Die vierte Braut - Wondringham Castle

von: Julianna Grohe

Drachenmond Verlag, 2015

ISBN: 9783959912211 , 360 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 8,99 EUR

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Die vierte Braut - Wondringham Castle


 

Mitgefangen, mitgehangen Name: Mayrin Barnaby, 19 Jahre Besondere Fähigkeiten: - Grund, weshalb die Prinzen mich auswählen sollten: Es gibt keinen! Ich möchte mich nicht bewerben. Das war ein Missverständnis. Ich bitte um Entschuldigung! Hochachtungsvoll Mayrin Barnaby Schwungvoll setzte ich meine Unterschrift auf das Blatt. Das sollte ja wohl deutlich genug sein! Die anderen Mädchen schrieben alle noch eifrig. Außer dem Kratzen der Federkiele auf den Bewerbungsbögen war kein Laut zu hören. Ich schob meinen Bogen von mir weg und lehnte mich zurück. Hinter mir ging gerade einer der Uniformierten vorbei. Eingeschüchtert zog ich die Schultern hoch. Wie war ich bloß in diese unangenehme Situation geraten? Ein paar Stunden zuvor ... Ein Flüstern weckte mich, und ich schlug die Augen auf. Die beiden Betten neben meinem waren leer. Auf meinen Ellenbogen gestützt, blickte ich suchend durch die Kammer. Im blassen Licht des Morgens, das durch das kleine Dachfenster fiel, entdeckte ich meine beiden jüngeren Geschwister Neela und Leo. Sie standen in ihren Nachthemden am Fenster und schauten hinaus, die roten Haarschöpfe dicht beieinander. Wir alle drei hatten nahezu die gleiche Haarfarbe von unserem Vater geerbt. Leo hüpfte aufgeregt auf und ab, was er immer tat, wenn er sich freute. Noch müde schlug ich die Bettdecke beiseite und trat zu ihnen. Die alten Holzdielen der Dachkammer waren eisig kalt unter meinen nackten Füßen, sodass ich zusammenzuckte. »Was ist denn los, ihr zwei Schlafräuber?«, fragte ich gähnend und zerzauste beiden das Haar. »Guck doch, Mayrin, die vielen Fahnen!«, rief Leo aufgeregt und deutete aus dem teils zugefrorenen Fenster. Sein breites Grinsen enthüllte seine doppelte Zahnlücke. »Oh, Mann, ist das toll!« Tatsächlich. An sämtlichen Masten des kleinen Städtchens Talebridge, und sogar aus einigen Fenstern, wehten blaue Fahnen mit dem königlichen Wappen darauf. Natürlich. Heute war der Tag der Brautschau. Aber damit konnte ich mich jetzt nicht befassen. »Auf, auf, waschen und anziehen, bevor ihr festfriert! Neela, hol bitte das Wasser von unten!« Mit fast elf Jahren konnte man meiner Meinung nach so etwas von ihr erwarten. Ich erntete einen missmutigen Blick. »Immer ich! Leo muss nie helfen!« »Jetzt stell dich nicht so an!«, schimpfte ich ungehalten und schob sie aus dem Zimmer. Dann schlüpfte ich in meine langen Strümpfe, deren grober Stoff an den Beinen kratzte, flocht meine Haare mit geübten Bewegungen zu einem festen Zopf und steckte sie hoch. Offene Haare geziemten sich in meiner jetzigen Position nicht. Schlimm genug, dass sich trotz aller Mühen ständig störrische Strähnen aus meiner Frisur lösten. Neela kam kurz darauf mit einem Eimer voll lauwarmem Wasser zurück und knallte ihn, heftiger als nötig, auf den abgenutzten Tisch. Ihre grünen Augen funkelten rebellisch. Ich atmete tief durch, um angesichts ihrer schlechten Laune nicht die Beherrschung zu verlieren. Mit zusammengebissenen Zähnen kontrollierte ich, dass beide sich gründlich reinigten, und anschließend wusch ich mich selbst. Mittlerweile war das Wasser kalt geworden. Na wunderbar. »Machst du mir die Hose zu, May?«, bat Leo, dessen vollständiger Name eigentlich Leopold war. Aber niemand nannte den kleinen Wirbelwind so. »Dürfen wir nachher mit zum Rathaus?«, plapperte er aufgeregt weiter. »Vielleicht sehen wir ja einen der Prinzen!« Es war nicht leicht, einem zappelnden Sechsjährigen die Hose zuzuknöpfen. »Das erlaubt sie bestimmt auch wieder nicht«, maulte Neela, während sie sich ein Kittelkleidchen über den Kopf zog. »Das ist echt fies!« »Neela, es reicht!«, sagte ich drohend. Vermutlich sollte ich mich freuen, dass sie selbstbewusster wurde, und stolz auf sie sein. »May, ich hab dich lieb, soooo lieb!«, versuchte Leo, die Situation zu retten, legte seine kleinen Ärmchen um meinen Hals und machte damit alles nur noch schlimmer. »Pah!«, keifte Neela und feuerte ihr Nachthemd wütend in eine Ecke, wo es an einem (glücklicherweise nicht brennenden) Kerzenleuchter hängen blieb. Ich musste mich beherrschen, sie nicht anzuschreien, genau, wie ich mich im vergangenen Jahr grundsätzlich bemüht hatte, so ziemlich alle Gefühlsregungen zu unterdrücken. Früher wurde ich oft von meiner Mutter ermahnt, dass ich mein Temperament zügeln müsse. Aber das war vor ihrem Tod gewesen. »Ich glaube kaum, dass die Prinzen persönlich durch das Land reisen werden«, winkte ich ab. »Tionne wird heute bestimmt nur ihre Bewerbung abgeben. Ihr verpasst also nichts.« Tionne war meine beste Freundin, die unbedingt an dieser Brautschau teilnehmen und sich um die Hand eines der vier Königssöhne bewerben wollte. Alle adligen Familien des Landes hatten einen Brief erhalten, in dem stand, dass jedes ungebundene Mädchen zwischen siebzehn und fünfundzwanzig Jahren, welches Interesse an einer Ehe mit einem der Prinzen habe, sich im Rathaus der nächsten größeren Stadt einfinden solle. Doch weil Tionnes Eltern keine Zeit hatten, sollte ich sie heute zum Rathaus begleiten. Ich blickte Neela und Leo nach, die sich gerade auf den Weg nach unten machten. Es tat mir leid, sie enttäuschen zu müssen, aber ich konnte mich in dem Gedränge, das auf dem Rathausplatz herrschen würde, nicht auch noch um die beiden Kinder kümmern. Entschlossen strich ich mein dunkles, hochgeschlossenes Kleid glatt und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Nachdem ich Neelas Nachthemd vom Leuchter geholt und es ordentlich zusammengefaltet auf ihr Bett gelegt hatte, folgte ich meinen Geschwistern. Der Duft von frischem Haferbrei schlug uns entgegen. Sallie knetete gerade einen Teig für das Teegebäck und blickte nicht auf, als wir die Küche betraten. Wehmütig dachte ich an die Zeiten zurück, als meine Eltern noch lebten und auch bei uns solche Delikatessen serviert wurden. »Nehmt euch 'n Apfel dazu«, knurrte die Köchin und stellte drei großzügig gefüllte Schalen Brei vor uns auf den Tisch. Sallie war kein Freund großer Worte. Dass wir zusätzlich einen frischen Apfel bekamen, zeigte ihre Sympathie für uns besser, als sie es mit Worten gekonnt hätte. »Danke, Sallie.« Ich holte die Kanne mit Tee, die schon auf dem Herd bereitstand, und goss die dampfende Flüssigkeit in unsere Becher. Meine kalten Finger erwärmten sich, während ich am Tee nippte. Das tat gut. Leo erzählte Paul, dem Kammerdiener von Mr Conley, währenddessen aufgeregt, dass er unbedingt die Soldaten sehen wolle, die heute für die Brautschau in die Stadt kommen würden. Er redete furchtbar gern und viel. Neela hingegen war immer noch schlecht gelaunt. Ich würde ihr ins Gewissen reden müssen, damit sie sich wenigstens vor der Herrschaft untadelig benahm. Schließlich hing unsere Zukunft von deren Wohlwollen ab, und wir mussten dankbar sein, dass meine Geschwister mit mir kommen durften, als ich die Stellung hier angetreten hatte. Es war schwer genug gewesen, eine Familie zu finden, die mir überhaupt Arbeit als Gouvernante gab, da ich trotz meiner gestandenen neunzehn Jahre eher wie sechzehn aussah. Ein Klirren riss mich aus meinen Gedanken. Stöhnend besah ich mir die Schweinerei. Leo hatte wieder einmal mit Händen und Füßen geredet und durch raumgreifendes Herumfuchteln seine Breischüssel vom Tisch gefegt. Mit erschrockenen Augen, in denen sich Tränen sammelten, schaute er mich an, und seine Unterlippe begann zu zittern. Es war wirklich zum Verrücktwerden. Ständig passierten Leo solche Missgeschicke. Mal rannte er auf der Straße aus Unachtsamkeit eine feine Dame über den Haufen, mal erforschte er, was Kletten im langen Haar seiner Schwester bewirkten (ich musste ihr anschließend einige Strähnen abschneiden). Und erst kürzlich hatte er versucht, auf die riesige Eiche hinter dem Haus zu klettern. Gerade noch rechtzeitig hatte ich ihn erwischt, als er schon auf einer Holzkiste balancierte, um an die unteren Äste zu gelangen. »May, du musst dir keine Sorgen machen«, hatte er mir beruhigend erklärt. »Ich bin doch gesichert!« Dabei deutete er auf das Seil, dessen Ende um seinen Oberschenkel gebunden war. Das andere Ende hatte er allerdings einfach um den Stamm des Baumes geknotet. Ich hatte nicht gewusst, ob ich lachen oder schimpfen sollte, und dann versucht, ihm klarzumachen, dass diese Art der »Sicherung« nicht funktionieren würde. Und diese Vorfälle waren nur die Spitze des Eisberges.