Sherman's End - in den USA angesiedelte Dystopie

von: C.R. Schmidt

In Farbe und Bunt Verlag, 2015

ISBN: 9783941864474 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,49 EUR

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Sherman's End - in den USA angesiedelte Dystopie


 

Kapitel 4 – Be-la-ge-rung, die |


1 Militärtaktik, bei der eine Partei eine Stellung umringt, um die andere durch Aushungern zur Kapitulation zu zwingen; Abschneidung von Versorgung

2 Bedrängung (»Die Paparazzi belagerten schon seit drei Stunden das Grundstück.«)

 

 

Hud fuhr eine lange, schnurgerade Wüstenstraße herunter. Es war Hochsommer, so heiß, dass der Schweiß in den Poren brannte. Man konnte nicht einmal der eigenen Gürtelschnalle trauen, da man sich verbrannte, sobald man sie auch nur anfasste Tja, das Leben als Dingo war nicht einfach. Keine Siedlung, keinen Ankerpunkt zu haben, das war für viele ein Todesurteil. Es gab keine Aufzeichnungen über das eigene Leben. Wenn jemand einem Dingo die Kehle aufschlitzte, würde der Tote nie vermisst werden, da er niemanden kannte. Einige Leute hatten Häuser, in denen sie wohnten. Hud stand jedoch die gesamte Welt offen. Es war nicht nur der Rücksitz seines Wagens. Er hatte den Sternenhimmel, jeden Saloon, in den er je wollte, Teiche, Tümpel, verlassene Städte. Gefahren lauerten zwar überall, aber das Leben als Dingo war zumindest eins nicht: langweilig.

Jedoch ging es ihm jetzt an den Kragen. Normalerweise mochte Hud es, allein zu sein. Jetzt brauchte er jedoch Menschen und Wasser. Man fand aber kaum Menschen auf der Straße. Hochsommer halt. Hud musste eine Siedlung finden, einen Tümpel, einen Händler. Irgendetwas.

Seine Kehle hatte nun seit eineinhalb Tagen kein Wasser mehr zu spüren bekommen. Er hungerte seit einem Tag. Dass ihm ab und zu die Augen zufielen, war kein gutes Zeichen. Die andauernde Müdigkeit, die ständige Kraftlosigkeit, das Licht, das schmerzte, wenn es vom blauen Lack der Motorhaube reflektiert wurde und seine Augen traf. Sekundenschlaf.

Hud wusste, dass er nicht mehr lange leben würde, das Schicksal der vielen Knochen teilen würde, die verscharrt in der Welt herumlagen.

Die anderen Menschen jedoch waren intell… intellent? Intellektiv? So ähnlich. Jedenfalls, sie waren intellektiv genug, um von der Straße zu verschwinden und in den Schatten zu gehen. Genauso die Tiere und Freaks und was sonst noch auf der Erde herumstreunte. Sie wussten, dass das Wetter ein Grund zum Fürchten war. Hud wusste es auch. Er würde jedoch so oder so sterben. Er brauchte Vorräte.

Und da war es. Ein Punkt am Horizont. Etwas Schwarzes am Wegesrand. Relativ groß. Ein Auto.

Hud trat sofort auf die Bremsen, aber vorsichtig. Man durfte ihn nicht sehen. Dann drehte er um, bis er den Wagen nicht mehr sehen konnte und blieb stehen. Wem auch immer der Wagen gehörte, er war genauso erschöpft von der Hitze wie Hud. Und sie erwarteten vermutlich keinen Besuch.

Hud versteckte seinen Wagen hinter einem verdorrten Baum am Wegesrand, der zwar überhaupt nichts half, aber immerhin besser war, als die Karre auf der Straße stehen zu lassen. Dann stapfte er mit gebeugtem Rücken los. Es würde der schwerste Weg seines Lebens sein. Hud begann bereits zu schwanken, hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten, sah Sterne, sobald er sich zu hastig bewegte. Er schmeckte den bitteren Staub in seinem Mund, der zwischen seinen Zähnen knirschte, atmete immer lauter, heftiger und röchelnder, mit jedem Schritt. Doch er schleppte sich weiter, getragen von dem Gedanken, dass dieser schwarze Wagen dort hinten aussah wie ein verdammter Braten, so wie seine Mutter ihn damals einmal im Jahr gemacht hatte. Das Luftflimmern ließ es so aussehen, als würde er dampfen. Hätte er Wasser in seinem Körper gehabt, wäre es in Huds Mund zusammengelaufen.

Die Hälfte des Weges war etwa zurückgelegt und Hud begann, leise Stimmen zu hören. Er konnte erst nicht verstehen, was sie sagten, jedoch klangen sie verzweifelt. Zwei Stimmen konnte er erkennen, mindestens. Männer. Hud zückte das kleine Messer, das in seinem Gürtel hing, und humpelte weiter.

Gesprächsfetzen wurden nun durch den warmen Wind getragen. »… doch auf, Steve!« oder »Er braucht Wasser!« Hatte man etwa auch ein verdurstendes Opfer der Hitze? Kämpften diese Männer genauso mit dem Hitzetod wie er?

»Wir müssen unser Wasser aufsparen, das Ödland ist noch groß genug und wir sind nur zu dritt. Es passt nich’, Mann.« Der andere brach in Tränen aus. »Wir müssen Steve hier lassen. Er stirbt und wir leben, oder wir gehen alle drei drauf.« Hud nahm an, dass wohl Letzteres passieren würde und lächelte. Er hatte lange nicht mehr gelächelt.

Das Wort »Wasser« war gefallen. Hud hatte eindeutig das Wort Wasser gehört. Diese Leute hatten Wasser. Er musste es ihnen nur irgendwie abnehmen, wenn er diese Wüste noch lebendig verlassen wollte. Freiwillig würden sie es ihm wohl kaum überlassen. Es lief auf einen Kampf hinaus. Leben oder sterben, dachte er, leben oder sterben. Sie oder ich. Und sein Leben lag ihm am Herzen.

Zwischen den drei Kerlen und Hud war nur ihr schwarzer Geländewagen. Ein wunderschönes Teil. Aber diese Burschen würden Hud nur sehen können, wenn sie hinter dem Wagen hervorkämen. Das nutzte er zu seinem Vorteil und humpelte weiter gebückt zu ihnen hinüber. Er umklammerte die kurze Klinge noch stärker.

»Ich mach da nich’ mit, Kumpel. Ich lass Steve nie im Leben zurück.«

»Schieß mir den Schwanz ab, Mann!« Einer der beiden wurde lauter – als wenn er das Gewissen seines Freundes verscheuchen wollte. »Verdammt nochmal! Schlägt dir die Hitze aufs Hirn? Wir werden verrecken, wenn wir ihn weiter versorgen! Uns geht es bald allen so wie ihm!«

Die beiden waren beschäftigt. Perfekt. Hud robbte weiter zum Wagen und kniete sich, sobald er diesen erreichte, mit dem Rücken zur Beifahrertür. Jetzt musste er auf eine Gelegenheit warten.

»Denk dran! Wir können die Beute durch zwei teilen! Mehr für uns alle!«

»Es geht hier nich’ um Benzin und Essen, Drake. Es geht um unseren Kumpel! Ich kenne Steve seit zehn Jahren! Einen Scheiß werde ich tun!«

»Wie willst du das dann entscheiden, hm?«, fragte Drake mit reichlich Sarkasmus in seiner Stimme.

Die beiden würden sich vielleicht gegenseitig umbringen und Hud würde gar nicht erst eingreifen müssen.

»Wir ziehen gleich Streichhölzer. Schlägt niemals fehl. Doch erst mal muss ich pinkeln.«

Einer der beiden stand auf. Scheiße. Der einzige Baum weit und breit war auf Huds Seite des Wagens. Dort würde er hinpinkeln. Er würde ihn sehen.

Und da zog auch schon ein Schatten an Hud vorbei. Ein großer Kerl, zerrissenes weißes Shirt, schwarzer Lockenkopf. Ein kleiner Revolver hing an seiner Seite. Wenn dieser Kerl ihn sah, war Hud auf der Stelle tot. Er hatte einen Revolver. Andersherum betrachtet könnte Hud, wenn er Glück hatte, auf diese Weise vielleicht einen Revolver bekommen.

Der Lockenkopf ging weiter, beachtete Hud jedoch keines Blickes. Ein kurzer Ruck am Hosenstall, als er am Baum stand, und da floss es bereits.

Hud handelte, ohne zu planen. Sein Geist war getrübt. Er watschelte gebückt umher, nahm sein Messer und hielt es dem Kerl an seinen Schwanz. Wenn man jemanden schon mit heruntergelassener Hose erwischte, war der Sack ein wirklich guter Punkt, um ein Messer anzusetzen. Bei den meisten Männern sogar überzeugender als die Kehle.

»Heilige Scheiße!«, sagte der Lockenkopf.

»Mach alles, was ich sage und nichts passiert euch.« Der letzte Teil war gelogen. »Hände hoch.«

»Ich pinkel’ gerade, Dingo«, sagte der Lockenkopf mit einer in seiner Situation überraschenden Gelassenheit.

»Hände hoch, verdammt!«

Eine Stimme ertönte von hinten. »Drake, was is’ los?«

Drake der Lockenkopf hob seine Hände. Warmer Urin lief über Huds Hände. Es fiel ihm schwer, sich diese Tatsache einzugestehen, jedoch fühlte sich Flüssigkeit gerade sehr wohltuend an. Hud nahm ihm den Revolver ab. Dann ging er zurück hinter das Auto und zielte auf den Rücken des pissenden Drake.

»Du da, hinter dem Wagen. Ich hab die Waffe von deinem Kumpel und richte sie auf ihn. Wirf deine Knarre rüber, dann passiert euch nichts.«

»Das kannst du vergessen!«, hörte er kurz und knapp von drüben.

Hud dachte nicht mehr. Sein Durst war unerträglich geworden. »Na gut«, sagte er, und drückte ab. Ein gellender Knall ging durch die Einöde. Blut tropfte aus dem Rücken des Mannes, den sie Drake nannten. Er sackte sofort zusammen. Seine Blase jedoch entleerte sich weiterhin.

»DRAKE! DRAKE! VERDAMMTE SCHEISSE!« Der Kerl verlor seinen Verstand.

»Mach, was ich sage oder dir passiert das Gleiche«, keuchte Hud.

»Dafür werd ich dir den Schädel aufschlitzen, du dreckiger Dingo. Ihr herumstreunendes Pack! Gottverlassener Hurensohn! Ich ficke dich mit dem glühenden Lauf meiner Knarre!«

Klang nach einem unangenehmen Zeitgenossen.

»Spar dir deine Kräfte, Kumpel«, versuchte Hud zu sagen, ohne dabei ängstlich zu klingen, »das hier ist jetzt eine Belagerung. Weißt du, was eine Belagerung ist?«

Der andere wartete kurz. »Nein, Dingo. Erklär’s mir doch.«

»Mein Vater«, fing Hud an, »erzählte mir einmal, dass die Menschen vor vielen, vielen Hunderten von Jahren, noch bevor es Autos, Knarren und Solar gab, in großen Häusern aus Stein lebten. Nannte man Schlösser, diese Dinger.«

Er schluckte kurz.

»Wenn die Menschen aus dem einen Schloss die Dinge aus dem anderen Schloss wollten, so holten sie sich das Ganze durch Krieg. Sie gingen mit langen Messern aufeinander los und ritten auf Kühen und...