Kühl bis ans Herz (eBook) - Sailer und Schatz: ihr zweiter Fall - Frankenkrimi

von: Sigrun Arenz

ars vivendi, 2009

ISBN: 9783869133386 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Kühl bis ans Herz (eBook) - Sailer und Schatz: ihr zweiter Fall - Frankenkrimi


 

 

Track 1: Der Fischer (Text: Johann Wolfgang von Goethe)

Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,

ein Fischer saß daran,

sah nach dem Angel ruhevoll,

kühl bis ans Herz hinan.

Und wie er sitzt und wie er lauscht,

teilt sich die Flut empor;

aus dem bewegten Wasser rauscht

ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:

Was lockst du meine Brut

mit Menschenwitz und Menschenlist

hinauf in Todesglut?

Ach wüsstest du, wie’s Fischlein ist

so wohlig auf dem Grund,

du stiegst herunter, wie du bist,

und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,

der Mond sich nicht im Meer?

Kehrt wellenatmend ihr Gesicht

nicht doppelt schöner her?

Lockt dich der tiefe Himmel nicht,

das feuchtverklärte Blau?

Lockt dich dein eigen Angesicht

nicht her in ew’gen Tau?

Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,

netzt’ ihm den nackten Fuß;

sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,

wie bei der Liebsten Gruß.

Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;

da war’s um ihn geschehn:

Halb zog sie ihn, halb sank er hin

und ward nicht mehr gesehn.

 

 

 

 

Applaus brandete durch das hohe gotische Gewölbe der St. Andreaskirche, nachdem die letzten Töne des Pianos ver­klungen waren. Der Sänger, der in gespannter Reglosigkeit abgewartet hatte, verbeugte sich tief, lächelte gelöst ins Publikum und streckte dann dem Pianisten die Hand hin, der ebenfalls enthusiastischen Beifall erhielt.

Rainer Sailer wandte seinen Blick von den beiden Künstlern ab, die gerade Blumensträuße von den Organisatoren des Abends in Empfang nahmen, und wandte sich an seine Begleiterin. »Nun?«, meinte er. »Ich hoffe, es hat sich gelohnt.«

Sie klatschte weiter, während sie ihm antwortete: »Danke für die Einladung, das war ein wunderschöner Abend … Also, jetzt mal ehrlich, welche deiner Freundinnen hat dir einen Korb gegeben, so dass du stattdessen mich mitnehmen muss­test?«

Rainer lachte. »Ach, Mutter, so viele Leute in meinem Alter kenne ich nun wirklich nicht, die Schubert mögen … Obwohl …« Er ließ den Blick durch die Reihen der Kirchenbänke schweifen, wo viele Leute noch applaudierten, während andere schon aufgestanden waren, um nicht ins Gedränge des allgemeinen Aufbruchs zu geraten. Für ein klassisches Konzert waren erstaunlich viele junge Leute gekommen, um den Bariton Jonas Hofer zu hören. Er war ein gebürtiger Weißenburger, der gerade dabei war, als Sänger Karriere zu machen, und viele Leute hatten die Gelegenheit genutzt, ihn in seiner Heimatstadt auftreten zu sehen. »Kennst du den Hofer nicht auch, von der Schule?«, fragte seine Mutter und erhob sich mit einem Seufzer von der unbequemen Kirchenbank. Rainer schüttelte den Kopf. »Der war doch bei den Windsbachern«, erklärte er und fragte sich nebenbei, ob die vielen jungen Frauen im Publikum auch gekommen wären, wenn Jonas Hofer nicht in die Kategorie »gutaussehend und charismatisch« gefallen wäre, Schubert hin oder her. »Kann ich dich noch auf einen Orangensekt einladen?«, erkundigte er sich bei seiner Mutter, während die beiden sich dem Strom von ­Menschen anschlossen, die dem Ausgang zustrebten. »Ich glaube, draußen auf dem Kirchplatz wollten sie noch einen Umtrunk anbieten.« Frau Sailer schauderte bei dem bloßen Gedanken. »Lieber einen heißen Kaffee im Warmen«, erwiderte sie. »Bei dem Wetter draußen herumstehen …« Sie schüttelte verständnislos den Kopf, und Rainer musste ihr recht geben, als sie in die Novembernacht traten, wo kleine Gruppen herumstanden, viele mit Schals und Handschuhen, obwohl es nicht direkt frostig war. Ein besonders lebhafter Kreis aus größtenteils jungen Leuten hatte sich um Jonas Hofer, den Sänger, gebildet, der jetzt einen schwarzen Wollmantel über seinem Anzug trug. Gelegentlich bemerkte Rainer jemanden, den er kannte – in mancher Hinsicht war Weißenburg eben doch ein Dorf –, und einmal wechselte er rasch auf die andere Seite seiner Mutter hinüber, um nicht gesehen zu werden. »Wer war das?«, wollte Frau Sailer prompt wissen, die das Manöver durchschaut hatte.

»Ach, bloß der Pfarrer Römer«, antwortete er mit einem Schulterzucken. Seine Mutter blickte zurück zu dem Mann, der im Gespräch mit einem älteren Ehepaar war. »Der euch bei eurem Fall im letzten Sommer so geholfen hat?«, fragte sie aufgeregt. Ihr Sohn verdrehte die Augen und verzichtete auf eine Antwort. »Wie fandest du denn den Gesang?«, wechselte er stattdessen das Thema, während er auf ein Café zusteuerte, das noch nicht in einen Raucherclub umgewandelt worden war.

»Oh, großartig«, begeisterte sich Frau Sailer. »So eine schöne Stimme! Bei diesem traurigen Lied aus der Schönen Müllerin hätte ich beinahe angefangen zu weinen. Schade, dass die CD noch nicht zu haben ist, die hätte ich vielleicht gekauft.« Mutter und Sohn ließen sich in der kleinen Bar nieder, wo sie einen Cappuccino tranken und sich über Konzerte und Schubertinterpretationen unterhielten, wozu Rainer nicht viel beitrug, weil er von Schubert wenig Ahnung hatte. Er musste allerdings zugeben, dass auch ihm das Konzert gefallen hatte, das er nur besucht hatte, um seiner Mutter eine Freude zu machen. Als sie sich auf den Weg zu Rainers Auto machten, sprach Frau Sailer gerade über die umstrittene Aufführung von Faust II, die sie im vergangenen Jahr in Weimar gesehen hatte. Vor den beiden lief eine Gruppe von Leuten, die ebenfalls im Konzert gewesen und vielleicht zum Umtrunk im Freien geblieben waren. Rainer und seine Mutter folgten ihnen durch das prächtige Ellinger Tor hindurch und über die Straße zum Parkhaus, vor dem sich kahle Baumäste gegen den nächtlichen Himmel abzeichneten. Krähennester hingen an einigen der Äste, der Anblick kam Rainer trostlos und traurig vor – ihm ging das Krähenlied aus der Winterreise im Kopf herum, das sie im Konzert gehört hatten. Sie stiegen die Treppen zum ersten Parkdeck hinauf, und er fischte in seiner Jackentasche nach dem Autoschlüssel, als auf einmal laute, aufgeregte Stimmen von weiter oben zu ihnen drangen. Mehrere Personen schienen dort durcheinanderzurufen. Ohne nachzudenken lief Rainer ins Treppenhaus zurück und hastete nach oben, nahm dabei immer zwei Stufen auf einmal. Er öffnete die Tür zum dritten, vorletzten Parkdeck, lauschte – hier war er richtig. Eine Gruppe von Leuten stand in der hintersten, am wenigsten zugänglichen Ecke. Sie redeten wild durcheinander. Von oben kamen jetzt weitere Personen hinzu, aufgeschreckt durch den Aufruhr. »Was ist hier los?«

Niemand antwortete ihm zunächst, aber ein oder zwei Leute wandten sich ihm mit Gesichtern zu, in denen sich Bestürzung malte. »Ich bin Polizist«, verkündete Rainer und drängte die ihm am nächsten Stehenden zur Seite. Sein Magen krampfte sich zusammen, als er endlich freie Sicht hatte. Einen Moment lang hatte er gehofft, dass nur jemand ohnmächtig geworden war, einen Herzanfall oder etwas Ähnliches erlitten hatte, aber ein Blick verriet ihm, dass es viel schlimmer war als das. Die Gestalt lag auf dem Boden, fast schon unter dem Geländer, mit dem das sonst offene Parkdeck abgeschlossen war; es sah aus, als habe jemand versucht, sie unter der Reling ­hindurchzuschieben und zwischen die Bäume vor dem Parkhaus hinunterzuwerfen, ins Gebüsch, wo es lange dauern würde, bis man die Leiche fände. Es war eine Frau; er sah helles Haar, das an einigen Stellen mit dunklem Blut verklebt war, einen modischen roten Kurzmantel, Damenstiefel und einen Rücken, der zu einem Bogen zusammengekrümmt war. »Ich bin Polizist«, wiederholte er scharf, nachdem er den ersten Schock verwunden hatte und sich wieder bewusst machte, was jetzt von ihm erwartet wurde. »Wer von Ihnen hat sie gefunden? Hat jemand die Tote angefasst oder den Körper bewegt?« Gleichzeitig registrierte er seine Umgebung, so genau er konnte. Die Ecke mit der Leiche, der abgeschiedenste Winkel des Parkdecks, und davor ein Auto, ein blauer Ford Ka. Die Gruppe um ihn herum hatte sich nochmals vergrößert; unter den neu Hinzugekommenen entdeckte Rainer seine Mutter und Pfarrer Römer. In dem Kreis direkt um sich sah er eine Frau, die sich totenblass am Arm ihres Begleiters festklammerte, den Sänger Jonas Hofer und einige andere Gesichter, die er auch im Konzert gesehen hatte. »Hat jemand sie angefasst?«, fragte er noch einmal scharf. Zwei oder drei Leute nickten zögernd und unsicher. »Ich glaube schon«, murmelte ein älterer Mann mit brüchiger Stimme. »Ich dachte zuerst, sie lebt vielleicht noch.« Einige der Umstehenden bestätigten seine Worte mit einem Nicken. Eine junge Frau verbarg ihr Gesicht in ihren zitternden Händen.

Rainer bemühte sich, klar zu denken. Dies war ein Tatort, der entsprechend gesichert werden musste, aber es war auch der Schauplatz einer Tragödie mit erschütterten Menschen, die vielleicht Hilfe brauchten. Er atmete tief durch. »Hören Sie bitte, Sie müssen alle ein Stück weggehen. Sie können hier nichts tun, und die Polizei muss diesen Ort sichern.« Er kramte sein Handy hervor...