Stolz und Verlangen - Roman

von: Sylvia Day

Heyne, 2014

ISBN: 9783641118068 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Stolz und Verlangen - Roman


 

2. Kapitel

»Mitunter bin ich von meiner eigenen Brillanz beeindruckt«, rief Thomas Lynd triumphierend, als er mit dem Hut in der Hand Jaspers Büro betrat.

Man konnte bei Lynd darauf vertrauen, dass er auf die Dienste eines Butlers verzichtete. Ihm waren Lakaien lieber als Butler, die sich aufgrund ihrer Ausbildung besser zu benehmen wussten als er selbst.

Jasper lehnte sich in seinem Stuhl zurück und begrüßte Lynd mit einem freundlichen Lächeln. »Dieses Mal haben Sie sich selbst übertroffen.«

Wie immer war Lynds Kleidung im Stil übertrieben und in der Passform schlecht. Das war das Ergebnis eines mangelhaften Schneiders, der teuren Stoff erhielt, jedoch nicht wusste, wie man ihn am besten nutzte. Ungeachtet dessen gab Lynd ein entschieden vornehmeres Erscheinungsbild ab als viele andere Männer in diesem Beruf. Er bewegte sich auf einem schmalen gesellschaftlichen Grat, der es ihm ermöglichte, bei den unteren Klassen respektiert und geschätzt zu bleiben, während er sich dem Adel auf eine Art präsentierte, die dieser als unbedrohlich empfand.

Lynd ließ sich in einen der beiden Stühle vor dem Schreibtisch fallen. »Sobald sie Montague erwähnte, war für mich die Sache klar.«

Obwohl er Jasper regelmäßig besuchte, sah sich Lynd nun im Raum um, als sähe er ihn zum ersten Mal. Sein Blick wanderte von den Mahagoni-Bücherregalen, die sich an der hinteren Wand entlangzogen, zu den saphirblauen Samtvorhängen, die die gegenüberliegenden Fenster rahmten. »Außerdem wollte sie jemanden, der zu allem Ja und Amen sagt, und mit Ihrem Stammbaum kann keiner von unseren Bekannten mithalten.«

»Eine illegitime Abstammung ist niemals von Vorteil.« Jasper überbrückte den schmalen Grat, auf dem Lynd so sicher wandelte, mit einer Grätsche, was überraschenderweise zu seinen Gunsten ausfiel. Er wurde oft von Leuten angeheuert, denen es wichtig war, dass seine Dienste nicht bemerkt wurden, und die in der Lage waren, die zusätzlichen Kosten zu bezahlen, die bei einem so diskreten Vorgehen anfielen. Da sein Gesicht nicht allzu bekannt war, war er für Eliza Martins Auftrag bestens geeignet.

»In diesem Fall ist es durchaus von Vorteil.« Lynd strich durch sein braunes Haar, das noch keine Anzeichen von Grau hatte. »Man muss hart im Nehmen sein, um die pompösen Wichtigtuer ertragen zu können, mit denen Melvilles Nichte Sie bekannt machen wird, und Sie werden bei den gesellschaftlichen Anlässen, die Sie mit ihr besuchen müssen, weniger auffallen als die meisten anderen, die ich kenne.«

Jasper stand auf und ging zu dem Konsoltischchen neben dem Fenster, auf dem Alkoholflaschen und Kristallgläser standen. Lynd war einer der wenigen Menschen, die über Jaspers Abstammung Bescheid wussten. Sein Protegé vertraute ihm voll und ganz, da er dessen Mutter einstmals, als sie in Not war, einen Gefallen getan hatte.

Während Jasper zwei Glas Armagnac einschenkte, schweifte sein Blick zu den zwei zwielichtig aussehenden Lakaien, die draußen auf der Straße warteten. Es waren Lynds Bedienstete.

Jasper hatte einige Zeit suchen müssen, um ein anständiges Wohnviertel zu finden, wo er seinen Tätigkeiten ungehindert nachgehen konnte. Seine Nachbarn tolerierten das ständige Kommen und Gehen seiner Mitarbeiter, weil durch Jasper die Straßenkriminalität in der unmittelbaren Nachbarschaft verringert wurde. Er betrachtete seinen Dienst an der Gemeinschaft als einen kleinen Preis dafür, dass er nicht in der Umgebung der Fleet Street und der Strand wohnen musste, wo Lynd und viele andere Privatdetektive ihr Quartier hatten. Es war nahezu unmöglich, dem Gestank aus dem Abwassergraben zu entkommen, einem Geruch, der sich in die Mauern der umliegenden Gebäude eingefressen hatte.

Er kehrte an seinen Platz zurück und stellte Lynds Glas an den Rand des Schreibtisches. »Ich habe heute Nachmittag eine Verabredung mit Miss Martin. Dann werde ich erfahren, wie ernst es Montague ist, sie zur Frau zu gewinnen. Vielleicht ist er verzweifelt genug, um Dummheiten zu machen.«

»Diese ganze Geschichte ist absurd!«, knurrte Lynd. »Wenn jemand so entschlossen ist, das junge Ding zu heiraten, sollte er ihm einfach einen Antrag machen. Wenn Sie mich fragen, so ist diese ganze Bande an hoffnungsvollen Verehrern schwachsinnig oder lechzt aus unerfindlichen Gründen danach, ihr Blut mit dem der Tremaines zu mischen. Sie sollte dankbar sein, dass ihr das Vermögen ihres Vaters so viele Verehrer beschert hat. Ohne dieses Geld hätte sie verdammte Schwierigkeiten, sich einen Mann zu angeln.«

Irritiert runzelte Jasper die Stirn. Er war von dem Moment an, als sie das Wort an ihn gerichtet hatte, sofort von ihr verzaubert gewesen.

»Wirklich«, fuhr Lynd fort, »sie sollte sich einfach irgendeinen armen Kerl schnappen und die Sache hinter sich bringen. Jede andere Frau würde das tun. Aber dieser jungen Dame gewährt man sämtliche Freiheiten. Sie hat es selbst in die Hand genommen, einen Privatdetektiv einzustellen, um die Männer auf Abstand zu halten, und Seine Lordschaft ist zu beschäftigt mit dem Wirrwarr in seinem Hirn, um sie zu bändigen. Melvilles Beitrag an unserer Unterhaltung beschränkte sich auf Selbstgespräche.«

»Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb Sie sich so abfällig über meine Klientin äußern?«

»Sechs Wochen werden Ihnen endlos erscheinen, das schwöre ich. Sie werden den Verstand verlieren, und das kann Ihnen kein Geld der Welt ersetzen. Die Dame ist extrem widerspenstig. Was bei einer Frau sehr unnatürlich ist. Sie besaß die Frechheit, mich von oben herab zu mustern – ein Kunststück, muss ich sagen, da ich größer bin – und mir zu erzählen, ich solle mich doch mal nach einem anständigen Schneider umsehen. Sie hat keinerlei Manieren. Ich konnte sie kaum ertragen. Während des gesamten Gesprächs musste ich die Zähne zusammenbeißen.«

»Nur gut, dass Sie den Fall an mich delegiert haben«, erwiderte Jasper lapidar. »Sie hätten gewiss keinen überzeugenden Verehrer abgegeben.«

»Wenn Ihnen das gelingen sollte, so haben Sie Ihren wahren Beruf als Schauspieler verfehlt.«

»Solange Montague nicht die Mittel aufbringt, die er benötigt, um seinen Schuldschein bei mir einzulösen, kann ich in jede Rolle schlüpfen.« Es barg eine gewisse Pikanterie, dass er Montagues Heiratsabsichten durchkreuzen könnte, indem er Eliza selbst den Hof machte.

»Rache kann so zerstörerisch sein wie ein Krebsgeschwür, mein Junge. Daran sollten Sie immer denken.«

Jasper lächelte finster.

Lynd zuckte die Achseln. »Aber Sie machen ohnehin, was Sie wollen. Das war schon immer so.«

Der Schuldschein, den Jasper besaß, beinhaltete eine Urkunde für ein Stück Land in Essex, auf dem lediglich ein bescheidenes Haus stand. Auf den ersten Blick war das Grundstück völlig unbedeutend. Dennoch war sein Wert unbezahlbar. Es symbolisierte jahrelange sorgfältige Planung und die Möglichkeit zur Vergeltung. In sechs Wochen würde es unwiderruflich in seinen Besitz übergehen, und dann könnte er es nach Belieben zerstören oder zur Schau stellen.

Jasper holte einen Beutel mit Silbermünzen aus der Schreibtischschublade und schob ihn in Lynds Richtung.

Nach kurzem Zögern nahm Lynd den Beutel an sich. »Ich wünschte, ich könnte es mir leisten, das nicht anzunehmen.«

»Unsinn. Ich schulde Ihnen weit mehr, als ich jemals zurückzahlen kann.«

Jasper stand auf, brachte Lynd zur Haustür und verabschiedete sich von ihm. Sobald sein Besucher gegangen war, warf Jasper einen raschen Blick auf die Kaminuhr.

In zwei Stunden würde er Miss Eliza Martin einen Besuch abstatten. Er freute sich auf das Wiedersehen mehr, als es unter den gegebenen Umständen angebracht war. Eigentlich sollte er keinen Gedanken an sie verschwenden, schließlich war sie eine Frau, die der Ansicht war, er habe mehr Muskeln als Verstand. Doch seine Ziele erreichte er nur dann, wenn er sich jeder Herausforderung zum richtigen Zeitpunkt stellte und seine ganze Aufmerksamkeit darauf verwendete. Das Treffen mit Eliza hatte noch Zeit; es gab andere wichtige Dinge, um die er sich jetzt kümmern musste. Dennoch ertappte er sich dabei, wie er auf der Türschwelle zu seinem Büro stehen blieb und überlegte, wie er sich für den Besuch bei Eliza kleiden sollte: Sollte er sich elegant ausstaffieren, um sie zu beeindrucken, oder wäre es taktisch klüger, wenn er ihren unauffälligen Stil nachahmte?

Er musste sich eingestehen, dass er ihr gefallen wollte. Es würde schwierig sein, aber es war der Mühe wert.

»Le trône d’amour«, murmelte er vor sich hin, während er über seine Krawatte strich. Nachdem er entschieden hatte, was er anziehen würde, ging er zum Schreibtisch und schwor sich, mindestens eine Stunde lang nicht an seine neue Klientin zu denken.

Um Punkt elf Uhr stand Jasper vor Melvilles Haustür. Er ließ seine Taschenuhr zuschnappen und blieb einen Moment im Vorraum stehen, während der Butler seinen Hut und den Spazierstock entgegennahm. Doch er genoss diesen Moment, kostete die darin schwingende Erwartung aus. Er hatte überlegt, warum er so erpicht auf diese Verabredung war, und war zu dem Schluss gekommen, dass es an Eliza Martins Fähigkeit lag, ihn zu überraschen.

Mit dieser Erkenntnis war die Einsicht einhergegangen, dass ihn schon sehr lange nichts mehr überraschte. Noch bevor jemand den Mund aufmachte, wusste er schon im Voraus, was dieser Mensch sagen oder wie er reagieren würde. Er kannte die starren Regeln der Etikette und war vertraut mit dem menschlichen Naturell. Der gesellschaftliche Umgang glich einem Theaterstück, bei dem...