Autoren gewöhnlich selbst aus den 'helfenden' Berufsgruppen stammten. Die ersten Publikationen hatten deskriptive Schilderungen zum Inhalt und wurden anhand von kurzen Vignetten und Fallbeispielen bildlich untermauert. Die Untersuchungen basierten nicht auf empirischen Daten, sondern auf Interviews, Beobachtungen und Fallbeschreibungen. Durch die nichtempirische Handhabung des Phänomens und die verwaschene, allgemeine Bedeutung kam es seitens der Wissenschaftskritiker zu Verachtung und Ablehnung. Verschärft wurde der Gegensatz zwischen öffentlichem und wissenschaftlichem Interesse sicher auch durch die primär sozialproblematische Sichtweise des Burnout-Syndroms. Trotzdem zeigte sich anhand der großen Anzahl an nachfolgenden Veröffentlichungen zu diesem Thema die große Resonanz auf Freudenbergers Arbeiten. Etwa zur gleichen Zeit wie Freudenberger befasste sich die Sozialpsychologin Christina Maslach an der Universität von Kalifornien mit Fragestellungen, die den Umgang mit belastenden Situationen in emotional fordernden Berufen zum Thema hatten. Dabei waren die zum Selbstschutz praktizierten geistigen Bewältigungsstrategien, wie distanzierte Anteilnahme und Dehumanisierung, Arbeitsschwerpunkt. Zahlreiche Untersuchungen in Interviewtechnik an Personal aus dem Gesundheits- und Sozialbereich wurden durchgeführt und drei zentrale Themen als bedeutend festgelegt: - Emotionale Erschöpfung und Ausgelaugtheit. - Negative Gefühle und Wahrnehmungen gegenüber Patienten. - Zweifel an der eigenen professionellen Kompetenz. Mit der von ihr und Jackson entwickelten Maslach Burnout Inventory (MBI) entstand neben der Tedium Measure (der Überdrussskala von Pines, Aronson und Kafry) eine der beiden bedeutendsten Burnout-Messinstrumente. Sie bildeten die Grundlage für die methodische Erforschung des Phänomens und läuteten damit Mitte der 80-er Jahre die empirische Phase ein. Obwohl bis heute keine einheitliche und klare Definition existiert, haben verschiedenste auf dem Gebiet des Burnout-Syndroms tätigen Wissenschaftler und Autoren Begriffsbestimmungen für das psychosomatische Phänomen formuliert. Emener (1972) definiert den Begriff als: '...Zustand psychischer oder seelischer Erschöpfung, der als Auswirkung langanhaltender negativer Gefühle entsteht, die sich in Arbeit und Selbstbild des Menschen entwickeln.' Aronson et al. (1985) erweitern diese Erklärung mit der Feststellung: 'das Ausbrennen ist das Resultat andauernder und wiederholter emotionaler Belastung im Zusammenhang mit langfristigem, intensivem Einsatz für andere Menschen. ...Das Ausbrennen ist die schmerzliche Erkenntnis (von Helfern), dass sie diesen Menschen nicht mehr helfen können, dass sie nicht mehr zu geben haben und sich völlig verausgabt haben.' Müller (1994) beschreibt das Burnout Syndrom wie folgt: 'Im Falle einer Burnout-Krise nimmt die psychische Belastbarkeit bereits im mittleren Berufsalter ab. Menschliche Überforderung und Enttäuschungen führen zu emotionaler Erschöpfung und Resignation. Der phasische Verlauf kann bis zur Entfremdung von sich selbst und zu völligem Rückzug zu anderen Menschen führen und in Depressionen und körperliche Erkrankungen münden.' (Domnowski, 2010, S.95) Bezeichnend für diesen Zustand sind also eine emotionale Erschöpfung und Depersonalisierung des Betroffenen, sowie eine zur eigenen Leistungsfähigkeit negative Ideologie. In dem von Siegrist et al. konstatierten Krankheitsmodell der 'Gratifikationskrise' führt eine steigende Distanz zwischen Anforderungen und Belohnung zur Erkrankung. Berufliche Kontrollbestrebungen und Gratifikationskrisen sind demzufolge mit ursächlich für das 'Burnout-Syndrom'. Die Beschreibung der Entwicklungsschritte der Burnout Symptomatik durch die Autoren ist sehr heterogen, dennoch besteht in Bezug auf den Phasenablauf des Phänomens Einigkeit. Fengler (1992) beschreibt die 10 aussagekräftigsten Stufen so: - Freundlichkeit und Idealismus. - Überforderung. - Geringer werdende Freundlichkeit. - Schuldgefühle darüber. - Vermehrte Anstrengung. - Erfolglosigkeit. - Hilflosigkeit. - Hoffnungslosigkeit('Ein Fass ohne Boden'). - Erschöpfung, Abneigung gegenüber Klienten, Apathie, Aufbäumen, Wut. - Burnout: Selbstbeschuldigung, Flucht, Zynismus, Sarkasmus, psychosomatische Reaktionen, Fehlzeiten, große Geldausgaben, Unfälle, Dienst nach Vorschrift, Selbstmord, Liebschaften, Scheidung, plötzliche raptusartige Kündigung, sozialer Abstieg, aus dem Tritt kommen usw. (Domnowski, 2010, S.102f.,). Das Pflegepersonal ist die in der Klinik zahlenmäßig am meisten vertretene Berufsgruppe. Arbeitsunfähigkeit und psychosomatische Beschwerden liegen hier über den Werten der Durchschnittsbevölkerung (Killmer, 1999). 2006 wurde supponiert, dass 40% des in Kliniken arbeitenden Pflegepersonals an Burnout-Symptomen leidet. Als Folge des am Arbeitsplatz erlebten und nicht verarbeiteten Distress wurde das Burnout-Syndrom Mitte der 80er Jahre zum zentralen Thema der helfenden Berufe. Zeitnot, Termindruck, die stetig wechselnde Einstellung auf neue Aufgaben und Patientenanforderungen führt bei den Pflegenden zum Dauerstress. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben werden bei den 'Helfenden' Grundwerte wie Pflichtbewusstsein und Leidensfähigkeit vorausgesetzt. Durch eine fehlende Entwicklung von Kompensationsstrategien werden von Schwestern und Pflegern die sich entwickelnden Defizite anfangs nicht wahrgenommen (Domnowski, 2010). Eine der Hauptgründe für die Entstehung von Gratifikationskrisen im Pflegebereich ist die zunehmende Verdichtung der Tätigkeit. Reduzierte Bettenzahlen in den Krankenhäusern ziehen kürzere Liegezeiten und höhere Patientenzahlen nach sich und lassen die pflegerische Inanspruchnahme steigen. Durch Zunahme diagnostisch-therapeutischer Untersuchungen, die Durchführung berufsfremder Aufgaben, sowie die Erhöhung des Durchschnittsalters und die Zahl chronisch kranker Patienten, nimmt der Bedarf an professioneller Pflege weiter zu. Für die Krankenpflegekräfte resultiert daraus eine weitere Steigerung der Arbeitsbelastung. In unterschiedlichen Befragungen gaben 63-94,3% des Pflegepersonals an, körperlich anstrengend zu arbeiten. Hohes Arbeitstempo, weite Wege, langes Stehen, Tragen, Heben und Bücken gelten dabei als häufigste physische Anstrengungen. Physikalische und chemische Einwirkungen, als auch eine erhöhte Infektionsgefahr erweitern das Belastungsspektrum. Durch das parallele Auftreten physischer und psychosozialer Belastungen ist eine Differenzierung aber nur begrenzt möglich. Eine signifikante Stellung kann entsprechend nicht abgeleitet werden. Individuelle und volkswirtschaftliche Folgen resultieren aus diesem psychosomatischen Syndrom (Killmer, 1999).