Die Kunst, seine Kunden zu lieben - Neurostrategie® für Unternehmer

von: Stefan Merath

Gabal Verlag, 2011

ISBN: 9783862009251 , 376 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 30,99 EUR

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Die Kunst, seine Kunden zu lieben - Neurostrategie® für Unternehmer


 

1. Die alte Welt


1.1 Der Ausbruchsversuch


»Du hast dich wirklich sehr verändert«, stellte Sofia fasziniert fest.

Wir saßen den zweiten Abend am Strand von Nusa Dua Beach. Nach knapp 20 Jahren waren wir uns ausgerechnet auf Bali wieder begegnet. Ganz zufällig. Die Welt wurde klein. Sofia war Italienerin, wir hatten uns vor 20 Jahren in Kalifornien kennengelernt und ein paar wunderschöne Wochen gemeinsam beim Surfen in San Diego verbracht. Nach einem nächtlichen Streit war Sofia am nächsten Morgen urplötzlich weg gewesen. Und nun saß ich mit ihr in Bali am Strand, wir tauschten Erinnerungen aus und erzählten uns, was in der Zwischenzeit in unseren Leben passiert war.

»Als ich dich damals kennengelernt habe, warst du völlig planlos«, fügte sie ihrer Feststellung lächelnd hinzu.

»Nein, das ist dir nur so vorgekommen, weil du so fokussiert warst«, konterte ich beinahe reflexartig.

»Versteh mich nicht falsch«, sagte sie und hob abwehrend die Hand, »das war nicht als Kritik gemeint. Du wirkst heute so klar und so, als ob du genau wüsstest, was du willst. Das war damals ganz anders.«

»Okay, das stimmt«, musste ich lachend zugeben. »Aber das ist noch nicht sehr lange so.«

»Dann erzähl mal.«

»Das kann aber länger dauern«, entgegnete ich zögernd.

»Wir haben doch Zeit, oder nicht?«

»Ich bin noch drei Tage hier«, schränkte ich ein.

»Also bitte! In drei Tagen lässt sich doch eine ganze Menge erzählen. Und wenn ich keine Lust mehr habe, dann sage ich schon Bescheid.«

»Also gut«, freute ich mich. Ich hatte diese Geschichte bislang noch niemandem erzählt und so war es auch für mich eine Gelegenheit, mir die Ereignisse der letzten Monate nochmals zu vergegenwärtigen. »Bis vor ungefähr einem viertel Jahr war ich ähnlich planlos wie damals, als wir uns kennengelernt haben. Ich glaube, ich habe Dinge gemacht und mitgemacht, für die ich mich heute lieber verstecken würde. Aber auf einmal sind ein paar Sachen passiert, deren Bedeutung ich erst dann verstanden habe, als alles ins Wanken geraten war …«

Meine Gedanken schweiften zurück: Angefangen hat alles im letzten Herbst, am 4. November, an das Datum erinnere ich mich genau. Ich saß mit Alexa, meiner Projektleiterin, im Büro meiner Eventagentur OS Event GmbH.

Ich hatte gerade eben den Hörer aufgelegt, fühlte mich aufgeregt und damit zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder richtig gut und lebendig. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt allerdings gewusst hätte, was alles durch dieses eine Telefonat in Gang gesetzt wurde, dann hätte ich es wohl nicht geführt. Oder vielleicht doch? Vielleicht gerade deshalb?

In diesem Telefonat hatte ich unserem bislang wichtigsten Kunden, Herrn Bäumler, dem für Inhouse-Messen zuständigen Manager eines DAX30-Konzerns, erklärt, dass wir nicht mehr für ihn arbeiten würden. Und dass er sich sein Event gerne sonstwohin klemmen könne. Das wollte ich ihm eigentlich schon lange mal sagen, aber ich hatte mich nie getraut: Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht.

In derselben Sekunde, als ich grinsend auflegte, konnte sich Alexa, die das ganze Gespräch mit verfolgt hatte, nicht mehr halten: »Oliver, spinnst du? Das ist unser wichtigster Kunde! Ich hätte das Problem bestimmt lösen können! Du kannst doch nicht einfach die Geschäftsbeziehung zu unserem wichtigsten Kunden beenden! Wozu habe ich mir mit diesem Kunden in den letzten zwei Jahren die Nächte um die Ohren geschlagen?«

Schon während des Gesprächs war Alexa die Kinnlade immer weiter heruntergeklappt. Mehrfach hatte sie versucht, mit Handzeichen auf sich aufmerksam zu machen und mich zu beschwichtigen. Aber mit ihrer weißen, gestärkten Bluse, ihrer dunklen, strengen Brille und ihrem geraden Rücken war sie mir gar zu pedantisch und kleingeistig erschienen.

Sie war eben kein Chef und verstand nicht, dass man manchmal Entscheidungen treffen musste. Und ich hatte eben die Entscheidung getroffen, mich nicht mehr von meinen Kunden gängeln und niedermachen zu lassen. So einfach war das!

Bevor ich noch antworten konnte, kam Dago zur Tür herein und blickte zwischen Alexa und mir hin und her. Dago Gerburg war mein Verkäufer. Er ist 1,93 m groß, 27 Jahre jung und dynamisch, hat straffe Schultern und stechende, willensstarke Augen. Vielleicht sind seine Designerklamotten und seine italienischen Schuhe etwas übertrieben, aber als Verkäufer ist er exzellent. Und so übersah ich diese Übertreibungen einfach.

Sofort bemerkte er, dass die Stimmung zwischen Alexa und mir nicht die beste war. Für eine halbe Sekunde erschien ein feines Lächeln auf seinem Gesicht, bevor er mich fragend anblickte: »Hier ist doch etwas passiert, oder?«

Langsam nickte ich: »Ja, Alexa war heute Morgen bei Herrn Bäumler, um dessen Kundenkonferenz Anfang Dezember vorzubereiten.«

»Ja, cool, dass ich dieses Projekt geholt habe, nicht?«, brüstete sich Dago. »Ist irgendwas nicht in Ordnung damit?«

»Der ganze Auftrag war zeitlich viel zu knapp kalkuliert, Dago«, erwiderte Alexa ziemlich kühl.

»Und?«, fragte Dago.

»Du hast dem Kunden in Aussicht gestellt, dass alles machbar sei, nur kamen heute Morgen noch weitere Anforderungen dazu, die vorher gar nicht besprochen worden waren«, ergänzte Alexa. »Auf einmal wollten sie diese neuen Leuchttische, weil Bäumler die irgendwo gesehen hatte. Die können wir aber in dem Hotel nicht einsetzen, weil das mit der Stromversorgung nicht funktioniert. Ich hab ihm zwei Alternativen vorgeschlagen, was mich dreieinhalb Extrastunden gekostet hat, aber er wollte nicht darauf eingehen.«

»Und dann ist Herr Bäumler unverschämt und ausfallend geworden«, erzählte ich weiter. »Er hat gerade bei mir angerufen, um sich über Alexa und unsere mangelnde Flexibilität zu beschweren.«

»Das glaube ich jetzt nicht«, schaltete sich Dago entrüstet ein. »Ich ziehe dieses geile Projekt an Land und dann soll es an ein paar Details scheitern, Alexa?«

»Gar nicht!«, verteidigte sich Alexa. »Aber so war es einfach nicht umzusetzen. Allerdings konnte ich nicht ahnen, dass Olli den Kunden deswegen gleich in die Wüste schickt.«

Dago blickte entgeistert zwischen uns hin und her.

So erklärte ich: »Ich habe keine Lust mehr, mit Kunden zu tun zu haben, die permanent meckern und glauben, sie seien die Götter, und uns das spüren lassen! Übel an dem Bäumler fand ich, dass er so tut, als wären wir ohne sein Unternehmen überhaupt nicht überlebensfähig. Wir wären nur eine von tausend anderen Firmen, hat er gesagt. Das möchte ich sehen, wie er das zeitlich noch hinkriegen will, dass jemand anders dieses Projekt übernimmt. Mit den Kunden ist es immer dasselbe, sie sind einfach lästig, wie mein Vater sagt. Ich musste einfach ein Exempel statuieren, und jetzt geht’s mir besser.«

Dago fand langsam seine Sprache wieder: »Kein Wunder, dass wir permanent Stress mit unseren Kunden haben, wenn Alexa dauernd alles versiebt. Voll krass!«

»Dago, wer hat denn bei der Projektakquise vergessen, die Details zu besprechen? Wer akquiriert denn Aufträge, die unter normalen Bedingungen gar nicht umzusetzen sind? Und was ist mit einem Puffer für Sonderwünsche der Kunden?«

»Du hast ja keine Ahnung vom Markt«, fauchte Dago sie wütend an. »Da draußen herrscht Krieg!«

»Dago hat recht, Alexa«, versuchte ich den Schlagabtausch zu beenden. »Und im Falle von Bäumler musst du dir den Schuh schon anziehen, dass das in die Hose gegangen ist! Außerdem hast du Bäumler so die Gelegenheit gegeben, mir richtig einen reinzuwürgen. Der behauptet jetzt, dass wir ohne seine Aufträge nicht mehr lange am Markt sein werden. Wie findest du das?«

Alexa biss sich auf die Lippen.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Dago.

»Ich kümmere mich erst einmal um meine laufenden Projekte«, sagte Alexa frostig, drehte sich auf dem Absatz um und verließ mein Büro.

Vermutlich würde ich sie durch eine bessere und engagiertere Mitarbeiterin ersetzen müssen. Dago war eben ein Adler und Alexa eine Ente.*

Als Alexa draußen war, blickte Dago zu mir: »Hast du schon mal daran gedacht, Alexa zu feuern? Ich habe schließlich keine Lust, hier meine ganze Energie reinzustecken, nur damit Alexa das gegen die Wand fährt, was ich angeschoben habe. Ich will Performance! Und eine Company, die Profit macht.«

Nachdenklich nickte ich: »Ja, daran habe ich schon...