Wettkampf der Nationen - Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit

von: Caspar Hirschi

Wallstein Verlag, 2013

ISBN: 9783835320765 , 555 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 37,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Wettkampf der Nationen - Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit


 

3. Der italienische Humanismus: Kulturimperialismus als Anstoß der Nationalisierung (S. 177-178)

Aufbau und Argumentation


Setzt sich Kapitel 2 mit den außeritalienischen Voraussetzungen des humanistischen Nationalismus in Deutschland auseinander, so geht es im Folgenden um die Anstöße aus Italien. Dabei interessiert weniger die Frage, wer was von wem gelesen hat, d.h., auf welchen Wegen literarische Motive tradiert und transformiert worden sind, als die diskursive Konstruktion des kollektiv Eigenen und Fremden. Durch den provokativen Charakter dieser Konstruktion, so die hier vertretene Auffassung, intensiviert der italienische Humanismus die Nationalisierung Europas. Daher geht dieses Kapitel den Konstanten und Variablen des humanistischen Italiendiskurses nach.

Das methodische Leitprinzip lautet, den italienischen Humanismus als autonome Formation zu erfassen, aus seinen Eigenheiten aber die Hauptwirkung auf den Nationalismus deutscher Humanisten abzuleiten. Aus diesem Grund erhält Petrarca, der Vater des humanistischen Italiendiskurses, mehr Raum als Enea Silvio oder Flavio Biondo, die den deutschen Humanisten Baumaterial für ihre eigene Nationskonstruktion geliefert haben.

Der Renaissance-Humanismus in Italien entwickelt kein Nationskonzept; Italien steht im humanistischen Diskurs nicht einer Vielzahl anderer Nationen gegenüber, sondern bildet eine Insel der Zivilisation, umspült vom Meer der Barbarei. Die Sicht italienischer Humanisten auf die Welt ist vornehmlich bipolar, nicht multipolar. Das hat weitreichende Folgen: Die italienischen Humanisten suchen selten den Wettstreit mit Gelehrten außerhalb Italiens. Wo keine Gemeinsamkeiten zugestanden werden, entsteht keine Konkurrenz. Die Fallhöhe von der Zivilisation zur Barbarei lässt keine Fragen offen. Die Aggressionen der Zivilisierten beschränken sich auf Terraingewinne gegen die Barbarei. Das humanistische Italienkonzept ist daher als imperialistisch zu bezeichnen. Die Unterschiede zum späteren Nationskonzept deutscher Humanisten sind auffällig.

Grundlegend für die Konstruktion Italiens wird der Barbarendiskurs. Die Humanisten ersetzen das mittelalterliche Barbarenbild nicht einfach durch das antike. Ihr Konzept von Zivilisation und Barbarei ist starrer als das der Griechen und Römer. Dem antiken Zivilisationsmodell wohnt, bedingt durch das zyklische Geschichtsdenken, ein ambivalentes Moment inne: Hohe Kultur bricht notwendig in ursprüngliche Rohheit zusammen. Anders im Humanismus: Die vom antiken Rom begründete Ordnung beansprucht überzeitliche Geltung. Die politischen und kulturellen Verhältnisse der europäischen Gegenwart dagegen erscheinen als verkehrte Welt. Dominiert im antiken Barbarenkonzept die ethnographische Deskription, so im humanistischen die Polemik.