PannenNadeln - Lustige Weihnachtsgeschichten

von: Wolfgang Schierlitz

Rosenheimer Verlagshaus, 2017

ISBN: 9783475547096 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

PannenNadeln - Lustige Weihnachtsgeschichten


 

Tierisch berühmt

Alle Jahre wieder erscheinen sie aus der Versenkung, das heißt aus dem Fundus der weihnachtlichen Vorräte: Christbaumkugeln, Kerzen, Trompetenblasengel, Kripperlfiguren, Marzipansterne und biomäßiger Strohschmuck. Alle möglichen Sorten von Gegenständen werden aus den Kisten hervorgekramt, einschließlich berühmt gewordener Kreaturen wie Ochs und Esel aus echtem Lindenholz oder Gips, meist aber aus preiswertem Plastik geformt. Etwas seltener wird da neuerdings schon Lametta hervorgezogen, weil es wegen seiner Bleibasis giftig sein soll. All das packt man feierlich aus.

Eine festliche, zauberhafte Zeremonie greift um sich. Zunächst geht es aber unter Verwendung von frischem Moos, Tannenzweigen, Fichtenzapfen, Immergrün – alles aus dem nächsten Forst entwendet – und einem Bonsaistall an die Errichtung einer würdigen Nachbildung der wichtigsten Szene aus der biblischen Geschichte. Der Prophet Lukas wird wieder zum profunden Vermittler aus dem Buch der Bücher und gibt die Handlung vor. Aber als Vorbild dient im bayerischen Oberland zumeist eine baufällige, heruntergekommene Almhütte mit undichtem Dach. Es soll ja keineswegs zu komfortabel sein.

Der schöne Brauch, unter dem Christbaum ein naturgetreues Kripperl, einen Stall, zu installieren, ist längst in die Annalen der christlichen Liturgie eingegangen. Die absoluten Stars sind da nach wie vor das winzige, strahlende Jesulein, die junge, rüstige Marienmutter sowie der gute Vater und Zimmermann Josef, mit Axt und Säge ausgerüstet, die er immer mit sich führt. Vielleicht kann er damit auch das wurmstichige Gebälk im Geburtsstadel ausbessern, bevor etwas herabbricht. Und sowohl der Ochs als auch der Esel haben außer der Heiligen Familie einen unglaublichen Ruf in der Heilsgeschichte erlangt. Ohne diese beiden kann es nie und nimmermehr Heilige Nacht werden. Kein Kripperl, keine echte Weihnacht in Deutschland kommt ohne die beiden mehr aus. Ja, sogar weltweit haben sie in entsprechend gläubigen Kreisen beinahe auch schon einen Starkultstatus erlangt. In Afrika zum Beispiel, wo auch einige Christen beheimatet sind, kennt man die beiden Tiere sehr wohl und ersetzt sie keineswegs durch Zebra oder Wasserbüffel. Niemand wird sich mehr darüber wundern, wenn sie bald wenigstens seliggesprochen werden, vielleicht sogar heilig. Da müssen sich die guten Hirten und vor allem die zahlreichen Schafe leider mit einer etwas unpersönlicher und anonymer ausgefallenen Rolle begnügen, obwohl sie natürlich als Zeitzeugen auch nicht fehlen dürfen. Die zwei tierischen Kumpane aber gehören mitsamt dem spartanischen Stall seit Urzeiten zur Krippe von Bethlehem wie das Salz in die Suppe. Ohne Ochs und Esel wird es einfach nicht richtig Weihnachten, ob es schneit oder nicht. Selbst die alten Malermeister, der Herr Rubens, der Herr Tizian, der Herr Breughel und wie sie alle heißen mögen, bezeugen das zumeist gekonnt in ihren Bildern. Aus dem dämmrigen Hintergrund des Stalles lugen die Tiere wichtig und vorwitzig in das bedeutende Zeitgeschehen hinein. Sie sind als Blickfang unersetzlich.

Doch wer hat sie in den Stall gelassen und was sagen sie uns? Kommen sie überhaupt vor in den weihnachtlichen Berichten der christlichen Vorväter? Und wie! Da heißt es nämlich unumstößlich: »Ein Rind kennt seinen Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn.« Das proklamiert uns der Prophet Jesaja schon frühzeitig im Buch der Bücher, Jesaja 1, Vers 3. Was will er uns damit verklickern? Vielleicht nicht mehr und nicht weniger als die Unabkömmlichkeit dieser wichtigen, neutralen Zeitzeugen zum Tatbestand einer wunderbaren Menschwerdung.

Und dazu ist es wirklich äußerst wichtig, sowohl den Ochs als auch den Esel endlich einmal zu Wort kommen zu lassen. Tiere können zwar nicht leicht sprechen, aber das geht trotzdem, weil es immer schon Fabeln gegeben hat, in denen sich die verschiedensten Kreaturen einwandfrei artikulieren können. Seien es enorme Dichter wie Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Franz Grillparzer oder weniger bekannte Leute wie der gute Gottfried Konrad Pfeffel – sie alle haben uns gezeigt, wie weise doch Tiere aller Art daherreden können. Daraus gibt es viel zu lernen, weil es meistens schöne Gleichnisse sind. Noch dazu in so einer wichtigen, einmaligen Funktion: als Zeitzeugen einer ungewöhnlichen Inkarnation.

Man muss aber schon genau hinhören, weil Ochs und Esel gottesfürchtig das kleine Jesulein nicht unnötig aufwecken, sondern sogar beschützen möchten. Auch vor jedem Lärm und Geschwafel der unruhigen Zeitläufe wollen sie es auf Dauer bewahren. Es gibt eben nicht nur Gutmenschen, sondern anscheinend auch Guttiere als Migranten jeglicher Art und Sorte, wo immer es auch sei.

Der Esel beginnt zu flüstern. »Ich bin ja bestimmt schon viel weiter herumgekommen als du, mein lieber Ochs. Zuletzt war ich nämlich bei den Bremer Stadtmusikanten tätig. Unser Tierorchester ist aber leider nicht so gut angekommen. Diese Banausen sprachen von Misstönen. Die Bremer Spießer haben gesagt, dass wir höchstens Räuber vertreiben könnten mit unserem Geplärr. Sie haben ja bis heute keinerlei Ahnung von den Gesetzen der Fuge, der produktiven Disharmonie und den auf- und absteigenden Zwölftonleitern. Sie wollten uns dann auch am liebsten entweder sofort auffressen oder versklaven. Da musste ich erneut die Flucht ergreifen. Wo die anderen, der Hund, die Katze und der Gickerl abgeblieben sind, das entzieht sich meiner Kenntnis. Hoffentlich nicht im Frondienst, in der Bratpfanne oder im Wurstkessel. In das gelobte Land bin ich mit einem unermüdlichen Pilger gereist. Doch der war schlecht zu Fuß. Monatelang habe ich ihn ge- und ertragen. Als wir endlich im Gebiet von Bethlehem angekommen waren, verdingte er sich als guter Schafhirte zum Lämmerweiden, ganz in der Nähe des späteren Geburtsstalles. Ich aber habe unterwegs die späteren heiligen Eltern getroffen, wie sie mühsam Richtung Bethlehem gewandert sind. Maria, die hochschwangere Jungfrau, und der Zimmermann Josef – er mit Säge und Hacke ausgerüstet – hatten sich aufgemacht, zwecks Volkszählung. Der Stadthalter Roms und sein Kaiser Augustus bilden den Hintergrund für diese Schikane, wo doch zurzeit die Verbindungen über Land noch sehr dürftig ausgebaut sind. Ja, noch viel dürftiger als später bei den häufigen, gläubigen Kreuzzügen. Da habe ich gesagt: ›Liebe Maria, ich will dein Diener sein, und du kannst auf mir hinüberreiten bis nach Bethlehem.‹ Dort haben wir in einem alten Stall eine Futterkrippe mit Heu gefunden. Und gerade als ich mir das getrocknete Gras munden lassen wollte, kamst du, alter Ochse, daher. Und schon ging es Schlag auf Schlag, vor allem mit der Geburt.«

»Jetzt haben wir wieder nix zu beißen, weil der liebe Bengel mit dem goldenen Schein um sein Köpflein das Heu als Matratze braucht«, brummt der Ochse zunächst betrübt, aber sofort doch gutmütig.

»Ich bin genauso hungrig wie du. Doch merkst du sicher jetzt auch allmählich, dass uns gerade ein erhebliches Wunder erschienen ist. Da gibt es keinen Hunger mehr, oder? Dieses unangenehme Gefühl schwindet sofort, wenn man es von einer höheren Warte aus betrachtet. Nur noch die Heilige Nacht und die erquicklichen, wunderbaren Folgen für die gesamte Christenheit sind ab sofort von Belang. Und wir dürfen dabei sein.«

Jetzt erwacht das kleine Jesulein und schaut verschlafen, aber freundlich, sowohl dem Ochsen als auch dem Esel in ihr strahlendes Antlitz. Verwundert erkundigt es sich: »Seid ihr bereits Fans von mir, zukünftige Jünger oder vielleicht gar schon zwei von meinen zwölf Aposteln? Oder ehrwürdige Kirchenväter?«

Aber sofort klären die bescheidenen Tiere den wahren Sachverhalt auf und verkünden wahrheitsgemäß ihre animalische Identität. Ihr bisheriges schweres Schicksal bleibt dabei nicht unerwähnt.

Wohlwollend meint der kleine Jesus, bereits auf Wunder aller Art eingestellt: »Wahrlich, ich sage euch, ich werde euch als meine treuen Wächter speisen und tränken, sodass ihr nie mehr irgendeinen Mangel leiden müsst. Ihr seid als meine Platzhalter und Freunde für immer in die christlichen Annalen aufgenommen. In Zukunft werdet ihr nicht nur von den historischen Malermeistern auf den christlichen Gemälden verewigt sein. Auch für alle Kripperl auf der ganzen gläubigen Welt, die meine Ankunft und das weihnachtliche Geschehen bezeugen sollen, werdet ihr unentbehrlich werden. Und von den Bremer Spießbürgern, die euch so übel mitgespielt haben, wird keiner einer meiner zwölf Apostel werden. Dafür bürge ich, und das verspreche ich hoch und heilig. Holt umgehend sowohl den Gickerl als auch die Katze und den Hund herbei, und schon dürft ihr die neue Stadtkapelle von Bethlehem bilden!«

Und alsbald, wenn auch etwas später, ward dieses frühe Wunder vollbracht, und die guten Tiere musizierten eifrig im heiligen Ort bis an ihr Lebensende. Ja, und wenn sie, o Wunder, nicht gestorben sind, dann erfreuen sie noch heute die morgenländischen Bürger mit ihren ungewöhnlichen Stimmen, Kompositionen und weit schallenden Tondichtungen.

Draußen vor dem Stalle geht nun ein Getrappel und ein lautes Rufen um das gesamte Kripperl herum: »Hallo, ihr guten Leut, sind wir hier richtig?« Und schon schaut ein Kamel beim Fenster herein.

Die später sogar heiliggesprochenen drei Könige aus dem Morgenlande sind soeben eingetroffen, zwecks Huldigung. Reiche morgenländische Edelleute, ihres Zeichens Magier sowohl als auch gründlich in der Sterndeuterei ausgebildete Experten, steigen in freudiger Erwartung von zwei einhöckerigen Dromedaren und einem zweihöckerigen Kamel herab. Ungemein bewandert in der Himmelskunde und als astrologische Wissenschaftler, hatten sie sich auf...