Die Schatten des Schah-in-Schah - Sonderband

von: Heinz Grill

Karl-May-Verlag, 2006

ISBN: 9783780216083 , 512 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Die Schatten des Schah-in-Schah - Sonderband


 

18. Beim kleinen Marschall (S. 325-326)

Vor dem Haustor stand ein Mann in halbmilitärischer Gewandung, der uns einen flüchtigen Blick zuwarf. Glücklicherweise entsprachen Schafei und ich in punkto Erscheinung etwa der Statur der beiden von mir überwältigten Diener. Wir hatten die ihnen abgenommenen Mützen tief in die Stirn gezogen und bemühten uns, den Gang der beiden Burschen nachzuahmen, der insbesondere bei dem einen, der den linken Fuß etwas nachzog, ziemlich charakteristisch war. Außerdem hatte ich Dschafar von hinten am Kragen gepackt und schob ihn vor mir her, sodass seine Gestalt die unsere verdeckte. Auf diese Weise gelang uns das Wagnis, obwohl die helle Mittagssonne schien; der Mann ließ uns ungehindert und ohne ein Wort zu reden vorbei.

„Wohin nun?“, flüsterte Dschafar mir zu. Wir mussten so leise und heimlich sprechen, weil da und dort Menschen auf der Straße herumstanden, denen eine Unterhaltung zwischen dem gefesselten Staatsgefangenen und seiner Begleitmannschaft leicht verdächtig erscheinen konnte. „Zum Marschall Mänädschik“, gab ich ebenso zurück. „Aber wo ist dieser zu finden?“ „Folgt mir nur, ich werde euch führen.“ Das war leicht, da ich den Mirza immer noch mit der Rechten von hinten gepackt hielt und also hinter ihm herging. Schafei schritt an meiner Seite. Wir bewegten uns in der Mitte der schmalen Straße. Die Menschen, die wir vorhin gesehen hatten, wohl durchwegs Lakaien oder Angehörige des Hofgesindes, beobachteten uns aus einiger Entfernung, sodass unsere Verkleidung nicht leicht durchschaut werden konnte, und dies umso weniger, als der Weg, den wir zurückzulegen hatten, gar nicht weit war.

„Dieses Gebäude zu unserer Linken enthält die Wintergemächer des Herrschers und den Spiegelsaal mit dem Thronsessel“, erklärte mir der Mirza, nach wie vor mit leiser Stimme. „Das nächste dort gehört dem Marschall.“ Wir traten in dieses ein. Der Posten, der davor stand, ließ uns, als er sah, wen wir brachten, ohne einen Blick auf unsere Gesichter vorbei. Unser ‚Gefangener‘ führte uns über den Hof drei Stufen empor bis zum ‚Talar‘ des Hauses. Dort standen zwei wachhabende Offiziere.

Einer von ihnen, ein Hauptmann, trat vor. „Ah, da ist Dschafar Mirza, der leuchtende Stern am Abendhimmel Irans“, höhnte er. „Bleibt hier, ich werde ihn anmelden.“ Er trat in den Saal und wir blieben bei seinem Kameraden, einem Leutnant zurück. Nach wenigen Minuten erschien der Hauptmann wieder. „Seine Gnaden der Ämir-i Tuman1 wünscht den Gefangenen zu sehen“, sagte er. Der Leutnant ergriff Dschafars Arm und schritt mit ihm der Türe zu. Ich folgte sogleich mit Schafei.

„Halt!“, rief da der Hauptmann. „Ihr beide werdet nicht mehr gebraucht. Ihr könnt gehen!“ Ich tat, als hätte ich nichts gehört und ging weiter, Schafei desgleichen. Da eilte der Hauptmann uns nach und packte mich am Ärmel. „Seid ihr taub?“, brüllte er mich an. „Ihr sollt hier bleiben, habe ich gesagt!“ Was sollten wir tun? Uns den Eintritt erzwingen? Nein. Es konnte uns mehr schaden als nützen, wenn wir zu viel Aufmerksamkeit erregten. Andererseits musste es mir Dschafars wegen geboten erscheinen, in seiner Nähe zu bleiben. Ich beschloss also, zum Schein nachzugeben, aber nur, um alsbald auf eigene Faust zum Marschall vorzudringen. Ich gab Dschafar noch einen beruhigenden Wink. Während die Tür des Saales sich hinter dem Mirza und seinem Begleiter schloss, drehte ich mich um und verließ mit Schafei das Haus.