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Franz Maciejewski (S. 245-246)
Trauer ohne Riten – Riten ohne Trauer
Deutsche Volkstrauer nach 1945
Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist das komprimierte Datum traumatischer Schockerfahrungen von Massentod und Zerstörung. Über Deutschland liegt ein Schatten tiefer Trauer, der sich auf mindestens vier Ereigniskomplexe beziehen läßt: (1) den Bombenkrieg mit seinen unzähligen zivilen Toten und der Trümmerlandschaft zerstörter Städte, (2) die militärische Niederlage mit dem Massentod der Soldaten und dem ungewissen Schicksal der Kriegsgefangenen, (3) die Flucht und Vertreibung aus dem Osten mit der Erfahrung von Tod, Vergewaltigung und Verlust der Heimat, sowie (4) den mit der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager sichtbar gewordenen Massenmord an Millionen Unschuldiger, also den Holocaustverbrechen.
Es bleibt ein bis heute irritierender Befund, daß Zeitgenossen angesichts dieser Katastrophen übereinstimmend von einem Ausbleiben der Trauer bzw. einer eigentümlich gehemmten Trauerarbeit berichten. So haben schon Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die bei der Bergung der Bombenopfer eingesetzt wurden, wiederholt ihre Verwunderung über den Ausfall erwartbaren Trauerverhaltens zum Ausdruck gebracht, etwa darüber, daß die Hinterbliebenen keinerlei Trauerkleidung trugen.
»Am Ärmel ein Flor, der nach acht Tagen entfernt wurde«, war das Äußerste. Hannah Arendt (sicherlich die bekannteste Zeugin) bestätigt bei ihrem Besuch in Deutschland im Jahre 1949, wie der Alptraum von Zerstörung und Schrecken vom Erschrecken über die Apathie der Menschen überlagert wurde: »Überall fällt einem auf, daß es keine Reaktionen auf das Geschehene gibt, aber es ist schwer zu sagen, ob es sich dabei um eine irgendwie absichtliche Weigerung zu trauern oder um den Ausdruck einer echten Gefühlsunfähigkeit handelt. Die Gleichgültigkeit, mit der sich die Deutschen durch die Trümmer bewegen, findet ihre genaue Entsprechung darin, daß niemand um die Toten trauert.«
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