Ich und die Kanzlerin - Mein Praktikum in Berlin

von: Martin Baltscheit

Baumhaus, 2010

ISBN: 9783838706795 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 5,99 EUR

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Ich und die Kanzlerin - Mein Praktikum in Berlin


 

Jeder kriegt eine Mappe (S. 29-30)

Wir lesen und scannen und drucken. Zwischendurch lacht einer, weil er etwas Witziges gefunden hat, oder er lacht, weil er etwas besser weiß. Die Mappe wächst. Alle Meinungen aus allen Zeitungen. So eine Kanzlerpressemappe sollte jeder haben, schleime ich, und Alwin gibt den Lehrmeister: - Wer was wissen will, erfährt es auch.

Die vollständigen Reden im Bundestag18, Pressemeldungen, sogar die Glückwunschkarten der Kanzlerin19, alles, was nicht streng geheim ist, kann man lesen. Meist noch am selben Tag. Will aber keiner. Muss man ja um 5 Uhr aufstehen … Ich sehe auf den Schreibtisch und finde es gerade schlimm, dass sie das Tag für Tag machen müssen. Dass Politiker immer in den Spiegel sehen wollen und es kein Ende gibt, solange sie Bäume fällen, um Papier herzustellen.

Dann rattert der Scanner, und Alwin sagt, wie sehr er sich jeden Morgen darauf freut, zu erfahren, was sie aus dem gestrigen Tag gemacht hätten. Anna, Jeremias und Ellen sehen das weniger blumig und meinen, es wäre einfach nur ein Job und sie hätten früh Feierabend. Dann geben sie mir ein Thema. Jede Woche wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben, sagt Ellen, die schon über vierzig ist, aber eine Haut wie Marzipan hat. Mein Thema für heute ist der Mindestlohn.20 Ich lege die unterschiedlichen Artikel übereinander. Alwin sagt, ich soll auch lesen, also lese ich. Nach einer Stunde komme ich zu folgendem Ergebnis:

Zum Glück bin ich eine Praktikantin und muss nichts entscheiden. Alwin funkelt mich an und sagt:- Weißt du, worüber sie gestern Nacht geredet haben? Ich weiß sofort, was er meint21, und antworte:- Mindestlohn. - Stell dir vor, du wärst Kanzlerin. Bist du dafür oder dagegen? - Ich würde Wolf fragen. - Wen? In diesem Augenblick kommt Rohrpost. Es rumst in einem Schrank an der Wand. Ellen geht und öffnet. In einem Körbchen liegt ein durchsichtiger Zylinder mit einem gelben Schnellhefter. Sie schraubt den Zylinder auf und biegt die Mappe gerade, dann nimmt sie das Blatt heraus und liest.  

Guten Morgen, brave Erstleser, Mappe eine halbe Stunde früher heute. Danke und Gruß, M.