Grundfragen und Anwendungsfelder psychologischer Diagnostik

von: Lutz F. Hornke, Manfred Amelang, Martin Kersting

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN: 9783840915239 , 722 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 149,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Grundfragen und Anwendungsfelder psychologischer Diagnostik


 

5. Kapitel Interkulturelle Eignungsdiagnostik (S. 195-196)

Jürgen Deller, Tim Warszta und Anne-Grit Albrecht
1 Einführung
Der Kontext der Eignungsdiagnostik ist oftmals von kultureller Vielfalt geprägt. Dies gilt nicht nur für Unternehmen, bei denen die Beschränkung der Aktivitäten auf ein Land seltener wird, sondern auch für Universitäten, die weltweit um Studierende und Lehrende werben oder für Polizei und Militär, die verstärkt in internationalen Krisengebieten eingesetzt werden. Gleichzeitig erhöht sich durch Immigration aus anderen Ländern, aber auch durch Migrationsbewegungen innerhalb nationaler Grenzen, beispielsweise durch die Abwanderung aus strukturschwachen Regionen, die kulturelle Vielfältigkeit der Menschen innerhalb von Regionen. Der Wegfall von Beschränkungen der Arbeitserlaubnis, wie beispielsweise innerhalb der Europäischen Union, eröffnet zudem die Option, eine Tätigkeit in einem anderen Land auch legal bzw. leichter auszuüben.

Zusätzlich hat in den letzten Jahren eine Reihe von Entwicklungen im technologischen Bereich die Eignungsdiagnostik stark verändert. Mobile Kommunikationsgeräte ermöglichen den permanenten Zugang zum Internet und damit zu Bewerbungsseiten, Stelleninformationen und ähnlichem relativ unabhängig davon, in welchem Land man sich gerade befindet. Bartram (2000) beschreibt in diesem Kontext ein anschauliches Szenario:

Ein italienischer Bewerber wird in einem Zentrum für internetbasiertes Testen in Frankreich mithilfe eines englischsprachigen Tests beurteilt. Das Testverfahren wurde von einer Firma, die international Tests entwickelt und vertreibt, in Australien erstellt. Das Verfahren läuft auf dem Rechner eines Internet Services Providers in Deutschland. Der Test wird für die niederländische Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen multinationalen Konzerns durchgeführt. Die getestete Person hat sich auf eine Managementstelle im Tokioter Büro der niederländischen Gesellschaft beworben. Der Bericht über die Ergebnisse des Testverfahrens, die im Intranet der US-amerikanischen Muttergesellschaft in den USA gespeichert sind, wird an den potenziellen Vorgesetzten des Bewerbers nach Japan geschickt, nachdem er von der ausgegliederten Personalberatung des Unternehmens in Belgien erläutert worden ist. (Übersetzung der Autoren)

Die Fragen, die Beispiele wie dieses für die Eignungsdiagnostik aufwerfen, sind Gegenstand dieses Kapitels. Nämlich: Welchen Einfluss hat die Verwurzelung der im eignungsdiagnostischen Prozess involvierten Personen in unterschiedlichen Kulturen? Wie kann unter diesen Bedingungen der eignungsdiagnostische Prozess optimal ausgestaltet werden, also, welche Prädiktoren sollten wie operationalisiert werden, und entlang welcher Kritierien wird ihre Güte gemessen? Welchen Einfluss hat der Arbeitsort auf diese Fragen?

Den übergeordneten Rahmen bildet die Annahme, dass die Eignungsdiagnostik im interkulturellen Kontext einer Reihe besonderer Bedingungen unterliegt, die als bedeutsame Variablen Einfluss auf den eignungsdiagnostischen Prozess nehmen (vgl. Rammstedt, Harkness & Mohler, 2011). Eben jene kulturellen Einflüsse und deren Implikationen sowie Handlungsempfehlungen für die interkulturelle Eignungsdiagnostik sind Gegenstand dieses Kapitels.

2 Bedeutungen, Bedingungen und Begriffsbestimmungen
Im Folgenden werden zunächst grundlegende Begriffe des Kapitels diskutiert und definiert. Kultur ist dabei sowohl ein grundlegender Begriff, als auch Rahmenbedingung, in der sich das interkulturelle Personalmanagement bewegt, dessen Aufgabe unter anderem auch die Eignungsdiagnostik ist.

2.1 Kultur
Kultur ist ein sehr weit gefasstes Konzept, zu dem sich in der deutschsprachigen und internationalen Literatur unterschiedliche Herangehensweisen finden. So definiert Hofstede (2001) Kultur als kollektive Programmierung des Geistes, die eine Gruppe von Individuen von den anderen unterscheidet. Thomas (2003) hingegen charakterisiert Kultur als ein Orientierungssystem, das für die Mitglieder einer Kultur Zugehörigkeit definiert und Umweltbewältigung ermöglicht. Neben der Orientierungsfunktion hat Kultur für Thomas auch eine steuernde Komponente.