Blutiger Sand - Kriminalroman

von: Edith Kneifl

Haymon, 2012

ISBN: 9783709975374 , 264 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Blutiger Sand - Kriminalroman


 

2.
Las Vegas, Nevada, 15. April 2012


Nicht nur New York City ist eine Stadt, die niemals schläft, auch in Las Vegas machen die vierzig Millionen Touristen im Jahr die Nacht zum Tag. In diesem flimmernden, glitzernden Wunderland, das von Verlierern erbaut wurde, ist Showtime rund um die Uhr angesagt. Angeblich wächst die Stadt um rund tausend Einwohner pro Woche.

Wir sitzen in einem Taxi und fahren im Schritttempo den Strip entlang, vorbei an Palästen aus Marmor, Gold, Silber und Glas. Ein Luxushotel übertrifft das nächste an Größe und Glamour. Die überdimensionalen Leucht­reklamen blenden meine müden Augen.

„Wow, echt cool. Der reine Wahnsinn. Schau, Kafka! Wie kannst du nur mit geschlossenen Augen durch dieses Eldorado fahren?“

Orlando ist der Vergnügungsmetropole mitten in der Mojave-Wüste vom ersten Augenblick an verfallen.

„Ich bin völlig kaputt. Das Einzige, was mich momentan interessiert, ist ein Bett.“

Plötzlich taucht der Campanile von Venedig vor uns auf. Bin ich wirklich so besoffen?, frage ich mich.

„Kanäle und Gondeln, echt irre!“, kreischt Orlando.

The Venetian erstrahlt vor uns in all seiner Pracht.

„Du musst zugeben, die Kopie ist perfekt. Dieses Hotel sieht genauso venezianisch aus wie die Palazzi am Canal Grande“, sagt Orlando.

Der riesige Totenkopf an der Front des Treasure Island gleich daneben entlockt mir ein undamenhaftes Gekicher. „Und die Piraten sind auch nicht weit.“

„Oh mein Gott, da ist Caesars Palace!“, schreit Orlando. „Hab mal einen Film gesehen, der dort spielt.“

Unser Chauffeur erklärt uns, dass er den ganzen Strip entlangfahren müsse, um dann umkehren und uns im Pink Flamingo absetzen zu können.

Mir ist alles egal. Soll er uns doch übers Ohr hauen, wenn es ihm Spaß macht.

Rechts vor uns erblicke ich das Luxor. Eine schwarze, gläserne Pyramide und davor die Sphinx in Originalgröße.

„Warum hast du uns nicht im Luxor einquartiert? Alle 4500 Zimmer sind im ägyptischen Stil eingerichtet. Laut meinem Reiseführer fühlt man sich dort in die Zeit der Pharaonen zurückversetzt.“

„Reg dich wieder ab, Orlando. Die anderen Hotels sind nicht minder spektakulär“, sage ich, als wir am Aladdin vorbeikommen, einem imposanten Palast aus 1001 Nacht. „Am Ende gewinnt immer die Bank. Diese Stadt ist eine einzige Spielhölle.“

Orlando hört mir nicht zu. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er auf die märchenhaften Shoppingcenter und Basare in diesem Disney-World-Wonderland.

„Da gibt es Wahrsagerinnen. Wäre das nicht ein Job für dich?“

„Sehr witzig.“ Sowohl meine Mutter als auch meine Großmutter waren österreichische Romni und haben sich mit Wahrsagerei und Kartenlesen etwas Taschengeld dazu verdient. Sie haben mir einige Tricks beigebracht, ich lehne diesen Hokuspokus aber grundsätzlich ab.

„Hey schau, dort drüben ist der Eiffelturm!“

„Komm wieder runter. Mir tun bereits die Ohren weh von deinem Geschrei.“

„Oh, das ist wirklich schön.“ Orlando deutet auf die riesige Fontäne im Teich vor dem Hotel Bellagio.

„Ja, ganz hübsch. Aber wer weiß, ob das Wasser echt ist. Diese Glitzerwelt ist eine einzige Fata Morgana.“

„Wohnen wir eigentlich in Bugsy Siegels Hotel?“

„Keine Ahnung.“

„Das hieß doch auch Flamingo.“

„Woher weißt du das?“

„So was weiß man als gebildeter Mensch einfach.“

„Angeber!“

„Soll ich dir die Geschichte von diesem Mafioso erzählen?“

Ich gebe ihm keine Antwort. Er wird sich sowieso nicht daran hindern lassen.

„Nach dem Krieg hat Bugsy Siegel das erste Hotel mit einem Spielcasino in dem damals noch unbedeutenden Wüstendorf Las Vegas errichtet. Das Geschäft ist nicht so gut gelaufen. Und Bugsy hat seine Finanziers, die Cosa Nostra, um einen Batzen Geld gebracht. Daraufhin haben sie bei einer Tagung des National Crime Syndicate in Havanna beschlossen, Siegel zu töten. Und er ist kurz darauf tatsächlich ermordet worden. Dabei war er ein weitsichtiger Mann. Er hat geahnt, dass Las Vegas nicht einfach nur ein Zockerparadies sein würde, sondern die Metropole des Entertainment …“

„Wir sind da“, unterbreche ich ihn, als unser Taxi vor einem der älteren Hotels am Strip hält.

„Willkommen in Las Vegas, Ladies“, begrüßt uns der Mann an der Rezeption mit einem breiten Grinsen.

Er wäre wahrscheinlich nicht weniger freundlich, wenn er wüsste, dass die leicht ramponiert aussehende Lady an meiner Seite ein Mann ist. In dieser Stadt ist jeder herzlich willkommen, der bereit ist, sein Geld loszuwerden. Hier dreht sich alles nur um Geld.

Unser Zimmer liegt in der siebten Etage und ist schwer in Ordnung. Zwei Queensize-Betten in einem großen hellen Raum und ein riesiges Bad, das Orlando sofort mit seinen Kosmetika vollräumt.

Die Minibar ist exzellent bestückt. Und der Blick auf den Las Vegas Strip, die umliegenden Casinos und auf die Berge im Hinterland beeindruckt sogar mich. Allerdings wage ich mich nicht zu nahe an die Fenster heran. Höhenangst.

„Du kannst jetzt doch nicht schlafen!“, sagt Orlando vorwurfsvoll, als er nach einer drei viertel Stunde perfekt gestylt aus dem Bad kommt und mich angezogen auf dem Bett liegend vorfindet.

„Ich bin total fertig. Ich muss ein paar Stunden schlafen. Wenn ich morgen in der Früh Detective Hunter besuche, möchte ich einen klaren Kopf haben.“

„Komm, Kafka, sei nicht so eine Spielverderberin. Wenn wir schon mal hier sind, werden wir uns wohl auch ein bisschen amüsieren.“

„Haben wir nicht abgemacht, dass dies keine Vergnügungsreise werden soll, sondern wir hier sind, um die Mörder meiner Eltern zu überführen?“

„Deswegen können wir uns die Stadt ja trotzdem an­sehen. Ich steh auf Casinos, auf diesen ganz besonderen Kick, den man dort kriegt. Bitte Kafka!“

Er blickt mich mit seinen stark geschminkten Augen so flehend an, dass ich fast geneigt bin, nachzugeben.

„Du wirst eine frustrierte alte Zicke werden, wenn du so weitermachst.“

Diesen Satz hätte er besser nicht gesagt. Ich ziehe meine Schuhe aus, schnappe mir den Polster von seinem Bett, lege meine Füße drauf und schalte den Fernseh­apparat ein.

„Spinnst du jetzt komplett? Du kannst nicht deine erste Nacht in Las Vegas vor dem Fernseher verbringen!“

„Das kann ich sehr wohl! Warum gehst du nicht allein weg? Du wirst bestimmt schnell Gesellschaft finden. So hübsch wie du aussiehst, wird dir kein Mann widerstehen können.“

Bis vor einem drei viertel Jahr ist Orlando als Kopie der österreichischen Kaiserin Sisi herumgelaufen. Seit letztem Sommer trägt er moderne Frauenkleidung und bildet sich ein, wie die berühmte, viel zu jung verstorbene Schauspielerin Romy Schneider auszusehen, die die Kaiserin in den Sisi-Filmen verkörpert hat. Ich bin heilfroh über seine Entscheidung, habe ich mich doch manchmal für ihn geniert, wenn er in seinen wallenden Kleidern und seiner Langhaarperücke nachts durch die Lokale von Wien-Margareten gezogen ist.

„Du stehst jetzt sofort auf und ziehst dich um, Kafka!“

Ich habe den Nachrichtensender MSNBC eingeschaltet.

„Sei still, ich will die Nachrichten hören …“

Wortlos öffnet er die Minibar und reicht mir ein Döschen Bier.

„Trink das. Hilft gegen den Kater. Und dann gehen wir essen. Du hast seit fast zwanzig Stunden nichts gegessen. Das Curry-Hühnchen, das sie uns im Flieger serviert haben, hast du ja verschlafen.“

Sein energischer Ton erinnert mich an meine Mutter. Auch sie hatte oft mit mir geschimpft, wenn ich mich ge­weigert hatte zu essen, was auf den Tisch kam.

Ich sehne mich nach einer Zigarette.

Orlando scheint meine Gedanken lesen zu können. „In den Casinos darf man übrigens rauchen“, sagt er, der normalerweise ausrastet, wenn ich mir eine anzünde.

„1 : 0 für dich.“ Grinsend springe ich vom Bett, gehe duschen und ziehe mich in Windeseile an.

Das reichhaltige Frühstücksbuffet in unserem Hotel ist ganz nach meinem Geschmack. Obwohl es in Las Vegas bereits Abend wird, lade ich Eier mit Speck und Bohnen auf meinen Teller.

„Im Pink Flamingo kann man den ganzen Tag um zwei Dollar frühstücken. Super!“ Orlando strahlt mich an. Als Vegetarier begnügt er sich mit einem Müsli und ein paar exotischen Früchten.

Leider ist der Kaffee oder das, was sie hier so nennen, eine Katastrophe. Trotzdem trinke ich einen halben Liter von dem heißen Wasser mit Kaffeegeschmack.

Wir bummeln zu Fuß den Strip entlang. Von Bummeln kann eigentlich keine Rede sein, wir werden von den Menschen­massen von einem Casino zum nächsten ge­schoben. Trotz der riesigen grellen Leuchtreklamen sehe ich funkelnde Sterne am Himmel.

„Die Sterne kommen mir näher vor als bei uns.“

„Das sind Lichter von Hubschraubern“, sagt Orlando lachend. „Sie setzen die Global Player direkt auf den Dächern der Casinos ab.“

„Idiot. Global Player sind internationale Konzerne, die im Zuge der Globalisierung weltweit agieren, und keine spielsüchtigen Multimillionäre …“

„Ist doch scheißegal. Wollte dir nur...