Vampir verzweifelt gesucht

von: Lynsay Sands

LYX, 2014

ISBN: 9783802594854 , 350 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Vampir verzweifelt gesucht


 

1


Valerie schlug die Augen auf und sah … Finsternis. Einen Moment lang fühlte sie sich desorientiert, und sie überlegte, wodurch sie aufgewacht war. Aber dann hörte sie von oben Schritte. Regungslos lag sie da und lauschte, während jemand über ihr in der Küche mit irgendetwas hantierte. Als die Schritte verstummten, versteifte sie sich am ganzen Leib, da zuerst ein Schloss, dann ein weiteres und schließlich ein drittes Schloss geöffnet wurden.

Es folgte sekundenlang Stille, ehe die Tür geöffnet wurde. Sofort fiel Licht auf die Stufen der Treppe und auf den Betonboden des Kellers. Das Licht, das bis zu ihrem Käfig drang, war nur noch ein schwacher Schein, doch im Vergleich zur völligen Schwärze, in der sie die meiste Zeit des Tages verbrachte, war der immer noch so hell, dass sie die Augen zusammenkneifen musste.

Sie hörte, wie sich die andere Frau regte, und spürte, wie ihre Anspannung auf der Stelle zunahm. Mit einem Mal war die Angst so gegenwärtig, als würde sie als lebendes, atmendes Wesen hinter ihr in diesem finsteren, feuchten Raum stehen. Valerie versuchte, sich von dieser Angst nicht überwältigen zu lassen, und begann von hundert an rückwärts zu zählen, um sich abzulenken. Wenn ihr die Flucht gelingen sollte, dann brauchte sie einen klaren Kopf. Angst dagegen führte nur zu panikartigen Aktionen und Reaktionen. Sie führte zu Fehlern, doch wenn sie sich und die anderen aus diesem Haus des Schreckens retten wollte, durfte sie sich keine Fehler erlauben.

Ihre Aufmerksamkeit wurde auf das obere Ende der Treppe gelenkt, wo soeben das wenige in den Keller fallende Licht blockiert wurde, da sich eine hünenhafte Gestalt im Türrahmen aufgebaut hatte und diesen fast völlig ausfüllte. Es war Igor, der ein Tablett in der Hand hielt. Das konnte sie an der Silhouette der Gestalt erkennen. Das Licht tanzte um seinen Körper herum und huschte auf dem Boden hin und her, als er sich in Bewegung setzte und nach unten kam. Seine schweren Schritte auf den Holzstufen wirkten umso lauter, da im Keller völlige Stille eingekehrt war. Die Frauen waren so in ihren Bewegungen erstarrt wie Rehe, die vom Scheinwerferlicht eines Autos erfasst worden waren.

Valerie hielt den Atem an und wartete ab, bis Igor auch noch die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte. Er ging an ihrem Käfig vorbei, ohne ihr auch nur einen Blick zuzuwerfen, und steuerte den hinteren Teil des Raums und die dortigen Käfige an. Immer fing er dort hinten an und versorgte jede Gefangene mit einer Flasche Wasser und einer Schüssel mit Haferbrei und Obst. Jede von ihnen bekam diese Verpflegung, nur nicht die eine, die ausgesucht worden war, um in dieser Nacht für Unterhaltung zu sorgen. Da Valerie dieses System inzwischen kannte, versuchte sie zu erkennen, welche der Frauen nichts bekam. Wegen der fast völligen Dunkelheit, in die die anderen Käfige getaucht waren, und aufgrund der Tatsache, dass ihr Käfig der vorderste war, konnte sie jedoch so gut wie nichts erkennen. Es kam ihr so vor, als würde Igor kurz bei jeder Frau stehen bleiben, um ihr Wasser und Essen zu geben, doch völlig sicher war sie sich nicht.

Dann war Igor bei ihrem Käfig angekommen, und sie sah, dass er das leere Tablett in einer Hand nach unten baumeln ließ. Fast lautlos atmete sie aus. Diesmal war sie diejenige, die »Ausgang« bekam. Endlich. Sie rührte sich nicht, während er das Tablett auf den Boden legte und den Schlüsselbund aus der Hosentasche zog. Das Tablett würde dort liegen bleiben, bis er sie in ihren Käfig zurückbrachte, denn er benötigte es, um die bis dahin leer gegessenen Schüsseln mitzunehmen.

Zumindest würde er das so machen, wenn er hierher zurückkehrte. Aber sie hatte sich vorgenommen, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Die Käfigtür ging auf, aber Valerie wartete auf sein knappes »Komm mit«, ehe sie auf Händen und Knien nach draußen kroch. Seit zehn Tagen war ein Raum ihr Zuhause, der in jede Richtung etwa ein Meter zwanzig maß. Er war zu klein, um aufrecht zu stehen, und zu klein, um sich auf dem Boden auszustrecken. Also hatte sie seit zehn Tagen entweder zusammengerollt dagelegen oder an eine Wand gelehnt gesessen und die Beine so angezogen, dass sie die Arme um ihre Knie legen konnte. Ausstrecken konnte sie die Beine nur, wenn sie so wie jetzt aus dem Käfig geholt wurde, und das war bislang nur einmal passiert, seit man sie nach hier unten verschleppt hatte. Von diesem einen Mal abgesehen hatte sie die gesamte Zeit in ihrem Käfig verbracht, sie hatte dort gegessen und sogar in der bereitgestellten Bettpfanne ihre Notdurft verrichtet. Die wurde einmal täglich geleert, wenn er die leeren Schüsseln einsammelte.

»Aufstehen«, sagte er nur, als sie auf Händen und Knien auf dem kalten Betonboden kauerte. Es überraschte Valerie nicht, dass er sie umgehend am Arm packte und hochzog. Nachdem sie so lange Zeit in gekrümmter Haltung verbracht hatte, benötigte sie Hilfe beim Aufstehen. Als sie sich aufrichtete, konnte sie ein schmerzhaftes Stöhnen kaum unterdrücken. Tatsächlich war sie sogar dankbar für den Halt, den er ihr mit seiner Hand gab, während er sie die Treppe hinaufbrachte.

Zu Valeries Erleichterung hatten sich die schlimmsten Schmerzen gelegt, als sie die oberste Stufe erreichte, doch sie ließ sich weiter von ihm stützen, und auf der letzten Stufe stolperte sie sogar absichtlich, um den Eindruck zu erwecken, dass sie noch nicht ganz sicher auf den Beinen war. Etwas anderes sollte er auch nicht von ihr erwarten, denn die Medikamente, die man ihnen unters Essen mischte, verloren erst jetzt allmählich ihre Wirkung. Folglich sollten ihre Bewegungen immer noch träge und unkoordiniert sein.

Nur war das bei ihr nicht der Fall.

Nach ihrem letzten »Ausgang« hatte Valerie aufgehört, die tägliche Portion Haferbrei zu essen, deshalb war sie in diesem Moment auch bei klarem Verstand. Ihre einzige Sorge war die, dass sie nach vier Tagen ohne Nahrung zu geschwächt sein könnte. Aber daran ließ sich nun mal nichts ändern, also musste sie sich einfach darauf verlassen, dass sie all das, was vor ihr lag, mit Geschick und Stärke und dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite bewältigen würde. Sie hatte nicht vor, in diesem verdammten, stinkenden Käfig im Kellergeschoss zu verrotten.

Sie ließ sich weiter von Igor stützen und stolperte noch ein paarmal, als er sie durch die Küche führte. Den Kopf hielt sie gesenkt, um den Eindruck zu erwecken, dass sie zu kraftlos und noch zu benommen war. Auf diese Weise konnte sie von ihren langen, ins Gesicht fallenden Haaren geschützt unbemerkt den Blick durch die Küche wandern lassen, um nach etwas Ausschau zu halten, das sich als Waffe eignete oder ihr den Weg in die Freiheit bahnen konnte.

Aber da war nichts. Tresen und Küchentisch waren leer, da war kein Messerblock, aus dem sie eine lange Klinge hätte ziehen können. Keine Gläser oder Tassen, die sie zerschlagen konnte, um die Scherben als Waffe zu benutzen. Es gab nicht mal eine Kaffeemaschine oder einen Toaster. Das hier hätte ebenso gut ein verlassenes Haus sein können.

Im Flur suchte sie weiter vergeblich nach etwas Brauchbarem, dann ging es noch eine Treppe hinauf in den ersten Stock des Hauses. Oben angekommen wunderte es sie nicht, dass er sie nach links dirigierte, also zum rückwärtigen Teil des Hauses. Sie war hier schon einmal gewesen, aber da hatte sie unter dem Einfluss von Medikamenten gestanden, weshalb ihr die Erinnerung an den Flur, an das Porträtgemälde und die getäfelten Wände sowie an den blauen Teppichboden leicht verschwommen vorkam.

Der Flur führte zu einem großen Schlafzimmer. Sie weigerte sich beharrlich, auch nur Notiz von dem altmodischen Bett zu nehmen, als er sie daran vorbei zum angeschlossenen Badezimmer führte. Das Haus war vermutlich schon über hundert Jahre alt, aber das Badezimmer hatte man vor einer Weile renoviert. Sie tippte auf die Fünfziger- oder Sechzigerjahre. Alles war in Grün gehalten. Die Wände waren grün gestrichen, die Toilette und das Waschbecken waren grün, und das galt auch für die Wanne. Die Wand dahinter war mit kleinen grünen Kacheln verkleidet.

Das Ganze war abgrundtief hässlich, überlegte Valerie, während Igor sie zur Seite schob, damit er sich über die Wanne beugen und den Hahn aufdrehen konnte, um Wasser einzulassen. Valerie wusste, was als Nächstes kommen würde, doch sie weigerte sich standhaft, in Panik auszubrechen. Stattdessen sah sie sich in dem kleinen Raum um und betrachtete das, was auf dem Tresen zu beiden Seiten des Waschbeckens lag: ein Handtuch, ein Waschlappen, ein Stück Seife, Shampoo, Conditioner und ein sorgfältig zusammengelegter weißer Bademantel. Alles war für sie hingelegt worden, um sie »für das Abendessen vorzubereiten«, wie Igor es formuliert hatte.

Gerade wandte Valerie sich ab, als ihr ein Gedanke kam. Igor hatte soeben den Stöpsel in den Abfluss gedrückt, gleich würde er sich zu ihr umdrehen, also konnte sie keine Zeit mehr verlieren. Hastig griff sie nach der Shampooflasche, schraubte den Deckel ab und drückte, so fest sie konnte. Das Shampoo spritzte heraus und landete in Igors Gesicht, gerade als der sich zu ihr umdrehen wollte. Als er vor Schreck einen Laut ausstieß und die Hände hochnahm, wirbelte Valerie herum und versetzte ihm einen Tritt in die Magengrube.

Eigentlich hatte sie gehofft, ihn mit genügend Wucht zu treffen, damit er nach hinten in die Wanne fiel, aber entweder war er standfester als erwartet oder sie war schwächer, als sie es nach vier Tagen ohne Essen für möglich gehalten hatte. Auf jeden Fall wich er gerade mal einen Schritt zurück, mehr aber auch nicht, und dabei holte er auch noch mit...