Die Meisterdiebe von Nürnberg (eBook) - Paul Flemmings vierter Fall - Frankenkrimi

von: Jan Beinßen

ars vivendi, 2009

ISBN: 9783869133485 , 261 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die Meisterdiebe von Nürnberg (eBook) - Paul Flemmings vierter Fall - Frankenkrimi


 

 

2

Bea Meinefeld tot? Paul hatte noch immer starke Kopfschmerzen. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Doch der Nachricht vom Tod des Fotomodells musste er mit klarem Verstand begegnen.

Er saß in einem kahlen Verhörzimmer in der Rathauswache, der Kripomann von vorhin ihm gegenüber. Zwischen ihnen stand nur ein schlichter Tisch, der Kollege des Beamten wartete im Hintergrund.

Es war ganz wie im Fernsehen, nur dass es sich bei dem armen Teufel, den die Polizisten gleich in die Mangel nehmen würden, nicht um einen gut bezahlten Schauspieler handelte, sondern um Paul, und er sich nicht einfach entspannt als Zuschauer zurücklehnen konnte.

»Beginnen wir mit der nächstliegenden Frage«, setzte der Kriminalbeamte an, der ihm gegenüber saß. Paul schien es, als würde ein Lächeln die schmalen Lippen des Ermittlers umspielen. »Warum haben Sie dieses Mädchen getötet?«

»Ich habe was?« Paul sprang von seinem Stuhl auf und schnappte nach Luft. »Wie kommen Sie denn darauf?«

Der Beamte blieb ruhig sitzen und wiegte den Kopf. »Nun – Sie haben bereits zugegeben, dass Sie sich gestern im Lochgefängnis aufgehalten haben. Sie sind mit der Getöteten bekannt. Und sie trug Ihren Mantel, in dem immer noch der Schlüssel zum Lochgefängnis steckte. Da drängt sich uns der Verdacht auf, dass Sie für den Tod dieser Frau verantwortlich sind.«

Paul versuchte das nach wie vor starke Hämmern in seinen Schläfen zu ignorieren und setzte sich wieder hin. Er senkte den Blick, rieb sich die Augen. Er musste aufpassen. Denn das hier war kein Spaß.

Was genau war gestern Abend vorgefallen?, fragte er sich besorgt und klopfte sich mit den Fingerkuppen gegen die Stirn. Okay, zwang er sich zur Raison, wie war der Tag verlaufen? Sie hatten sich nachmittags vorm Rathaus getroffen: er selbst, Bea Meinefeld, ein anderes Model und die Visagistin. Paul hatte den Schlüssel fürs Lochgefängnis vom Presseamt der Stadt bekommen. Sie sollten freie Hand für ihre Fotoaufnahmen haben, denn wegen der Vorbereitungen für eine große Ausstellung im Rathaussaal, einen Stock höher, waren die alten Folterkeller für den Publikumsverkehr gesperrt worden ...

Alles harmlose Dinge – Pauls Berufsalltag. Wie konnte das mit einem Mord in Verbindung gebracht werden?

»Warten Sie«, sammelte Paul seine geschwächten Kräfte zum Selbstschutz. »Sie überfallen mich zu Hause, nehmen mich mit aufs Revier und konfrontieren mich mit einem ungeheuerlichen Vorwurf. Sie haben mir ja noch nicht einmal die Todesursache von Frau Meinefeld genannt. Wie ist sie denn gestorben?«

»Erstaunlich, dass Sie erst jetzt danach fragen«, stellte sein Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen fest.

Der andere Polizist hingegen fragte: »Wissen Sie das denn nicht selbst am besten?«

Paul ballte die Fäuste. Er war bereit zu rebellieren. Warum nur gingen diese beiden Männer so aggressiv gegen ihn vor und traten seine Würde mit Füßen?

Er zwang sich zur Ruhe. »Wie ist sie gestorben?« fragte er nochmals.

Die Beamten verständigten sich mit einem Blick. »Genickbruch«, sagte der eine knapp.

»Sie haben sie richtig hart angefasst«, sagte der andere.

Schon wieder so ein Vorwurf. Paul hätte am liebsten laut aufgeschrien. Doch dann fühlte er sich an etwas erinnert. Für eine Fotoreportage hatte er einmal den Kriminaldauerdienst begleitet und dabei gelernt, dass die Chancen, einen Mörder zu überführen, in den ersten Stunden nach der Tat am größten waren. Dann nämlich waren die Täter selbst noch angespannt und ihre Nerven lagen blank. In dieser psychologischen Extremsituation konnten ein paar energisch vorgebrachte Beschuldigungen reichen, um dem Schuldigen ein Geständnis zu entlocken.

Auf dieselbe Weise versuchten nun offenbar die beiden Polizisten, Paul zum Reden zu bringen. Plötzlich sah er ein, dass die Kriminalbeamten nichts weiter machten als ihren Job – und wahrscheinlich machten sie ihn sogar gut. Aber – verflucht! – er hatte ihnen nichts zu sagen! Wann würden sie das akzeptieren?

»Also?«, forderte ihn der Kripomann ihm gegenüber auf. »In welchem Verhältnis standen Sie zu dem Opfer?«

»Wir haben Fotos gemacht«, brachte Paul stockend hervor.

Der Beamte sah ihn wenig mitfühlend an. »Soso, Fotos. Natürlich. Sie machen Fotos. Denn Sie sind ja Fotograf.« Er führte seinen Zeigefinger an die dünnen Lippen. »Was waren denn das für Fotos?«

Paul kamen bei dieser Frage die Bilder von gestern in den Kopf. Die Korsagen aus schwarzem Leder, die Lackbustiers ... – Bea hatte eine gute Figur in diesen ausgefallenen Dessous gemacht.

»Modefotografie«, sagte Paul möglichst betonungslos.

»Ach?«, tat der Polizist überrascht. »Mode im Folterkeller. – Ist das nicht ein wenig geschmacklos?«

»Es war die Auftragsarbeit einer Nürnberger Boutique«, antwortete Paul. »Kleidung, Ort und Modelagentur wurden vom Auftraggeber bestimmt.« Er erinnerte sich sehr wohl daran, dass er anfangs Skrupel gehabt hatte, den Auftrag anzunehmen. Denn die Sado-Maso-Schiene lag ihm nicht besonders. Aber dann hatte er erkannt, dass die zu fotografierenden Teile zwar sexy, aber keineswegs anrüchig waren. Er musste also keine bösen Folgen für seinen Ruf befürchten – und das Geld konnte er allemal gebrauchen.

»Was genau waren denn das für Modefotos?« Der Beamte blieb hartnäckig.

Paul beschloss, die Wahrheit zu sagen, denn ein Anruf bei der Boutique würde der Polizei ja genügen, um es auch ohne seine Hilfe herauszufinden: »Salonfähiges Lack und Leder«, sagte Paul kurz und versuchte, dabei völlig souverän zu wirken.

Der Polizist setzte ein breites Lächeln auf und drehte sich zu seinem Kollegen um. »Hörst du das, Jürgen? Lack und Leder.« Dann wandte er sich wieder Paul zu. »Diese Beate Meinefeld war ja an sich schon von der Natur verwöhnt. Wenn man sie sich in Hardcore-Reizwäsche vorstellt – das kann einem schon den Verstand rauben, nicht wahr, Herr Flemming?«

Wollte ihn dieser Typ aufs Glatteis führen? Paul musste sich zwingen, seinen Mund zu halten und erst einmal nachzudenken. »Als Fotograf bin ich erfreuliche Anblicke dieser Art gewöhnt. Es ist mein Job, damit emotionslos umzugehen«, sagte er, aber er tat es mit bebender Stimme. Seine Souveränität war dahin.

Er sah Bea vor sich, mit all ihren Reizen. Sie war eine sehr schöne junge Frau gewesen. Traumfigur. Rassig. Ohne Hemmungen. Die reine Lebenslust. Aber Paul hatte schon nach den ersten Aufnahmen entschieden, dass er sie künftig als Model nicht mehr bestellen würde. Sie kokettierte ständig mit ihren Reizen. Wackelte mit ihrem Knackpopo, reckte die Brüste nach vorn, als ob es einen Preis dafür zu gewinnen gäbe. Sie war ihm schlichtweg zu anstrengend für die Arbeit.

Aber danach ... – Sie hatten so gegen neunzehn Uhr Feierabend gemacht. Die Visagistin hatte sich sofort verabschiedet. Doch die beiden Models – Bea voran – wollten noch etwas unternehmen. Sie überredeten Paul zu einem Absacker. Das war eigentlich nicht sein Stil, denn Paul hielt Job und Privatleben für gewöhnlich getrennt. Doch Bea war ausdauernd, und schließlich hatte er eingewilligt. Er lud die beiden auf einen Drink im Goldenen Ritter ein. Der war nicht weit vom Rathaus entfernt und auch nicht weit von seiner Wohnung am Weinmarkt, auf die er sich nach dem langen Arbeitstag schon gefreut hatte.

Er erinnerte sich noch genau an Jan-Patricks Gesichtsausdruck, als Paul mit den beiden Mädels das Lokal betreten hatte: »Um Himmels willen, wen hast du denn da aufgerissen?«, stand in den Augen des Wirts geschrieben. Paul hatte seinem alten Freund auf die Schulter geklopft und ihm zugeflüstert:

»Rein dienstlich.«

»Dienstlich?«, hatte Jan-Patrick zweifelnd wiederholt und sich nervös über sein öliges schwarzes Haar gestrichen. »Ich habe eher den Eindruck, dass du in alte Zeiten zurückfällst. Ich dachte, mit fast vierzig wärst du allmählich aus der Sturm- und Drangphase raus.«

Paul hatte daraufhin nur gelächelt und sich mit seinen beiden Begleiterinnen in die Erkernische des rustikal romantischen Altstadtrestaurants zurückgezogen.

»Das nehme ich Ihnen nicht ab!«, riss der Kriminalbeamte Paul aus seinen Gedanken. »Ein junges, attraktives Mädchen macht Sie an und versucht Sie zu verführen. Und Sie, ausgerechnet Sie als Junggeselle, wollen mir weismachen, dass Sie diesen Verlockungen widerstanden haben?«

Paul nickte unsicher.

Der Beamte schüttelte entschieden den Kopf. »Ich will Ihnen sagen, wie es war: Beate Meinefeld hat während der Fotoaufnahmen Ihre sexuelle Fantasie beflügelt. Die berufliche Distanz ging verloren, Sie wurden erregter ...«

»Geiler!«, mischte sich der andere Polizist ein.

Sein Kollege nickte. »Sie waren sexuell extrem stimuliert, als Sie mit Beate Meinefeld nach dem Fotoshooting im Goldenen Ritter eingekehrt sind.«

»Ach«, unterbrach Paul überrascht. »Sie wissen das mit dem Goldenen Ritter

»Selbstverständlich«, nickte der Beamte. »Die Kollegin der Toten hat uns sehr genau ins Bild gesetzt.« Er beugte sich zu Paul vor. »Legen wir doch die Karten auf den Tisch: Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass ein Mann im besten Alter ein solches Angebot nicht so einfach ausschlägt. Ich an Ihrer Stelle wäre sicher auch in Versuchung geraten. – Man muss sich das einmal bildlich vorstellen: Weibliche Reize in ­jugendlicher Blüte ...«

»Ersparen...