Persönlichkeitsrechte für Tiere - Die nächste Stufe der moralischen Evolution

von: Karsten Brensing

Verlag Herder GmbH, 2013

ISBN: 9783451346927 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 2,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Persönlichkeitsrechte für Tiere - Die nächste Stufe der moralischen Evolution


 

Interview mit einem Delfin


Mein Dank geht an die große deutsche Zeitung »Der S T I E C U S«, die mir die Genehmigung gegeben hat, das Interview mit dem weltberühmten Forscher und Nobelpreisträger Professor Tarik aus dem Jahr 2073 abzudrucken.

Der STIECUS im Gespräch mit Prof. Tarik
Aus: Der STIECUS 4567 im Jahr 2073


Sehr geehrter Herr Professor Tarik, wie fühlt es sich an, wenn man von einem Tag auf den anderen die Weltbevölkerung um einige Millionen Personen vermehrt hat?
Na ja, so viele mehr sind es gar nicht gewesen. In meinem Geburtsjahr, 2003, gab es circa 0,6 Millionen Delfine und mehr als 6.000 Millionen Menschen auf der Erde, damit kamen auf jeden Delfin ungefähr 10.000 Menschen. Wie Sie wissen, hatte sich 2057, im Jahr der UN-Resolution, die Zahl der Delfine drastisch verringert und die Zahl der Menschen drastisch erhöht. Es war damals praktisch erforderlich, so etwas wie »Personenschutz« für Delfine einzuführen. Heute ist es für jeden selbstverständlich, dass die Verletzung oder gar der Tod eines Delfins juristisch genauso behandelt wird wie der eines Menschen. Aber damals mussten die Menschen erst verstehen, dass Menschenrechte eigentlich Persönlichkeitsrechte sind und dass somit auch tierischen Persönlichkeiten bestimmte Rechte zugesprochen werden müssen. Aber Sie haben schon recht, für mich als Mensch war es ein großer Moment, als sich die UN-Mitgliedsstaaten dafür ausgesprochen haben, Delfine in den Stand von Personen zu erheben und damit den Grundstein für die Entwicklung von Persönlichkeitsrechten für Tiere legten.

Was genau macht eigentlich Ihrer Meinung nach ein Lebewesen zu einer Person – oder sollte ich sagen: Persönlichkeit?
Wie Sie das nennen, ist letztlich egal. Wichtig ist die Tatsache, dass unsere vielgerühmten Menschenrechte eigentlich Persönlichkeitsrechte sind. Man muss sich nur daran erinnern, was mit unseren Menschenrechten eigentlich geschützt werden soll. Es sind die Rechte einer Person: das Recht auf Selbstbestimmung, auf Leben und Unversehrtheit, das Recht auf Eigentum und Meinungsfreiheit, das Recht, sich für einen bestimmten Beruf entscheiden zu können, und auch das Recht auf Bildung. Alles bezieht sich auf das Recht einer sich selbst bewussten Persönlichkeit. Was, wenn es nun auch nichtmenschliche bewusste Persönlichkeiten auf unserem Planeten gibt? Thomas White, ein Professor der Wirtschaftsethik, hatte diesen Standpunkt in seinem Buch »In Defense of Dolphins«1, also »Zur Verteidigung der Delfine«, im Jahr 2007 erstmals deutlich gemacht und argumentiert, dass Menschenrechte Persönlichkeitsrechte seien und somit allen Persönlichkeiten unabhängig von Rasse oder Art zustehen. Die Idee war aber gar nicht so neu, denn bereits der australische Philosoph Peter Singer betitelte 1975 sein Buch mit »Animal Liberation« und warb mit einer vergleichbaren Argumentation für die Befreiung der Tiere. Beide hatten Recht, und ihre Thesen waren schlüssig, aber geändert hat sich lange nichts. Der Egoismus unserer Art hatte jegliche ethische Weiterentwicklung verhindert, und dass, obwohl die Erkenntnisse aus der Verhaltensbiologie, der Psychologie und der Neurologie durchaus überzeugende Belege geliefert hatten.

Wenn ich Sie hier kurz unterbrechen darf: Was genau meinen Sie? Welche Belege wurden damals ignoriert?
Wir Menschen glaubten damals, wir seien die einzige sich selbst bewusste Art auf unserem Planeten. Wir hingen an der Vorstellung fest, dass nur wir zu logischem und strategischem Denken in der Lage seien und dass nur wir abstrakt und mithilfe einer Grammatik kommunizieren könnten. Nicht zuletzt hielten wir uns für die einzige Spezies mit Kultur. Ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Es bedurfte einfach eines überzeugenden und nicht von der Hand zu weisenden Beweises. Letztlich war es genau das, wofür mein Sohn, vermutlich bei vollem Verstand und sich gänzlich der Konsequenzen bewusst, sein Leben gegeben hat.

Das bringt mich gleich zu meiner nächsten Frage: Sie haben in unserem Vorgespräch angedeutet, dass Sie erstmalig bereit sind, über die Details des Tods Ihres Sohnes vor 25 Jahren zu sprechen …
Ja, das ist richtig. Wie Sie wissen, bin ich damals vielfach angegriffen und kritisiert worden. Es ist eine Tatsache, dass mich der Selbstversuch meines Sohnes berühmt gemacht hat, und vermutlich hätte ich ohne sein Experiment wohl kaum den Nobelpreis bekommen. Doch bitte glauben Sie mir: Ich würde liebend gerne auf all den Ruhm und das Geld verzichten, wenn ich meinen Sohn dafür wiederbekommen könnte.

Ihr Sohn ist als erster Mensch an den Folgen der Resonanztelepathie gestorben. Sie haben immer bestritten, von dem Experiment gewusst zu haben, ist das die Wahrheit?
Mein Sohn hatte schon im Studium damit begonnen, gezielt elektromagnetische Potenziale im Gehirn zu erzeugen. Seine Vision war, auf diese Weise Gedanken, Gefühle und Sinneswahrnehmungen direkt im Gehirn künstlich zu erzeugen. Wir hatten damals allerdings unsere gesamte gemeinsame Energie in das Gedankenlesen gesteckt. Wie Sie wissen, ist das ein völlig anderer Vorgang, denn beim Gedankenlesen wird vollständig passiv gearbeitet, man horcht sozusagen nur in das Gehirn des anderen hinein. Es ging bei unserer Forschung darum, unsere Sensoren und die Algorithmen so weit zu verbessern, dass wir praktisch die gesamten elektrochemischen Vorgänge im Gehirn messen und aufzeichnen konnten. Mein Forschungsteam war damals das führende weltweit, und wir waren schon recht erfolgreich beim Gedankenlesen von Menschen2. Allerdings war die Datenmenge mit der damaligen Technik überhaupt nicht zu bewältigen. Für mich war das eher ein Versuch, um zu beweisen, dass es überhaupt möglich ist, über einen längeren Zeitraum Gedanken und Sinneseindrücke aufzunehmen und zu speichern. Im Übrigen ist dies natürlich die Voraussetzung, um überhaupt die entsprechenden Computeralgorithmen trainieren zu können. Für meinen Sohn war es aber viel mehr. Er träumte davon, mit seinen Lieblingstieren in direkte Interaktion treten zu können. Letztlich ging es ihm darum, zweifelsfrei zu beweisen, dass Delfine Personen sind und somit auch ein Recht auf den Schutz ihrer Persönlichkeit haben.

Sehr geehrter Herr Professor Tarik, bitte entschuldigen Sie, aber das war keine Antwort auf meine Frage!
Ja, Sie haben recht, ich habe Ihnen versprochen, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Die Antwort lautet: Nein! Ich wusste nichts von dem Versuch. Die Firma, für die ich damals gearbeitet habe, hatte mich vertraglich zu einer Verschwiegenheit über eine Dauer von 25 Jahren verpflichtet, und daher durfte ich der Presse keinerlei Auskunft erteilen. Alle Informationen wurden zum Betriebsgeheimnis erklärt und standen nur dem Gericht zur Verfügung. Dies ist auch der Grund, weshalb ich damals von allen Anklagepunkten freigesprochen worden bin. Der Richter kam zu dem Schluss, dass mein Sohn niemanden, auch nicht die beiden Studenten, die ihn bei dem Experiment unterstützt haben, von den Risiken in Kenntnis gesetzt hatte. Bitte glauben Sie mir, ich hätte schon damals liebend gern über alle Details berichtet.

Was genau hat sich am 28. April 2048 ereignet?
Dies war der Tag, an dem mein Sohn aus dem gemeinsamen Urlaub mit seinen beiden Kommilitonen zurückkehren sollte. Doch er kam nicht. Stattdessen erhielt ich einen Anruf von der neurochirurgischen Intensivstation. Man hatte meinen Sohn aufgenommen, konnte sich aber die Symptome nicht erklären, und seine beiden Freunde sprachen von so etwas wie einem Unfall.

Wann haben Sie begriffen, dass das Gehirn Ihres Sohnes irreversibel geschädigt war?
Recht schnell. Ich bin natürlich sofort ins Krankenhaus gefahren. Dort habe ich die beiden Freunde meines Sohnes getroffen. Sie hatten einen Schock und faselten etwas von dem Erbe meines Sohnes. Dann gaben sie mir einen Datenträger. Auf meinen fragenden Blick hin sagten sie mir, dass darauf zwei Wochen Gedanken und Empfindungen von Pity gespeichert seien. In dem Moment war mir klar, was geschehen war: Mein Sohn hatte mithilfe des Resonanztelepathie-Helmes volle zwei Wochen Gedanken und Gefühle unseres nunmehr berühmten Versuchstieres, dem Delfin namens Pity, »miterlebt«. Mit anderen Worten: Er hat zwei Wochen lang Tag und Nacht – Delfine schlafen ja nicht – gedacht und gefühlt, was der Delfin während dieser Zeit gedacht und gefühlt hat. Alle seine Erlebnisse hat er aus menschlicher Sicht betrachtet und mit seinen Worten niedergeschrieben. Auf dem Datenträger waren also zwei Wochen kontinuierliche Sprache meines Sohnes gespeichert, wie er die Gedanken und Empfindungen eines Delfins nacherzählt und interpretiert.

Wie konnten Sie damals schon wissen, dass Ihr Sohn tot war?
Die Technik der Resonanztelepathie basierte auf den Ideen meines Sohnes, aber wir hatten sie gemeinsam weiterentwickelt. Für ihre Nebenwirkungen konnten wir allerdings keine Lösung finden, deshalb haben wir sie auch fallen gelassen. Wenn man den Resonanztelepathie-Helm aufsetzt und die Gedanken eines anderen Menschen oder Tieres übertragen bekommt, dann überschreiben die starken elektromagnetischen Impulse die eigenen elektrochemischen Prozesse. Schon nach wenigen Minuten ist das Gehirn unwiderruf lich geschädigt und funktioniert nur noch mit der externen Energie des Helms. Solange man den Helm trägt, kann man die übertragenen Gedanken und Gefühle wahrnehmen und zusätzlich die eigenen Gedanken denken. Man muss sich das so vorstellen, als würde man einen Film betrachten und über diesen nebenbei nachdenken und reden. Wenn man den Helm allerdings abschaltet, kommen von einer Sekunde...