Ashes - Pechschwarzer Mond

von: Ilsa J. Bick

beBEYOND, 2017

ISBN: 9783732547807 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Ashes - Pechschwarzer Mond


 

8

»Steh auf, mach schon!« Alex schob Wolf mit der Schulter beiseite und wand sich unter ihm hervor. In ihren Ohren hallte ein dunkles Brummen nach. Der Gestank nach verschmortem Fleisch und verbranntem Haar legte sich so beißend auf ihre Zunge, als würde sie einen verkohlten Grillrost ablecken. Versengte Fleischbrocken klebten auf Wolfs Rücken und in seinem Haar.

Marley hatte es schwer erwischt. Nase, Lider und Lippen waren nicht mehr vorhanden. Das Feuer hatte sich an seinen Dreadlocks entlang bis zur Kopfhaut gefressen, der Parka war ihm auf der Brust geschmolzen. Wo sein Gesichtsgewebe nicht verkocht war, glänzte die Haut schwarz wie Briketts. Nur die Zähne grinsten ungesund weiß in der grausigen Fratze.

»Langsam!« Ein Ruf, gedämpft durch das Surren in ihren Ohren: eine ältere Stimme, wütend. Männlich. »Wollt ihr denn alle umbringen, die …«

Männer? Waren sie der rote Sturm, oder arbeiteten sie ihm zu? Und was ist das? Ihr Verstand pendelte hin und her, das Monster war unschlüssig, was es tun sollte. Nicht einmal das Monster weiß, was das ist. Gleichzeitig spürte sie das Ziehen, die Versuchung loszulassen und sich in der brausenden Woge zu verlieren, die bei jedem Herzschlag durch sie brandete: pusch-pusch-pusch, los-los-los.

Alex huschte geduckt zur Vorderseite des Hauses und wagte einen kurzen Blick durch das zerschmetterte Fenster. Wo eben noch ein schneebedeckter Hügel gewesen war, rauchte jetzt ein Krater: aufgerissene schwarze Erde und qualmender Schutt. Sie haben eine Granate oder eine Bombe gezündet. Es war schwer zu sagen, wie viele Leichen dort lagen, denn alle waren zerfetzt: hier ein Stummel, der nach einem Ellbogen aussah; dort ein Fuß, dem vier Zehen und die Fußsohle fehlten; drei Viertel eines geplatzten Schädels, der am Rand des Kraters kippelte wie ein zertrümmerter Halloween-Kürbis. Ein anderer Veränderter lag mit verdrehten Gliedern in einem Kranz aus Blutspritzern auf dem Boden.

Was zum Teufel war da los? Aber was auch immer es gewesen sein mochte, bei diesem Kampf ging es um weit mehr als nur um die Frage, welche Beute wem zustand zumal ja Unveränderte daran beteiligt waren. Ganz links nahm sie eine Bewegung wahr, es war die Richtung, aus der Wolf und all diese toten Veränderten vor gerade mal fünf Minuten gekommen waren. Etwas Weißes flitzte zwischen dunkelgrünen Kiefern und Hemlocktannen hindurch ins dichte Grün. Alex sah das Oval eines Gesichts, aber irgendetwas stimmte nicht damit. Und dieser Geruch …

Seltsam. Es waren Veränderte, daran gab es keinen Zweifel, aber in den charakteristischen Gestank nach gärender Kloake mischte sich noch ein anderer Geruch: penetrant chemisch, total künstlich. Er erinnerte Alex an den metallischen Geruch der Chemo, mit der die Ärzte dem Monster hatten beikommen wollen, vor allem an das Cisplatin, ein Medikament, bei dem sie sich die Seele aus dem Leib gekotzt hatte. Aber warum sollte irgendein Veränderter danach riechen?

Hinter diesen seltsamen Veränderten und zwischen den Bäumen konnte sie noch andere Gestalten ausmachen, die sich im Hintergrund hielten. Altmännermief und Pferdegeruch stiegen ihr in die Nase.

Unveränderte … zusammen mit Veränderten? Wie kann das sein …?

Plötzlich zuckte das Monster und verpasste ihrem Bewusstsein wieder diese merkwürdig drängenden Schubser los-los-los, pusch-pusch-pusch , während es oder das, was da draußen war, von ihr Besitz zu ergreifen versuchte. O nein, nichts da! Sie taumelte zurück und schnappte sich einen Glassplitter. Wolf missverstand das und wollte sie am Handgelenk packen, aber sie drehte sich rasch weg. »Nein, lass mich einfach nur …« Mit angespanntem Gesicht stieß sie sich rasch den Splitter in den Oberschenkel und zog ihn gleich wieder heraus. Zwar schrie sie vor Schmerz auf, aber etwas im dunklen Zentrum ihres Gehirns schaltete abrupt um und das Monster zuckte zurück. Weit genug. Ihr Verstand klärte sich, und sie blickte in Wolfs schreckgeweitete Augen.

»Komm schon, Wolf«, keuchte sie und warf den blutigen Splitter weg, »bevor wir alle sterben.«

Sie hob Berts Flinte und Ernies Gewehr auf, sprang in die Küche und ließ sich rechts hinter den Granittresen fallen. Als sie die Repetierflinte spannte, überlegte sie, das Magazin herauszunehmen und nachzuzählen, wie viel Schuss sie noch hatte, entschied sich aber dagegen. Sie hatte keine Lust, heruntergefallenen Patronen hinterherzukrabbeln. Wahrscheinlich fehlte eine, blieben also noch vier. In dem anderen Gewehr müssten noch fünf Patronen stecken oder sechs, je nachdem, ob Ernie damit geschossen hatte.

Das ist alles so unlogisch. Was wollen die? Zuerst jagt eine Gruppe Wolf und seine Bande, weil sie ihnen Essen gestohlen haben. Dann wird diese Meute von den seltsamen Veränderten niedergemacht. Und die stürmen jetzt das Anwesen, aber warum bloß? Da kann es doch nicht nur um Essen gehen.

Zu ihrer Rechten sah sie über den Rand des Kühlschranks hinweg Pennys erschrockenen Blick. Ganz plötzlich ging ihr ein Licht auf ein hässlicher Gedanke, den sie aber nicht einfach abtun konnte. Mein Gott. »Erzähl mir nicht, dass es hier um dich geht«, sagte sie zu dem Mädchen.

Ein Riesenknall aus dem Wohnzimmer, gefolgt von ächzendem Holz und dem Quietschen von Scharnieren, als irgendetwas gegen die Haustür schlug. Die alte Eichentür erbebte, hielt aber stand. Dem Geräusch nach wurde sie von außen mit einem Vorschlaghammer oder Balken bearbeitet.

Wieder peitschten Schüsse, doch diesmal ganz in der Nähe, im Haus. Alex fuhr herum und sah Wolf, der immer noch im Wohnzimmer war, jetzt aber hinter der umgekippten Couch. Er fuhr hoch, gab noch einen Schuss ab und ließ sich fallen, als Kugeln hereinpfiffen. Wieder ein Bumm an der Tür, und durch das kaputte Fenster sah Alex diese komischen Veränderten vorbeisprinten. Wolf wagte sich einen Schritt nach links aus der Deckung heraus und versuchte, einen Schuss auf die Angreifer abzugeben, die die Tür aufstemmen wollten, warf sich aber gleich wieder flach hin, als erneut Kugeln durch die Luft zischten und scheppernd ans Ofenrohr prallten. Aus den Wänden und dem Kamin, wo die Geschosse in schneller Folge einschlugen, stoben Miniaturgeysire aus Stein und weißem Staub.

Maschinenpistolen? Wolf lag noch immer mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und ihr blieb für einen Sekundenbruchteil das Herz stehen. »Wolf!« Kurz blickte er auf, in ihre Richtung. »Wolf, lass, du kannst doch nicht …« Wieder eine Gewehrsalve, im selben Moment erschütterte ein Krachen die Tür. Das Holz wölbte sich nach innen, wie eine Blase kurz vor dem Platzen. Von diesem Anblick war Alex so fasziniert, dass sie nur halb mitbekam, wie sich an dem zerbrochenen Panoramafenster etwas in ihr Blickfeld schob. Als sie dann nach hinten sah, lag Wolf noch immer auf dem Boden, während sich zwei behandschuhte Hände um das kaputte Fensterbrett krallten.

Versucht reinzukommen. »Wolf!« Alex verließ ihre Deckung, sprang am Tresen vorbei, die Flinte schon im Anschlag. »Bleib unten, bleib unten!« Sie feuerte einmal, flächenblitzartiges Mündungsfeuer und ein zu hoch angesetzter Schuss, aber die Hände ließen los. Wieder pfiffen Kugeln herein und schepperten gegen den Holzofen. Eine bohrte sich direkt über ihrem Kopf in den Kamin, sodass ihr ein Steinchenregen auf Haar und Hals prasselte. Sie ließ sich fallen, krabbelte auf allen vieren über Schutt und Scherben. Glas schnitt ihr in die Hände, und die Steine rissen ihr die Haut auf, dazu der Hitzeschwall aus dem nur wenige Meter entfernten Ofen und die eiskalte Luft, die vom Fenstersims zu ihr herabströmte.

Sie stürmte zu Wolf hinüber. »Entweder hoch oder hinten raus«, sagte sie, »aber hierbleiben können wir nicht.« Beides war nicht optimal. Wenn sie durchs Küchenfenster abhauen wollten, konnten sie sich gleich Zielscheiben auf den Rücken malen. Also blieb nur der Weg nach oben: ins Badezimmer, Penny in die Wanne setzen und dann konnten sie und Wolf jeden einzeln aufs Korn nehmen, der die Treppe heraufkam.

Bis uns die Munition ausgeht. Ihr Blick schwenkte von der Treppe zur Küche, streifte den Tresen mit dem Sammelsurium von Dingen, die sie im Keller gefunden hatte: Campingkocher, Campinglampe, Propangas. Trotzdem, oben ist bes…

»Warte mal.« Sie fasste wieder den Campingkocher ins Auge. Das Gas. »Feuer«, sagte sie nachdenklich. Ja, das könnte tatsächlich klappen. Da war das ganze harzige Kiefernholz. Der Kamin war voll von teerigen Kohlerückständen, sodass bereits die Luft nach Brikett roch. Ja, aber das ist genauso verrückt, dann werden wir bei lebendigem Leib gegrillt. Doch etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Also flitzte sie zum Tresen zurück, packte die drei Gaskartuschen und raste wieder zum Kamin, um sie dort zusammen mit dem klebrigen Holz, das Penny und Bert vor gerade mal einer halben Stunde hereingebracht hatten, hineinzuwerfen.

Sowohl hinter ihr als auch in der Küche barst Glas, ein Mädchenschrei gellte. »Penny!« Als Alex in die Küche raste, watete sie durch eine Flut von Scherben, die von dem zerbrochenen Fenster über der Spüle stammten. Glasstückchen glitzerten im...