Autismus - Ein sehr kurze Einführung

von: Uta Frith

Hogrefe AG, 2013

ISBN: 9783456952949 , 209 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Autismus - Ein sehr kurze Einführung


 

Edward
Als Edward acht Jahre alt war, wurde bei ihm das Asperger-Syndrom festgestellt. Er war zwar ein kluger Junge, doch seine Lehrerin wusste nicht mehr, was sie mit ihm anfangen sollte. Sie sagte, sie sehe sich außerstande, ihm etwas beizubringen. Stattdessen lernte Edward selbst, wenn auch nur das, was ihn interessierte. Er unternahm keine Anstrengungen, an den normalen Aktivitäten teilzunehmen, und weigerte sich, dem Lehrplan zu folgen. Edwards Eltern waren sich der Dimension des Problems nicht bewusst. Im Gegenteil, sie hatten ihn immer für ein außergewöhnlich intelligentes Kind gehalten. Schon im Alter von fünf Jahren verfügte er über ein erstaunliches Vokabular, das er sich vor allem über die Lektüre von Wörterbüchern angeeignet hatte. Wenn er mit anderen Kindern spielte, wirkte er ängstlich, doch die Aufmerksamkeit von Erwachsenen schien er zu genießen. Seine Familie liebte ihn heiß und innig, und er schien viele der Interessen und Angewohnheiten seines Vaters zu haben. Beide sind belesen und können sich stundenlang über ihre Lieblingsthemen auslassen. Seit er vier Jahre alt war, sammelte Edward Vogeleier und entwickelte ein komplexes System zu deren Klassifizierung. Heute ist Edward zwanzig Jahre alt und nimmt in Kürze ein Mathematikstudium an einer bedeutenden Universität auf. Er besuchte eine Privatschule, an der die Lehrer Verständnis für ihn aufbrachten und ihm erlaubten, seinen Interessen nachzugehen. In naturwissenschaftlichen Fächern hatte er ausgezeichnete Noten, die anderen Fächer interessierten ihn einfach nicht. Er machte keinen Hehl daraus, dass er Literatur für reine Zeitverschwendung hielt. Er war Mitglied in einem Schachklub, daneben hatte er keine Freunde. Soziale Ereignisse langweilten ihn. Er hat zwar keine Probleme, sich mit seinem Vater zu unterhalten oder sich mit Vogelkundlern in aller Welt auszutauschen, doch im Gespräch mit Gleichaltrigen wirkt er zurückhaltend. Er sticht aus der Menge heraus, nicht nur weil er groß und schlaksig ist, sondern auch wegen seiner Eigenarten und seiner lauten Stimme. Er hat jedoch angefangen, Bücher über Benehmen und Körpersprache zu lesen, und hofft, dass er damit seine Sozialkompetenz verbessern kann.

Edward hat sich einiges an Wissen zum AspergerSyndrom angeeignet und ist in Asperger-Foren im Internet aktiv. Er weiß, dass er intelligenter ist als die meisten «neurologisch normalen» Menschen. Es gibt jedoch Hinweise, dass Edward oft verunsichert und gelegentlich depressiv ist. Daher hat er sich in Psychotherapie begeben, die ihn beim schwierigen Übergang von der Schule zur Universität begleiten soll.

Die drei zentralen Symptome des Autismus

Diese drei Fallbeispiele vermitteln eine Ahnung, wie vielfältig sich der Autismus äußern kann. Bei der Diagnose ist daher erhebliche klinische Erfahrung nötig. Das Verhalten der Betroffenen wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, zum Beispiel dem Alter, dem familiären Hintergrund, den generellen Fähigkeiten, der Bildung sowie dem Temperament und der Persönlichkeit des Kindes. Trotzdem gibt es einige entscheidende Gemeinsamkeiten. Dies sind die wichtigsten Symptome des Autismusspektrums und die zentralen Diagnosekriterien, die Sie auch auf vielen nützlichen Internetseiten beschrieben finden. Hier werde ich diese Symptome anhand unserer Beispielfälle erläutern.

Das erste Symptom von Autismusspektrumstörungen betrifft wechselseitige soziale Interaktionen. Dazu reicht es nicht aus, ein Einzelgänger zu sein, durch peinliches Verhalten aufzufallen oder sich in sozialen Situationen ungeschickt zu verhalten. Die Schwierigkeit tritt vor allem in Interaktionen mit Gleichgestellten zutage. Bei Kindern sind dies andere Kinder, nicht Erwachsene. Letztere sind oft bereit, große Zugeständnisse zu machen, um Kindern peinliche Situationen zu ersparen. Ein eindeutiger Hinweis auf ein Problem bei wechselseitigen Interaktionen sind Schwierigkeiten beim Umgang mit anderen Kindern.