Hofmannsthal - Ein moderner Dichter unter den Philologen

von: Christoph König

Wallstein Verlag, 2013

ISBN: 9783835320352 , 504 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 30,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Hofmannsthal - Ein moderner Dichter unter den Philologen


 

IV. Eine Wissenschaft für die Kunst (S. 172-173)

Hofmannsthal steht in der Tradition der Dichter, die die Wissenschaften mitbegründeten und ernst nahmen. Nutzt er ihre Theorien und ihr Wissen, so stellt er naturgemäß Ansprüche nach Maßgabe seiner Poetologie. Goethes Formel lautete: Die Wissenschaft benötigt die Kunst, um Geschichte abzuwehren und das Ganze zu sichern. Nietzsche hatte eine historistisch expandierende Wissenschaft vor Augen, die mit ihrem Erfolg die eigenen Grundlagen gefährdete.

Sie störe, so Nietzsche, durch ihr Wissen das Leben, aber sie kläre das Leben auch auf und könne in solchem kritischen Lebensbezug eine Vorbedingung von Kunst sein. Mehr noch: Die Kunst könne, artistisch und als strenges Artefakt, die Wissenschaft erneuern. Goethes und Nietzsches Konzepte zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft sind Hofmannsthal geläufig. Er modernisiert die Konzepte und hat dabei Angst. Der artistische Weg, auf dem die Gedanken streng aufeinander folgen, ist der Weg, den der Mensch meistern kann. Allerdings führt er nie zum Ganzen, sondern erobert in kleinen Schritten eine kleine Welt. Das gibt Hofmannsthal zuwenig Sicherheit. Daher bricht er regelmäßig ab und greift zum totalen Sinn.

Nicht mehr der Mensch und seine Natur wie bei Goethe gewährleisten ihm den Erfolg der Totalisierung, sondern das Übermenschliche. Das stellt ihn, in der poetologischen Begründung, vor die unlösbare Aufgabe, mit kleinen gedanklichen Mitteln das Ganze zu fassen. Daher trifft er eine Unterscheidung zwischen Wissenstheorie und Glaubenspraxis. Einerseits rekonstruiert er ›theoretisch‹, was nötig wäre, um Kultur, das Ziel seiner Totalisierung, zu schaffen, andererseits evoziert er nicht mehr als eine Ahnung von ihrem Gelingen.

Den Weg von der Konstruktion zur Epiphanie kann er nicht rational angeben. Nach der Trennung von Konstruktion und Evokation verteilen sich auch die Aufgaben von Wissenschaft und Kunst. In der Wissenschaft skizziert er das Modell als Kulturformel (etwa in seiner Habilitationsschrift über Victor Hugo), und das Wissen wird zu Elementen im Kulturprozeß – doch das Prinzip, als gelungenes und das hieße als lebendiges, bleibt der Wissenschaft unzugänglich.

Die Kunst zeigt darauf, ohne jedoch davon sprechen zu können. Um die im Zeigen behauptete Universalität (»Tiefe« sagt Hofmannsthal) nicht einbüßen zu müssen, darf die in diesem Sinn ästhetisch begründete ›Kultur‹ keine Attribute haben, weder historische noch philosophische oder mythologische.

Solche Attribute können allenfalls Behelfe vorläufiger Verständigung sein. Er fragt: Wozu soll seine Zeitschrift ›Neue Deutsche Beiträge‹, die er von 1922 bis 1927 herausgibt, beitragen? Und antwortet: »Zum geistigen Besitz der Nation, demnach zur Sprache? denn wo wäre, als in der Sprache, der geistige Besitz der Nation lebendig zu finden? Immerhin. Die Sprache, ja, sie ist Alles; aber darüber hinaus, dahinter ist noch etwas: die Wahrheit und das Geheimnis. Und, wenn man dies nicht vergisst, darf man sagen: die Sprache ist Alles.«1 Begriffe wie eben den der ›Sprache‹ toleriert er nur mit dieser Vorläufigkeitsklausel.