Kunst und Publikum - Das Kunstwerk im Zeitalter seiner gesellschaftlichen Hintergehbarkeit

von: Moshe Zuckermann

Wallstein Verlag, 2013

ISBN: 9783835306837 , 192 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 17,99 EUR

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Kunst und Publikum - Das Kunstwerk im Zeitalter seiner gesellschaftlichen Hintergehbarkeit


 

Einleitung (S. 10)

Das Reden über Kunst barg von jeher etwas Paradoxes in sich. Je tiefer und verstiegener sich die Versuche gestalten, das Wesen von Kunst begrifflich zu bestimmen, desto deutlicher trat zutage, wie sehr das Begriffliche dem Wesen der Kunst fremd ist. Sosehr der Begriff für jegliche Bewußtwerdung unabdingbar ist – es gibt eben, zumindest in der westlichen Tradition, kein begriffloses Bewußtsein –, vermag er das der Kunst innewohnende Begrifflose nicht zu erfassen.

Ob als unbeschreibbares Erleben oder eben kunstspezifisch als die sogenannte ästhetische Erfahrung, Kunst eignet – in ihrer klassischromantischen Auffassung zumal – stets ein Moment von Unbegrifflichem, und zwar gerade weil sie in ihren großen Momenten eine Dimension von nicht vollends Begreifbarem enthält. Anders ausgedrückt: Kunst entzieht sich der Definition, weil das Medium der Definition, der Begriff, etwas Wesenhaftes an der Kunst zwangsläufig nicht erfaßt.

Dieses spezifisch Unbestimmbare an der Kunst macht u.a. das aus, was man als Kunst-Autonomie zu apostrophieren pflegte. Gemeint war in allererster Linie die Immanenz der Kunst, mithin der Selbstzweckcharakter wahrer Kunstpraxis. Kunst sollte durch keinerlei fremdbestimmte Ziele und Zwecke motiviert sein, keiner heteronomen Bestimmung unterworfen werden. Sosehr das Postulat des l’art pour l’art in einer bestimmten Phase des 19. Jahrhunderts zunehmend fetischisiert und ideologisiert wurde,1 meinte es doch im Ursprung das Kunstimmanente: Indem Kunst um der Kunst willen gemacht wird, läßt sich das ihr Eigene nur aus ihrem inneren (formalen) Aufbau und der diesem zugrunde liegenden eigentümlichen Logik erschließen.

Alle Auslegung und Bedeutung, die der Kunst »von außen « zugetragen wird, verstößt, so besehen, gegen die Forderung, Kunst von ihrem Innern her zu rezipieren. Nun ist Kunst aber auch eine gesellschaftliche Institution. Dies liegt schon darin begründet, daß sie von jeher auf Rezeption angewiesen war.

Ob man dabei den von Walter Benjamin so benannten Kult- oder den ihm dichotom entgegengesetzten Ausstellungswert im Auge hat, spielt zunächst eine geringe Rolle: Sowohl als magisches bzw. religiöses Kultobjekt als auch als das von funktionaler Zuord-nung emanzipierte Objekt rein ästhetischer Wahrnehmung bedurfte Kunst stets des schauenden Auges, des hörenden Ohrs – der Wahrnehmung. Daß Kunst darüber hinaus im gesellschaftlichen Produktionsprozeß eingebettet ist, ein soziales Wirkungsfeld und ihre außerkünstlerisch fundierten Organisationsformen hat, soll im weiteren noch bedacht werden.

Im hier erörterten Zusammenhang gilt es zunächst festzuhalten, daß allein die Gegenüberstellung des Autonomiepostulats und der realen Unabkömmlichkeit von Rezeption auf ein grundlegendes Spannungsmoment verweist, welches Kunst tendenziell eine Dimension der Aporie verleiht. Zu fragen wäre freilich, ob es sich bei diesen einleitenden Aussagen nicht um einen verengten Begriff von Kunst handelt.

Gibt es nicht genügend Kulturen in der Welt, bei denen Kunst für außerkünstlerische Belange vereinnahmt wird bzw. sich mit diesen so sehr vermengt hat, daß Termini wie »außerkünstlerische Belange« und »vereinnahmt« inadäquat erscheinen mögen, Kulturen, bei denen Kunst ganz und gar in den Alltag integriert, die Klassifikation von »hoch« und »niedrig« unbekannt ist, der Begriff der Kunstautonomie sich mithin als mehr oder minder irrelevant ausnimmt?

In der Tat handelt es sich bei den vorliegenden Erörterungen um einen vorwiegend westlichen Diskurs. Dies nicht nur deshalb, weil sich in ihm nun mal der Begriff der Kunstautonomie prägnant herausgebildet hat, sondern weil das gesamte Denken über das diffizile Verhältnis von Kunst und Gesellschaft ein spezifisch westliches ist, ein Diskurs eben, der mit dem wohl eigentümlichsten Spezifikum der westlichen Zivilisation einherging: der Moderne.